1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

Transmenschen in Griechenland wollen mehr Sichtbarkeit

13. März 2022

Nirgendwo in Südosteuropa haben Transmenschen so viele Rechte wie in Griechenland. Die gesellschaftliche Anerkennung aber wächst nur langsam. Das hat auch mit den Medien zu tun.

https://p.dw.com/p/47zCg
Griechenland | Transmenschen | Katherine Reilly
Bild: Giannis Gigourtsis

Zwischen Tabu und Toleranz: Transmenschen in Griechenland

Manchmal fürchtet sich Katherine Reilly, wenn sie allein durch die Athener Straßen geht: "Gerade nachts, nach der Arbeit, wenn das Auto weit weg steht, habe ich ein komisches Gefühl." Gewalt an Frauen, das ist in Griechenland gerade ein Thema in den Medien. Eifersuchtsmorde, sexuelle Übergriffe, Vergewaltigung: Die #MeToo-Debatte hat auch hier an empfindlichen Tabus gerüttelt, und strukturelle, gesellschaftliche Probleme dringen endlich an die Oberfläche.

Katherine kleidet sich gern elegant und betont ihre Weiblichkeit. Lange, blonde, aufwendig frisierte Haare, ein kurzer Rock, lange Beine in schwarzen Strumpfhosen und hochhackige Schuhe: Die in Chicago geborene Griechin legt Wert auf ihr Äußeres. Vielleicht auch gerade, weil ihr ursprüngliches, biologisches Geschlecht eigentlich männlich war. Damit aber konnte sie sich nie identifizieren. Katherine war schon immer weiblich, seit sie denken kann.

Drei Männer sitzen in einem Cafe im Athener Viertel Plaka
In Athen trifft man sich traditionell im CaféBild: Kostis Ntantamis/Sputnik/dpa/picture alliance

Das Café Lithi im hippen Athener Stadtteil Gazi ist bekannt als Ort der Toleranz. Hier spielen sexuelle Vielfalt, Behinderung oder die Herkunft keine Rolle. Katherine sitzt an einem Tisch am Fenster und schreibt auf ihrem Laptop. Sie verdient ihr Geld mit Schreiben. Über zwanzig Veröffentlichungen kann sie vorweisen, darunter Kinder- und Abenteuerbücher und Abhandlungen über Weiblichkeit. Außerdem unterrichtet sie Englisch an einer privaten Schule.

"Ich bin die erste Lehrerin Griechenlands, die öffentlich als Transfrau lebt", sagt sie und lacht. Ihr Umfeld habe damit kein Problem: "Meine Kollegen und die Eltern unterstützen mich. Meine Schülerinnen und Schüler haben mich dazu überredet, einen Tik-Tok-Kanal einzurichten, und das hat eingeschlagen wie eine Bombe." Über 325 Millionen Mal wurde Katherines Profil dort aufgerufen. Die meisten Reaktionen, sagt sie, seien positiv.

Unterstützung im Dunkeln

In Griechenland ist es keine Selbstverständlichkeit, dass eine Transfrau Kinder unterrichten darf. Das Land ist tief-religiös und tut sich schwer mit Menschen, die vom klassischen Familienbild abweichen. Langsam aber brechen die traditionellen Rollenbilder auf.

Giannis Boutaris, der ehemalige Bürgermeister von Thessaloniki hat sich offen für die Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft eingesetzt. Auch Mitglieder der früheren Linksregierung unter Premier Alexis Tsipras (2015 bis 2019) haben offen die sexuelle Selbstbestimmung unterstützt.

Die amtierende konservativ-nationalistische Regierung hält sich bei dem Thema zurück, denn beliebt ist die neu gewonnene Freiheit längst nicht bei allen Griecheninnen und Griechen. Doch die Entwicklung hin zu einer offeneren, vielfältigeren Gesellschaft, ist längst nicht mehr aufzuhalten.

Blick auf Athen von der Kapelle des Propheten Elias aus
Kapelle bei Athen: Griechenland ist stark von der orthodoxen Kirche geprägtBild: Aris Messinis/AFP/Getty Images

"Ich würde mir wünschen, dass sich die Gegebenheiten ändern und dass auch andere Transmenschen ihre Fähigkeiten zeigen und sich beruflich entwickeln können", sagt Reilly. Sie selbst redet öffentlich über ihre sexuelle Identität - auch in den Medien. Sie will nicht nur hinter verschlossenen Türen sie selbst sein, sondern am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.

Dafür nimmt sie auch in Kauf, dass sie in den Medien selten über ihre Arbeit gefragt wird, zu einem ihrer vielen Bücher, zu Fragen der Sprachdidaktik oder zu feministischen Themen. "Es geht immer nur um meine sexuelle Identität", bedauert Reilly. Gleichzeitig weiß sie: Der Medienrummel um sie ist ein großer Schritt in eine bessere Welt.

Mehr Vielfalt in den Medien

Katherine Reilly ist die erste Transfrau, die tagsüber, also zur besten Sendezeit, für große Medien ein Interview gegeben hat, sagen Aikaterini Contarini und Mary Sakellariou von der Athener Initiative Human Cast. Die beiden Frauen haben es sich zur Aufgabe gemacht, die existierende Vielfalt der Gesellschaft endlich auch in den Medien nachvollziehbar zu machen: "Es gab in der Vergangenheit Interviews mit Transmenschen im Fernsehen, aber die liefen in der Regel gegen Mitternacht, damit sie nicht viele Menschen zu Gesicht bekommen", so Contarini.

In einer Medienstudie haben sie festgestellt: Das Fernsehen tut sich schwer mit Vielfalt. "2018 und 2019 haben wir in künstlerischen Produktionen nur zwei nicht-heterosexuelle Menschen in den Medien gesehen. Das hat sich in den vergangenen beiden Jahren verbessert. Aber Transmenschen in einer Fernsehserie gibt es noch immer nicht."

Aikaterini Contarini, Katherine Reilly und Mary Sakellariou sitzen an einem Tisch mit zwei Laptops
Katherine Reilly (M) wird von den Aktivistinnen Aikaterini Contarini und Mary Sakellariou unterstütztBild: Giannis Gigourtsis

"Früher wurden LGBTQI-Menschen wie Karikaturen dargestellt und sollten vor allem witzig wirken", unterstreicht Mary Sakellariou. Dies habe sich verbessert, doch gerade im fiktionalen Bereich gebe es viele Möglichkeiten, Vorurteile abzubauen.

Aikaterini Contarini sieht ein so wichtiges Medium wie das Fernsehen in der Pflicht. "Es gibt diese Kultur, dass Menschen nur so dargestellt werden, wie ich sie mir vorstelle, ohne auch nur zu versuchen, mich zu informieren. Serien erzählen aber doch Geschichten, die kreiert werden. Auf dieser Basis können Ängste abgebaut werden, denn die Menschen fürchten sich vor allem vor dem, was sie nicht kennen. Es geht hier um sozialen Zusammenhalt."

Rechtslage hat sich gebessert

Eine Studie aus den USA hat gezeigt, dass sich dort inzwischen über 20,8 Prozent der Menschen aus den Geburtsjahrgängen 1997 bis 2003 als nicht heterosexuell definieren, doppelt so viele wie in den Geburtsjahren 1981 bis 1996. Eine offene Debatte und Diversität in der medialen Darstellung führen auch zu einem differenzierteren Bild der Gesellschaft.

"Solche Zahlen liegen für Griechenland nicht vor", sagt Maria Elli Doufexi Kaplani, Soziologin und Forscherin bei der griechischen Organisation KMOP, die sich für vulnerable Menschen in der Gesellschaft stark macht. Studien innerhalb der EU aber zeigen, dass prozentual immer mehr Menschen öffentlich zu ihrer sexuellen Identität stehen.

Demonstranten protestieren gegen den Mord an einem Homosexuellen in Athen im Oktober 2018
Demonstration in Athen im Oktober 2018 nach dem Mord an einem Homosexuellen Bild: Louisa Gouliamaki/AFP/Getty Images

In Griechenland trage auch die Rechtslage dazu bei, so Doufexi Kaplani: "2017 wurde ein Gesetz erlassen, das es Transmenschen erlaubt, Namen und Geschlecht in den Dokumenten zu ändern, ohne dafür einen medizinischen Eingriff oder eine psychiatrische Begutachtung vorweisen zu müssen."

Allerdings mangle es an verlässlichen Daten, um die Situation von Transmenschen praktisch besser zu verstehen und Handlungsstrategien zu entwickeln - nicht nur in Griechenland, sondern überall, kritisiert Doufexi Kaplani. Es sei notwendig für Interessengruppe, Forscher und Entscheidungsträger, an einem Strang zu ziehen: "Politische Entscheidungsträger müssen in den Forschungsprozess einbezogen werden, um die Ziele gemeinsam abzustimmen und die Zusammenarbeit zu verbessern."

Porträt eines Mannes mit braunen Haaren und Bart
Florian Schmitz Reporter mit Schwerpunkt Griechenland