Meister einer neuen Sprache
6. Oktober 2011Lange hat er nach einer neuen Sprache gesucht, nach Wörtern, die ermutigen, die klar und eindeutig sind, die dem Menschen helfen, den Überblick in schwierigen Zeiten zu behalten. Weil der schwedische Lyriker Tomas Tranströmer in den vergangenen fünfzig Jahren immer sorgsam mit seinen Worten umgegangen ist, besteht sein Werk aus weniger als 100 Texten. Doch die haben es in sich. Tranströmer ermögliche den Lesern durch seine "dichten, klaren Bilder einen neuen Zugang zur Wirklichkeit", lobte Peter Englund, Jurychef der Schwedischen Akademie in Stockholm bei der Verkündung des diesjährigen Literaturnobelpreises.
Dass der 80-jährige Schwede die wichtigste Literaturauszeichnung der Welt erhält, war keine wirkliche Überraschung. Schon seit Jahren wurde sein Name immer wieder genannt, allerdings nie als "heißer Favorit". Doch diesmal schaffte er es, an hochgehandelten Kandidaten wie dem Rock-Poeten Bob Dylan, dem syrisch-libanesischen Schriftsteller Adonis oder dem japanischen Romancier Haruki Murakami vorbeizuziehen. Rund 1,1 Millionen Euro Preisgeld und vermutlich eine deutlich höhere Nachfrage nach seinen in rund 50 Sprachen übersetzten Gedichtbänden erwarten den schwedischen Lyriker.
Anspruchslos, liebenswürdig, intelligent
Obwohl er zu den bedeutendsten schwedischen Lyrikern der Gegenwart zählt, hat sich Tranströmer nie auf die Literatur als alleinigen Broterwerb verlassen. Auch nach seinem Debüt 1954 mit der Gedichtsammlung "17 dikter" (17 Gedichte) arbeitete er weiter als Psychologe. Seit einem schweren Schlaganfall 1990 lebt er zurückgezogen mit seiner Frau in Stockholm. Tranströmer leidet an einem weitgehenden Verlust des Sprechvermögens (Aphasie), hat aber in enger Zusammenarbeit mit seiner Frau noch mehrere Gedichtbände herausgebracht.
Als großen Dichter der Gegenwart sah sich der neue Literaturnobelpreisträger selbst allerdings nie. Bei der Verleihung des Petrarca-Preises des deutschen Verlegers Hubert Burda 1981 würdigte ihn sein Freund und Nachbar, der Schriftsteller Lars Gustafsson, als "anspruchslos, liebenswürdig und intelligent". Tranströmer sei "ein großer Handwerker und Präzisionslyriker", dessen Gedichte in all den Jahren seines Schaffens "eigentümlich gleichgeblieben sind".
Gedichte, geprägt von Visionen
Tatsächlich ließ sich der Lyriker nie in aktuelle politische Diskussionen einbinden. Das nahmen ihm die Schweden zeitweise übel. Zumal Tranströmer von sich selbst sagte, seine eigentliche intellektuelle Leistung bestehe darin, "die Dinge deutlich zu machen". Doch ihm war es wichtig, in einer Welt voll Krieg, Gewalt und Streit den Überblick zu behalten und die Hoffnung nicht zu verlieren. Dabei habe er sich nie an irgendwelchen Dogmen orientiert, sagte Tranströmer 1986 in einem Interview mit dem "Svenska Dagbladet". Das Entscheidende sei für ihn nicht eine Ideologie, sondern "die Vision."
Und die war bisher meist positiv. Der Angst vor Krieg, Zerstörung und totaler Überwachung stellt Tranströmer die Zuversicht der Freiheit gegenüber. "In zweihundert Jahren werden wir uns treffen, wenn die Mikrophone in den Hotelwänden vergessen sind", schreibt er 1973 in seiner Anthologie "Pfade", "und endlich schlafen." Als Optimist glaubt der Lyriker an den Willen des Menschen, sich zum Guten zu wenden:
Mutlosigkeit bricht ihren Lauf ab.
Die Angst bricht ihren Lauf ab.
Der Geier bricht seine Flucht ab.
Das eifrige Licht rinnt hervor
auch Gespenster nehmen einen Schluck.
Unsere Malereien kommen zu Tage,
die roten Tiere unserer Eiszeitateliers.
Alles beginnt sich umzusehen.
Wir gehen in der Sonne hundertfach.
Jeder Mensch eine halboffene Tür
die führt zu einem Raum für Alle.
Der unendliche Boden unter uns.
Das Wasser leuchtet zwischen den Bäumen.
Der See ist ein Fenster zur Erde.
(Tomas Tranströmer: Der halbfertige Himmel, 1962)
Autorin: Sabine Damaschke
Redaktion: Marlis Schaum