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Italien weint: "Wir sind zu spät gekommen"

27. August 2016

Über dem Land liegt ein Schleier - die Regierung hat einen "Tag der Trauer" angesetzt. Auf der zentralen Totenfeier nahmen Angehörige von den Opfern Abschied. Das Beben hat ganze Dörfer von der Landkarte ausradiert.

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Italien Trauer Opfer des Erdbebens Messe Kirche (Foto: ALBERTO PIZZOLI/AFP/Getty Images)
Bild: Getty Images/AFP/A.Pizzoli

"Es tut mir leid, dass wir zu spät gekommen sind." Der Zettel an einem der Särge in der Turnhalle von Ascoli Piceno stammt von einem unbekannten Retter. "Aber ich möchte, dass du von dort oben weißt, dass wir unser Möglichstes getan haben, um dich dort rauszuholen."

Angehörige sitzen auf der Trauerfeier neben den Särgen (Foto: Reuters)
Nah bei den Toten: Angehörige sitzen neben den SärgenBild: Reuters/A.Di Loreto

Wo sonst die Sportmannschaften um Punkte ringen, sitzen Angehörige der Erdbebenopfer ganz dicht bei den hölzernen Totenschreinen, an deren Fußenden Stühle aufgestellt sind. Fotos zeigen die Verstorbenen vor dem Ereignis, das sie aus dem Leben riss.

Weißer Kindersarg in der Mitte

Ein kleiner weißer Sarg sticht in der Mitte heraus. Darin liegt Giulia, die nur neun Jahre alt wurde, weil sie mit ihrem Körper die fünfjährige Schwester Giorgia schützte. Diese war als einer der letzten Menschen lebend aus den Trümmern in Pescara del Tronto gerettet worden.

Staatspräsident Sergio Mattarella mit einem der Helfer (Foto: Reuters)
Retter trifft Repräsentanten: Staatspräsident Sergio Mattarella mit einem der HelferBild: Reuters/Italian Presidency Press Office

Vor der Totenfeier im zentralitalienischen Ascoli Piceno, an der Staatschef Sergio Mattarella zusammen mit Ministerpräsident Matteo Renzi teilnahm, besuchte der Präsident die schwer getroffene Ortschaft Amatrice ganz in der Nähe. Er sprach mit Einsatzkräften, die in der - für Journalisten gesperrten - "roten Zone" noch immer nach Verschütteten suchen.

Gemeinden von der Karte ausradiert

Im ganzen Land wehen die Flaggen auf halbmast. Die Regierung hat einen nationalen Tag der Trauer ausgerufen. Inzwischen wurden 290 Tote gezählt, fast so viele wie bei dem verheerenden Erdbeben in L'Aquila 2009. Damals waren 309 Menschen ums Leben gekommen.

Eingestürztes Haus mit erhaltenem Mobiliar (Foto: Reuters)
Mobiliar ohne Haus: Das Beben raubte vielen Menschen Leben und HeimatBild: Reuters/M. Rossi

Die Katastrophe traf nicht nur Leben und Besitz vieler Bewohner. Auch für ganze Gemeinden bedeutet sie das Ende. Für Saletta, ein winziges Bergdorf bei Amatrice in der Region Latium, sehen die ehemals Einheimischen keine Zukunft. Sie glauben nicht, dass genug Geld für den Wiederaufbau fließen wird. Die Opferzahl dort ist höher als die Zahl der ständigen Einwohner: 22 Leichen wurden seit dem Erdbeben am Mittwoch gefunden. Doch nur 20 Menschen lebten das ganze Jahr über in dem Ort mit seinen langen und beschwerlichen Wintern. Im Sommer freilich kamen viele Besucher, um die malerische Landschaft zu genießen.

"Mehr Sand als Zement"

Noch auf dem Höhepunkt der Trauer erheben sich bohrende Fragen. Das "Warum?" könnte in diesem Fall ganz profane Gründe haben. Schon ermittelt die Staatsanwaltschaft der Provinz Rieti, ob in der betroffenen Region gegen Bauvorschriften verstoßen wurde - und zwar großflächig. "Was da passiert ist, kann nicht nur als Unglück gesehen werden", zitiert die Tageszeitung "La Repubblica" den Ankläger Giuseppe Saieva. Bei einigen der zerstörten Häuser sei "mit mehr Sand als Zement" gebaut worden.

jj/SC (dpa, afp, rtr)