1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
GesellschaftDeutschland

Echt behindert! Folge 34. Die Psychos mischen sich ein

25. November 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: 2008 gründeten 15 Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen aus Berlin den Verein Kellerkinder

https://p.dw.com/p/43SqM

Zum Podcast geht es hier. 

Moderator, Matthias Klaus:

Willkommen, zu Echt behindert! Mein Name ist Matthias Klaus. Hin und wieder stellen sich behinderte Menschen die Frage: "Bin ich jetzt eigentlich behindert oder bin ich krank?" Zum Beispiel könnte ich mir die Frage stellen: "Habe ich eine Augenerkrankung oder bin ich sehbehindert?" Und wenn man sich diese Frage stellt, was bedeutet das dann eigentlich? Eine Krankheit kann vielleicht geheilt werden. Eine Behinderung bleibt. Oder ist das alles noch viel komplizierter? Gibt es vielleicht auch Menschen, die gemeinhin als krank angesehen werden, sich aber gar nicht so fühlen? Heute spreche ich mit jemandem, der vermutlich Erfahrung auf diesem Feld hat. Thomas Künneke vom Kellerkinder e.V. Schönen guten Tag, Herr Künneke.

Thomas Künneke: einen wunderschönen guten Tag

Matthias Klaus: "Kellerkinder" klingt ja irgendwie ein bisschen gruselig. Worum geht es denn bei Ihrem Verein?

Thomas Künneke: Wir haben uns im Keller gegründet. Im Souterrain einer Einrichtung haben wir diese Organisation im Jahr 2008 gegründet. Daher der Keller. Und "Kinder":  sehr häufig aus dem Erlebnis, dass wir oft mit unserer Beeinträchtigung, also Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, oft als "Kinder" bezeichnet werden, also "nicht ernst zu nehmen". Man muss für uns bestimmen, wir können das nicht selbst. Wir sind vielleicht ein bisschen gefährlich und immer sehr schwermütig.

Matthias Klaus: Wer hat diesen Verein gegründet damals?

Thomas Künneke: Der Verein wurde von ca. 14 bis 15 Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, aber auch mit Suchtbeeinträchtigungen gegründet.

Wir haben uns gegründet, weil wir, was unsere Beeinträchtigungen angeht, was den Umgang der Gesellschaft mit unserer Beeinträchtigung ausmacht, mehr Selbstbestimmung haben wollten.

Matthias Klaus: Wer kann denn bei Ihnen Mitglied werden? Kann sich da jetzt jeder melden, der meint, er hat irgendwie seelische Sorgen? Oder gibt es irgendwelche bestimmten Aufnahmevoraussetzungen bei Ihnen?

Thomas Künneke: Natürlich kann jeder bei uns Mitglied werden, der sich in diesem Bereich psychische Beeinträchtigungen, Krisenerfahrung (da gibt es sehr viele Labels zu) einordnen würde und sagt: "Ich möchte gerne bei euch mitmachen".

Wir sind keine Selbsthilfeorganisation. Das heißt, bei uns geht es ganz wenig darum, dass wir uns gegenseitig unser Leid erzählen, sondern wir verstehen uns schon eher als aktivistische politische Organisation, die für ihre Rechte eintritt.

Matthias Klaus: Ich habe es am Anfang gesagt Der Begriff "krank" und der Begriff "behindert" oder "eingeschränkt" steht ja manchmal ein bisschen im Widerspruch. Sie selber wehren sich direkt auf Ihrer Homepage gegen den Begriff "psychisch krank". Das ist ja doch eigentlich so gesellschaftlich landläufig immer noch ziemlich üblich, dass man "psychisch krank" sagt. Was spricht dagegen, dieses Wort zu benutzen?

Thomas Künneke: Ja, es hat schon ein bisschen was damit zu tun, dass ich ja eigentlich auch denke: Aktion Sorgenkind ist irgendwann auch mal auf Druck von Aktivistinnen aus der behinderten Bewegung eigentlich darauf aufmerksam geworden, ihren Titel zu ändern.

Ich bin früher Sozialarbeiter [gewesen]. Ich bin immer noch Sozialarbeiter! Ich war Sozialarbeiter, habe mehrere Einrichtungen geleitet. Ich habe mehrere sogenannte psychotherapeutische Titel. Und in dem Augenblick, wo ich mich dann geoutet habe, dass meine Seele manchmal leidet (ich sage das mal so) In dem Augenblick habe ich alle anderen Titel verloren. Die waren nicht mehr da! Das ist der "psychisch Kranke"!

Ja, sowohl in meiner alten Community wurde ich nicht mehr so ernst genommen wie auch, sage ich mal, wenn ich zum Arbeitsamt ging, oder wenn ich irgendwas versuchte, mein Leben wieder ein bisschen auf die Beine zu stellen.

Matthias Klaus: Was meinten Sie gerade mit therapeutische Titel?

Thomas Künneke: Ich bin systemischer Familientherapeut, ich bin Sozialtherapeut. Also ich habe sehr viele Ausbildungen im Bereich der Begleitung von Menschen, die so was wie Gesprächstherapie brauchen, die so was wie einen intensiven Austausch mit ihrer Seele benötigen und die dabei auch diese notwendige Unterstützung brauchen.

Matthias Klaus: Das heißt: "der Psychotherapeut, der selber einen an der Waffel hat". Das  ist sozusagen dann ein regelrechtes Klischee! Und sie haben das wirklich so erlebt, dass man Sie dann nicht mehr ernst genommen hat als Therapeut.

Thomas Künneke: Nein, nein, diese ganzen Titel habe ich wirklich verloren - von meinem Gefühl. Wenn ich zum Beispiel irgendwo aufgetreten bin, wurde der Teil meiner Person einfach nicht mehr wahrgenommen.

Das heißt, ich wehre mich sehr stark, oder wir bei den Kellerkindern (das kann natürlich jeder für sich selbst entscheiden) wir wehren uns sehr stark gegen dieses "psychisch krank". So erlebe ich es und auch viele Menschen, mit denen wir hier zusammen kämpfen, mit denen wir zusammen Aufklärungsarbeit machen.

Viele dieser Menschen erleben ihre Beeinträchtigung auch als Lösung. Das heißt, wenn ich meine Beeinträchtigung nicht hätte, (dass ich manchmal sehr traurig bin, dass ich manchmal vielleicht auch Suizidgedanken habe), hilft mir das  oft über Situationen hinweg, wo ich in ein tiefes Trauma komme.

Ich bin auf Grund eines Traumas, aufgrund jahrelangen sexuellen Missbrauchs als Kind, in diese Situation gekommen. Und ich glaube, wenn ich das Leid immer wieder aushalten müsste, ohne dass ich zwischendurch nicht wieder ein bisschen abtauche, ein bisschen in diese Depression gehe, dann würde ich nicht mehr leben.

Das heißt nicht, dass ich nicht oft möchte, dass sich andere Lösungsmöglichkeiten finden. So ist es meist auch nicht: Dass ich es gut finde, wenn ich wirklich sehr, sehr traurig bin und auch noch sehr, sehr schlecht rauskomme.

Sie erleben mich gerade nicht so. Aber dann habe ich meine Unterstützungssysteme. Das begleitet mich und dann finde ich auch wieder den Weg in diese andere Realität. Aber letztendlich ist der Teil ein Teil von mir. Ich weiß nicht, wie Ihnen "das geht", so in Anführungszeichen. Aber der Teil hat mich geprägt.

Das, was ich heute bin und wie ich bin, ist auch ein "Teil von dem" (in Anführungszeichen), was die anderen als "psychisch krank" bezeichnen. Ich will eben, dass die Menschen verstehen, dass es einen Teil in mir gibt, wo ich sage: Wo die Seele kämpft aufgrund bei mir von biografischen Erfahrungen, aber dass es eben noch ganz, ganz viele andere Teile in mir gibt, die gut funktionieren, die gut mit diesem Leben klarkommen und die vielleicht auch für die anderen Menschen in ihrem Leben sehr interessant wären, wenn sie sich mit den Teilen auseinandersetzen.

Matthias Klaus: Sie sagen "psychisch krank" ist kein guter Begriff. Hätten Sie denn eine bessere Idee? Was wir denn stattdessen sagen können, um der Sache gerecht zu werden?

Thomas Künneke: Ich finde, ich Wechsel das ja.

Matthias Klaus: Machen Sie mal ein paar Vorschläge!

Thomas Künneke: Ja, ja, weil ich immer so denke: Es wird so schnell zu einer Stigmatisierung. Wir haben uns eigentlich angewöhnt, dass wir das öfter wechseln. Wir haben eine Zeit lang diesen Begriff "psychische Hindernisse" genannt, was ich eigentlich vom Bild ganz schön finde. Weil: es gibt in meinem Leben eben Hindernisse, über die ich drüber springen muss, wo andere vielleicht viel einfacher mit umgehen.

Wir nehmen es auch oft im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention als "psychische Beeinträchtigung". Aber ich nehme auch zunehmend den Begriff der psychischen oder seelischen "Behinderung", aber eher in dem Verständnis von: Es gibt Hindernisse da draußen und wenn man die wegmachen würde, würde ich mit meinem Anderssein sehr, sehr gut klarkommen.

Matthias Klaus: Womit wir dann auch dabei wären, warum wir das heute hier überhaupt besprechen. Sie sehen sich selbst als Teil der Behindertenaktivisten oder Behindertenbewegung. Ist das richtig?

Thomas Künneke: Ja, ich glaube, ohne die Behindertenbewegung, ohne Aktivisten mit anderen Beeinträchtigungen wären die Kellerkinder nicht da, wo sie sind. Ja, wir sind Zentrum der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben - einigen  von den Zuhörenden vielleicht bekannt.

Otmar Miles Paul oder auch Sigrid Arnade, haben uns Kellerkinder erst auf diese Idee gebracht, für unsere Rechte wirklich einzutreten. Und ich glaube, die Bewegung hat uns unendlich geprägt. Ja, ich arbeite neben dem, dass ich im Vorstand im Kellerkinder e.V. bin, hauptamtlich bei der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben.

Und ich finde dieses Behinderungsübergreifende Denken, dieses "Wir", dass wir uns gegenseitig mit unseren Diskriminierungserfahrungen verstehen, als einen unendlich wertvollen Teil. Meine Erfahrung der letzten zehn Jahre ist: Ohne diese Idee glaube ich, wären die Kellerkinder eine Selbsthilfeorganisation und wir würden uns über unser Leid unterhalten.

Matthias Klaus: Sie sagten: "über ihr Leid unterhalten". Das wollen sie eigentlich nicht. Dennoch haben Sie ja 180 Mitglieder. Was ist denn Ihr Angebot an die Mitglieder? Warum sollte ich denn bei Ihnen eintreten?

Thomas Künneke: Unser Angebot an die Mitglieder ist eigentlich, sich mit ihrem Anderssein auseinanderzusetzen, für sich selbst ein anderes Verständnis zu entwickeln. Die Unterstützung, was das Leid angeht: Da gibt es ein Versorgungssystem, da kann man sich Unterstützungsleistungen einholen. Da kann man sich Assistenz einholen, die einem über gewisse Hürden im Leben vielleicht ein stückweit hinweg hilft.

Wir haben eigentlich eher die Idee (und ich glaube, das ist auch das Gefühl, was die Menschen haben, die bei uns aktiv Mitglied sind oder auch nicht so aktiv Mitglied sind): Wir Lernen hier uns selbst zu empowern, unsere Stärken wahrzunehmen, uns nicht immer über unsere Schwächen zu unterhalten.

Und ich glaube das. Ich habe jetzt viele Beispiele von Menschen, die zu uns gekommen sind: Keine Arbeit, relativ isoliert etc., die heute in fester Arbeit sind. Die heute sagen: Ich bin auch ein stückweit stolz mit meinen Hindernissen dieses überlebt zu haben. Ich bin ein stückweit stolz, so zu sein, wie ich bin. Und ich muss mich nicht unbedingt ständig verändern, sondern ich muss lernen, mit dem wie ich bin, so umzugehen, dass es mir damit gut geht.

Matthias Klaus: Sie beziehen sich in dem, was Sie veröffentlichen, auf die Menschenrechte. Sie beziehen sich auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Was ist für Sie das menschenrechtliche Verständnis in Ihrer Arbeit? Auf was beziehen Sie sich bei der UN-Behindertenrechtskonvention genau?

Thomas Künneke: Ich würde drei wichtige Begriffe setzen: Selbstbestimmung, Bewusstseinsbildung und Partizipation. Das sind die drei Begrifflichkeiten, mit denen wir täglich häufig handeln: Wir stärken die Menschen und bestärken uns in der Begrifflichkeit. Wir dürfen selbst bestimmen. Jeder von uns ist (gerade in dem Bereich von Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen) was Zwang angeht (in Krankenhäusern, Fixierungen, Zwangsmedikation) immer noch nicht ganz so weit hergeholt, dass es da nicht auch Sachen gibt, wo wir überhaupt keine Selbstbestimmung haben, auch nicht über unsere Körper.

Bewusstseinsbildung ist uns ganz wichtig. Dieses "psychisch krank" führt ganz oft zu Stigmatisierung. Also wenn heute ein Anschlag in Deutschland oder in der Welt passiert, sind es entweder Terroristen oder psychisch Kranke, das sind so diese beiden Gruppen. Es ist ganz viel Stigmatisierung in diesem Begriff und wir versuchen einfach durch öffentliche Arbeit, durch Öffentlichkeit darauf hinzuweisen: Ich bin viel mehr! Ich habe eine psychische Beeinträchtigung, aber ich bin viel mehr!

Das ist diese Bewusstseinsbildung und natürlich Partizipation. Das ist unser täglich-Brot. Dafür, dass wir jetzt nicht so eine große Organisation sind, mischen wir uns unendlich ein. Wir mischen uns überall ein, wo wir uns einmischen können und versuchen darauf hinzuweisen, ja, dass es eben ohne uns nicht geht.

Matthias Klaus: Wo mischen Sie sich denn überall ein?

Thomas Künneke: Dieses Projekt: Partizipativer Landschaftstrialog, das hört sich ja unendlich schwierig an. Wir sind vielleicht auch nicht mehr ganz so glücklich mit dem Projekt.

Es ist ein Projekt, das auch durch den Partizipationsfonds des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales gefördert wird. Und in diesem Bereich versuchen wir diese sogenannte "Versorgungslandschaft" (und deswegen kommen wir auf diesen Begriff) zu prüfen:  Inwieweit die Versorgungslandschaft für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, also die Unterstützungslandschaft menschenrechtlich orientiert ist.

Und dieses dialogische daran ist, dass wir in diesem Projekt, was jetzt zwei Jahre läuft, eben nicht nur Betroffene in das Projekt reinholen, sondern Ärzte, Pflegerinnen, Angehörige - alle die an dieser Versorgungslandschaft beteiligt sind. Und wir suchen: Wo ist die menschenrechtlich organisiert und wo ist sie fremdbestimmt organisiert.

Und wir versuchen hier Modelle zu entwickeln, miteinander, die letztendlich diese Versorgungslandschaft zunehmend menschenrechtlich auf so einer menschenrechtlichen Basis aufbauen, was unendlich schwierig ist.

Matthias Klaus: können wir noch mal ein bisschen klären: Was ist Versorgungslandschaft?

Thomas Künneke: Versorgungslandschaft? Das heißt bei uns: Wenn Sie irgendeine Unterstützungsleistung bekommen. Früher hieß das "Hilfen". Wir sprechen ganz gerne von "Unterstützungsleistungen", weil "Hilfen" immer so klingt, als ob man dankbar sein muss. Da sind wir natürlich nicht, sondern wir haben ein Recht auf unsere Unterstützungsleistungen.

Wenn wir Unterstützungsleistungen bekommen, kommt man in die sogenannte Versorgung, in die psychosoziale Versorgung, entweder ins Krankenhaus oder in eine Eingliederungshilfemaßnahme etc. Das ist die Versorgung, wie Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen in Deutschland Unterstützung bekommen.

Matthias Klaus: Was für Ideen haben Sie denn bislang, was man verändern müsste?

Thomas Künneke: Ich würde einfach mal ein Beispiel geben: Wenn Sie in Baden-Württemberg wohnen würden. Und in Baden-Württemberg gibt es ein Krankenhaus. Das ist von einem Herrn Martin Winkler geleitet, der jetzt nicht mehr da ist. Aber bis vor vier Monaten war der Leiter dieses Krankenhauses und in diesem Krankenhaus gibt es so gut wie keine Zwangsmaßnahmen mehr. Das heißt, es gibt so gut wie keine Maßnahmen mehr, wo Menschen gegen ihren Willen fixiert werden, wo Menschen gegen ihren Willen mit Medikamenten behandelt werden. Das ist unter einem Prozent.

In den anderen Kliniken in Baden-Württemberg gibt es bis zu 15 Prozent Zwangsmaßnahmen. Also 15 Menschen von 100 Menschen, die in diese Klinik kommen, kriegen eine Behandlung gegen ihren Willen.

Beide Krankenhäuser müssen aber alle Klienten aufnehmen. Das sind sogenannte "Regelfallkrankenhäuser".  Das heißt: Sie können nicht sagen: "Du bist zu schwer!"

Also Heidenheim und die anderen Krankenhäuser haben "die gleichen" (in Anführungszeichen) Kliniken. Und dann fragen wir uns natürlich, wie kommt es dazu, dass in dem einen Krankenhaus die Wahrscheinlichkeit ist, dass was gegen meinen Willen gemacht wird, gegen Null geht? Und in dem anderen Krankenhaus ich eine große Gefahr sehe, dass etwas gegen meinen Willen gemacht wird, was letztendlich oft auch zu heftigen Traumatisierungen führt.

Matthias Klaus: Das heißt, an solchen ganz konkreten Dingen arbeiten Sie mit, um zu überlegen, und auch vielleicht Vorschläge zu machen für psychiatrische Kliniken: Wie können wir das ändern? Was können Sie stattdessen machen, anstatt immer sofort Medikamente zu geben?

Thomas Künneke: Wie können wir auch die Menschen, die in diesen Krankenhäusern arbeiten, unterstützen? Die Menschen, die da die Pflege machen, die Ärzte, die da behandeln? Ich gehe erst mal davon aus, dass sie so was eigentlich nicht einsetzen wollen, sondern dass es so ein Automatismus geworden ist: "Wenn der kleine Thomas ein bisschen schwierig wird, dann müssen wir aufpassen und besser wir machen was, damit er ruhiggestellt wird". Und solche Formate sind "natürlich" (in Anführungszeichen), wenn wir uns die UN-Behindertenrechtskonvention ansehen, eigentlich überhaupt nicht möglich.

Matthias Klaus: Sie machen nicht nur den Landschaftstrialog, sondern es gibt zum Beispiel das Projekt Geh-Denken. Also das schreibt sich Geh- wie gehen und dann Denken. Was machen Sie da?

Thomas Künneke: also so richtig in Fahrt gekommen im Sinne von: "Wir dürfen mitreden", im Sinne von: "Wir lassen auch nicht mehr die anderen unsere Geschichte erzählen", sondern: "Wir erzählen unsere Geschichten" ist es eigentlich durch dieses Gedenken gekommen.

Das war im Jahre 2013, so eine, sage ich mal, richtige Zündung geworden, dass wir uns einmischen. Es gibt in Berlin den Gedenkort T4. Das ist der Ort, wo an die Menschen gedacht wird, die im Nationalsozialismus im Rahmen der (Anführungszeichen!) "Euthanasie" getötet wurden. Es sind 300.000 Menschen mit Behinderung gewesen.

Da gibt es einen zentralen Gedenkort, der liegt an der Philharmonie. Und da war diese Veranstaltung, wo daran gedacht wurde. Und da dachten wir auch: Da gehen wir mal hin!

Wir waren es früher noch mehr, sind aber auch heute noch so ein bisschen Aktionisten, haben uns auch dementsprechend gekleidet mit einem T-Shirt, wo was drauf stand, wie: "Meine Seele leidet!"

Und  wir sind dann in diese Veranstaltung gegangen und haben festgestellt: Menschen mit Beeinträchtigungen haben sich da nicht dran beteiligt. Da waren nur Profis oder irgendwelche Historiker. Aber Menschen mit Beeinträchtigungen waren da nicht beteiligt!

Die haben uns sogar ausgegrenzt, die waren komplett mit uns überfordert. Jetzt kommen zu der Gedenkveranstaltung wirklich Menschen mit Beeinträchtigung! Und ich dachte: Eigentlich müsste diese Veranstaltung voll sein mit Menschen mit Beeinträchtigung!

Und dann haben wir uns ganz früh mit diesem Thema beschäftigt. Wir haben Videos darüber gedreht, wir haben miteinander die sechs [Tatorte] aufgesucht.

Es gibt sechs Orte in Deutschland und in Österreich, wo Menschen vergast wurden aufgrund ihrer Behinderung und ihrer "Wertlosigkeit" – "unwertes Leben" [so bezeichnete das NS-Regime Menschen mit bestimmten Behinderungen]. Wie oft davon gesprochen wird! Und wir haben da versucht Aktion zu machen und haben versucht, uns da zu informieren. Und damit ist dieses Thema "Erinnern" für uns fürs Heute ein ganz zentrales und wichtiges Thema geworden, zu dem wir heute noch ganz, ganz viele Sachen machen.

Wir sind Mitglied im Förderkreis Gedenkort T4, ein relativ anerkannter Verein zu diesem Thema. Ich bin da auch Zweiter Vorsitzender. Und da geht es eigentlich immer ganz, ganz viel um dieses Thema: Wir müssen letztendlich an diese Zeit erinnern, damit sie nicht wiederkommt. Wir müssen aber auch an diese Zeit erinnern, weil es eigentlich bedeutet, dass Menschen mit Behinderung "nichts wert" sind.

Und wenn man sich anguckt, dass die Menschenrechte, zwar nicht direkt die UN-Behindertenrechtskonvention, aber dass die Menschenrechte [als solche] ein Resultat des Nationalsozialismus waren, passt das auch ganz gut zum Thema UN-Behindertenrechtskonvention.

Das heißt, die allgemeine Deklaration der Menschenrechte ist 1948 aufgrund der Ereignisse des Nationalsozialismus entstanden. Und es ist wichtig, dass dieses Thema eben nicht nur von Historikern bespielt wird, sondern dass Menschen mit Beeinträchtigungen sich ganz aktiv in dieses Thema einmischen.

Einspieler:

Jingle, Sprecher: Sie hören echt behindert den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcastplattformen, E-Mail-Feedback und Kommentare an echt.behindert@dw.com. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/echtbehindert. und bewerten Sie uns, wo immer Sie uns hören.

Matthias Klaus: Haben Sie selbst Psychiatrieerfahrung? Waren sie mal in der Klinik? Mussten sie mal in die Klinik?

Thomas Künneke: Also ich war schon mal in der Klinik. Es ist keine Frage, aber immer freiwillig. Also auch nur einmal. Einmal war ich freiwillig in einer Klinik.

Ich bin ein privilegierter Mensch mit einer psychischen Beeinträchtigung. Einfach aufgrund meines Hintergrundes habe ich immer ein sehr gutes soziales Umfeld gehabt, das Klinik unnötig macht.

Aber das hat damit zu tun, dass ich Geld verdient habe. Es hat was damit zu tun, dass ich einflussreiche Freunde hatte. Es hat was damit zu tun, dass ich in meinen Krisen durch andere begleitet wurde, ohne ins Krankenhaus gehen zu müssen. Andere wären in der Situation schon längst im Krankenhaus gewesen. Das ist sehr privilegiert, meine Situation.

Aber ich habe natürlich viele Menschen kennengelernt, die diese privilegierte Situation nicht hatten und die viele Jahre auch im Krankenhaus verbracht haben.

Matthias Klaus: Die haben sie auch teilweise als Mitglieder in ihrem Verein, vermute ich mal.

Thomas Künneke: Das sind ganz viele, nicht nur teilweise! Es sind die meisten Mitglieder! Ich bin da wirklich eine große Ausnahme.

Matthias Klaus: Gibt es so etwas wie den offiziellen Kellerkinder-Standpunkt zum Thema Psychiatrie? Ist das an sich gut gemeint und geht nur immer schief? Oder ist das etwas, was man endlich mal abschaffen sollte? Oder ist es in anderen Ländern viel besser? Wie sieht es da aus?

Thomas Künneke: Wir sind keine anti-psychiatrische Organisation. Das heißt, wir sagen: Wenn Menschen für sich bestimmen, dass sie professionelle Unterstützungsleistungen benötigen und dass das gut für sie ist, ist das im Rahmen ihres Selbstbestimmungsrechtes vollkommen okay. Sie müssen gut aufgeklärt sein, damit sie über die vielen Möglichkeiten Bescheid wissen.

Aber wer das für sich bestimmt und sagt: "Das ist der richtige und gute Ort für mich". Und das kann auch ein Krankenhaus sein. Dann ist das vollkommen okay. Andere Leute sagen: "Mit diesen Einrichtungen, mit diesen Institutionen möchte ich nichts zu tun haben". Das ist auch vollkommen okay.

Das heißt auch untereinander bedeutet das Miteinander bei den Kellerkindern nur Toleranz, aber immer in dem Sinne: Jeder bestimmt für sich selbst. Und keiner sagt für mich, was für mich gut ist.

Matthias Klaus: In Ihrem Forderungskatalog steht nicht so was drin wie: Psychiatrien müssen an sich abgeschafft werden!

Thomas Künneke: Ich hätte ganz gerne vielleicht einen anderen Namen dafür. Ich hätte auch gerne ganz andere Orte dafür. Aber dass es Unterstützungsleistungen in großen Krisen geben sollte, die ich nutzen kann, damit (in Anführungszeichen) ich nicht "mit einem Schlag ganz, ganz viel meines Lebens kaputt mache". Das finde ich supergut.

Matthias Klaus: Auch um sich mal notfalls vor sich selbst zu schützen…

Thomas Künneke: Ich weiß gar nicht immer, dieses Wort: "Vor sich selbst zu schützen…"

Matthias Klaus: Sagt man das nicht so?

Thomas Künneke: Ja, aber das hört sich ja immer an… Das ist immer etwas, was mit "gefährlich" zu tun hat. Wenn ich mit der Lebenssituation, in der ich mich gerade befinde, nicht gut zurechtkomme [sollte man doch] nicht warten, bis man sich vor sich selbst schützen muss, sondern viel früher [handeln]. Ich [brauche dann] einen Ort […] der gut ist, der mich unterstützt, in dem ich mich gerade kurz erholen kann, um mein Leben danach weiterzuleben. Wenn es einen solchen schönen Ort gibt, kommt es gar nicht dazu, dass irgendeiner vor mir geschützt werden muss.

Matthias Klaus: Ist das Tablettengeben, das Geben von Psychopharmaka überhaupt eine Option? Oder ist das etwas, was eigentlich immer nur gemacht wird, damit man es einfach hat mit den Patienten?

Thomas Künneke: Das ist unterschiedlich. Also ich kann da gut von mir reden: Ich habe viele Medikamente konsumiert und ich konsumiere auch gerade zurzeit Medikamente und immer mit dem Bewusstsein, dass ich weiß: Ich habe vielleicht für einen Moment etwas Entspannung, damit ich mit meinem Leben gut klarkomme, aber ich weiß auch immer: Es hat immer einen Preis.

Das heißt, die meisten Medikamente (ich kenne jetzt keins, was nichts hat) haben Nebenwirkungen und mir muss das von vornherein sehr klar sein: Ich weiß, dass es diese Nebenwirkungen gibt.

Es gab mich früher mal schlank und rank. Sie können mich nicht sehen, aber ich habe früher etwa 65 Kilo gewogen. Das habe ich jetzt fast verdoppelt. Und da ist natürlich zum Teil auch Schuld, dass ich diese Medikamente konsumiert habe. Also diese Medikamente haben eine Nebenwirkung und ich bin immer sehr bemüht, diese Medikamente immer nur für eine Zeit einzusetzen, wenn es mir gerade nicht so gut geht, weil ich weiß: Dann helfen sie mir vielleicht ein bisschen.

Anderen helfen sie aber nicht. Medikamente werden in Deutschland viel zu früh gegeben. Medikamente werden in Deutschland mit einer viel zu hohen Dosis gegeben, gerade auch Neuroleptika. Das sind dann so Medikamente, die ja  in diesem Bereich (in Anführungszeichen), "Schizophrenie" etc. (und was man sonst noch so als Labels nutzt) gegeben werden.

Alle diese Medikamente haben eine Nebenwirkung und alle Medikamente müssen sehr vorsichtig eingesetzt werden, wenn sie überhaupt genutzt werden. Das heißt: Auch da geht es nicht aus meiner Perspektive oder aus der offiziellen Perspektive der Kellerkinder um Ja oder Nein. Sondern da geht es darum, dass jeder von uns gut informiert sein soll, jeder von uns selbst bestimmen kann, jeder von uns was ausprobieren kann, damit er seinen richtigen Weg findet.

Mein Weg heißt: Manchmal Medikamente nehmen. Andere Wege heißen: Wir nehmen sie dauerhaft. Das ist aber eher seltener. Und andere Wege heißen: Wir nehmen überhaupt keine. Und da sind wir alle sehr unterschiedlich.

Matthias Klaus: Noch mal vielleicht ganz kurz zurück zu Ihrem Verein Warum muss es diesen Verein in Deutschland überhaupt geben? Was ist das, wo Sie sagen, wir als Aktivisten müssen gegen die folgenden zwei, drei Sachen jetzt endlich mal angehen?

Thomas Künneke: Ich glaube, dass der Kellerkinder e.V. (das will ich nicht als Alleinstellungsmerkmal) sehr, sehr stark dafür steht (und wovon es sehr, sehr wenig gibt), dass wir sehr wenig sagen: "Es geht nicht!"

Wie zum Beispiel im Bereich vom Bundesverband-Psychiatrieerfahrener, der Psychiatrie-Unterstützungsleistungen aus der professionellen Seite eher ablehnt oder Selbsthilfeorganisationen, die sich eigentlich nur mit Diagnosen und Krankheit beschäftigen. Das sind so zwei Pole, die es ganz, ganz häufig gibt in Deutschland.

Und wir sagen ganz eindeutig: Nein! Wir sind als Organisation angetreten, um unsere Stellung zu stärken, um Stigmas aufzuheben, um ein Mitspracherecht zu haben. Und deswegen sind wir auch in ganz, ganz vielen Organisationen unterwegs und da glaube ich auch schon relativ bekannt: Ja, die Kellerkinder, das sind "die Psychos" (in Anführungszeichen) und die mischen hier mit!

Natürlich sind wir in der Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben. Wir sind in der Liga Selbstvertretung. Wir haben aber auch schon mitgewirkt bei dem neuen Gesetz zum Betreuungsrecht. Wir sind einbezogen im Rahmen der Qualifizierung der EUTBs (Ergänzende unabhängige Teilhabeberatung). Wir arbeiten da mit, um zu fragen: Wie sollte eine gute, Ergänzende unabhängige Teilhabeberatungsstelle aussehen? Im Rahmen des Bundesministeriums: Wir sind da in das Forschungsprojekt mit einbezogen - als Beirat.

Also wir sind in ganz vielen Sachen unterwegs im G-BA [Gemeinsamer Bundesausschuss] mischen wir mit, also im Gemeinsamen Bundesausschuss, da wo entschieden wird: Was sind gute Unterstützungsleistungen im Sinne der Medizin für Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen? Also wir sind in vielen diesen Organisationen vertreten und versuchen unsere Anliegen durchzusetzen.

Matthias Klaus: Thomas Künneke erzählt hier vom Kellerkinder e.V. Das war Echt behindert! schon fast für heute. Vielleicht noch der Hinweis Die Webseite, die dazu passt, heißt: www.Seeletrifftwelt.de (Alles zusammengeschrieben).

Dort lässt sich alles finden, was die Kellerkinder machen, welche Meinungen sie haben, welche Projekte sie betreiben, auch Details über die Projekte. Herr Künneke, ich danke Ihnen dafür, dass Sie Zeit hatten, uns hier Ihren Verein vorzustellen, zu erklären, was Sie machen.

Thomas Künneke: Ich habe mich dolle gefreut, dass Sie mich zu diesem Podcast eingeladen haben. Es macht mir immer wieder viel Spaß, über die Entstehung unseres Vereins nachzudenken. Weil, wenn diese Frage kommt, hat es auch immer ein bisschen was damit zu tun, dass es für die Mitglieder auch noch mal nachvollziehbar ist, was wir die Letzten über 10 Jahre auch geleistet haben. Danke!

Matthias Klaus: das war Echt behindert! für heute. Mein Name ist Matthias Klaus.

Jingle: Mehr Folgen unter DW.com/echtbehindert

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.