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Die Ukraine als Föderation?

Roman Goncharenko, z.Zt. in Kiew1. Februar 2014

Die regierende Partei der Regionen bringt eine Föderalisierung der Ukraine ins Spiel. Mehr Macht für die Provinzen würde die Krise entschärfen, so die Idee. Manche Oppositionelle befürchten, dass der Staat dann zerfällt.

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Das Parlamentsgebäude der Ukraine in Kiew
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Artikel Zwei der Verfassung definiert die Ukraine als einen Einheitsstaat. Das 1991 bei dem Zerfall der Sowjetunion entstandene Land ist aufgeteilt in 24 Bezirke (Oblast) und die Autonome Republik Krim; Machtzentrale ist die Hauptstadt Kiew. Der Präsident, die Regierung und das Parlament entscheiden dabei über alles: von Steuern bis hin zur Sprachpolitik.

Das aber könnte sich bald ändern. Es mehren sich Anzeichen dafür, dass die regierende Partei der Regionen versuchen könnte, die aktuelle politische Krise auszunutzen, um aus der Ukraine eine Föderation zu machen. Die Partei sebst hat ihre Hochburgen im Osten und Süden des Landes.

Partei der Regionen warnt vor Zerfall

Die Tageszeitung "Holos Ukrainy" (Stimme der Ukraine), die vom Parlament herausgegeben wird, druckte am Samstag (01.02.2014) Vorschläge der Kommunistischen Partei "bezüglich möglicher Verfassungsänderungen". Die Ukraine solle ein föderaler Staat werden. Im Parlament sind Kommunisten Verbündete der regierenden Partei der Regionen und stimmen oft gemeinschaftlich mit ihr ab.

Weniger Tage zuvor sprach sich auch ein Abgeordneter der Partei der Regionen, Vadim Kolesnitschenko, für eine "Föderalisierung der Ukraine" aus. Das Land stehe am Rande eines Bürgerkriegs, wird Kolesnitschenko von der Online-Zeitung "Ukrainska Prawda" zitiert. Er verwies darauf, dass Bürger im Osten und Süden der Ukraine die oppositionellen Proteste in Kiew als "Gefahr" für sich sehen. Die Föderalisierung solle helfen, einen Zerfall des Staates zu verhindern. Medienberichten zufolge könnte die Ukraine dann in bis zu sieben Großbezirke aufgeteilt werden, mit jeweils eigenen Parlamenten.

Antimaidan Unterstützung für Präsidenten in Charkiw, 22.01.2014
Im Süden und Osten des Landes - hier: Charkiw - gibt es die meisten "Anti-Maidan"-ProtesteBild: DW/O. Induchowa

Putins Freund will Ukraine als Föderation

Außerdem hat sich der Berater des Präsidialamtschef Andrij Klüjew, Viktor Medwedtschuk, zum Wort gemeldet. "Föderalisierung ist die einzige und alternativlose Medizin gegen Zerfall" der Ukraine, schrieb er in seinem Blog.

Medwedtschuk ist außerdem Anführer der Bewegung "Ukrainische Wahl", die sich gegen eine Integration der Ukraine in die Europäische Union und für eine Allianz mit Russland engagiert. Diese Bewegung hatte bisher kaum Einfluss auf die ukrainische Politik - zumindest offiziell. Jedoch: Medwedtschuk ist ein enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

Oppositionspolitiker beschuldigt Russland

Neu sind solche Ideen nicht; heiße Debatten über eine mögliche Föderalisierung der Ukraine gab es schon früher: Anfang der 1990er Jahre wollte sich die Halbinsel Krim abspalten. Während der "Orangenen Revolution" 2004 drohten Bezirke im Osten und Süden des Landes, eine eigene Republik zu gründen.

Doch diesmal könnte es zum ersten Mal ernst werden. Proteste in Kiew, die zumindest an der Oberfläche von Westukrainern getragen werden, stoßen in der Tat auf Ablehnung im Osten. Dort fühlen sich immer noch viele Menschen mit Russland verbunden. Sie schauen oft russisches Fernsehen, das die Ereignisse in Kiew als einen "rechtsextremistischen Staatsstreich" darstellt.

Oppositionsführer haben sich bisher nicht zu der Idee einer Föderalisierung der Ukraine geäußert. Als einziger meldete sich der frühere Parlamentsabgeordnete Wjatscheslaw Kyrylenko zu Wort. In einem Blog warnte er davor, aus der Ukraine eine Föderation zu machen: "Das ist nur der erste Schritt." Der zweite Schritt werde die Abspaltung der Ostukraine und eine Zerstörung des unabhängigen Staates sein. Kyrylenko äußert dabei dei Vermutung, dass hinter solchen Plänen Russland stecke.

Ob in der Ukraine tatsächlich eine Föderation entstehen kann, hängt vom Parlament ab. Um die Verfassung zu ändern, müssten 300 von 450 Abgeordneten dafür stimmen. Momentan hat die regierende Partei der Regionen deutlich weniger Stimmen.

Ukraine 31.01.2014 Proteste
Auf dem Maidan in Kiew bleiben die Proteste für einen Regierungswechsel und eine EU-AnnäherungBild: Reuters/Vasily Fedosenko

Skepsis auf Kiewer Straßen

Wie die Bevölkerung auf eine Föderalisierung der Ukraine reagieren würde, ist unklar. Soziologen verzichteten auf Umfragen dazu, um "den schlafenden Hund nicht zu wecken", sagte der Deutschen Welle Wolodymyr Paniotto, Direktor des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie. Zahlen gebe es deshalb nicht.

Spricht man die Menschen auf Kiews Straßen direkt darauf an, sind sie meist skeptisch. "Die Ukraine als Föderation wäre nicht schlecht, wenn es demokratisch wie in Deutschland gemacht würde", sagt ein Mann, der mit einer Schaufel Eis auf der Kiewer Protestmeile räumt. Eine Föderation nach russischem Vorbild aber lehnt er ab. "Russland ist doch nur auf Papier eine Föderation, die reale Macht ist im Kreml". Außerdem glaubt der Mann, dass eine Föderalisierung der Ukraine zu einem Zerfall führen würde. "Russland wartet nur darauf, die Krim an sich zu reißen", glaubt er. Ein anderer Passant ist noch stärker gegen Ukraine als Föderation. "Wir sind doch kein Vielvölkerstaat wie Russland", sagt er. "Wir sind alle Ukrainer, ob in Ost oder West".

Auch unter den Regierungsanhängern scheinen nicht alle von der Idee überzeugt. "Die Einheit der Ukraine ist sehr wichtig", sagte der DW Olexander Sintschenko, Kommandant des sogenannten "Antimaidan", eines Zeltenlagers der Regierungsanhänger im Kiewer Marijinskij Park. Für eine Föderalisierung sei es "noch nicht an der Zeit". Die Ukraine sei weder wirtschaftlich noch psychologisch dazu bereit, so Sintschenko. Er hält es aber für eine "interessante Idee für später".