28. Sexualität und Behinderung – ein doppeltes Tabu
27. August 2021Jingle: DW. "Echt behindert!"
Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus. Im September 2021 soll im deutschen Fernsehen die erste Dating Show mit Menschen mit Behinderungen an den Start gehen.
Ob das nun eine "Freak-Show" wird oder "sensibel und inklusiv", das weiß man jetzt noch nicht. Sicher ist nur eins: Das wird für die Macher wahrscheinlich nicht einfach, denn das Thema ist ja kompliziert.
Es gibt vielleicht das eine oder andere Buch oder den einen oder anderen Film, wo Sexualität mit Behinderung dargestellt wird. Manche haben vielleicht auch schon mal von Sexualbegleitung gehört. Aber an sich ist das Thema nach wie vor tabuisiert und extrem komplex und kompliziert.
Heute bei mir im Podcast ist Charlotte Zach. Sie hat einen Newsletter zum Thema veröffentlicht - jetzt seit mehreren Monaten. Schönen guten Tag, Frau Zach.
Charlotte Zach: Hallo, schön, dass ich hier bin, also hier sein darf!
Matthias Klaus: "Berührungspunkte" heißt Ihr Newsletter. Worum geht es da?
Charlotte Zach: Es geht um Sexualität, Körperlichkeit und Behinderung. Und ich, oder wir, haben das Thema auch ganz bewusst so breit gewählt, weil ja die Dinge ineinander übergehen. Es geht ja nicht immer nur um den sexuellen Akt im engeren Sinne, wobei auch das ja schon eine sehr subjektive Entscheidung ist, was da alles dazugehört. Sondern es geht eben auch um die Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper, mit dem eigenen Gefühl für den Körper, mit Körperlichkeit, mit Berührungen im Allgemeinen, weil das ja alles irgendwie miteinander verknüpft ist.
Matthias Klaus: Was interessiert Sie daran? Das ist jetzt ein Thema, wo man nicht so einfach drüber spricht. Es fällt mir, ich gestehe es selber, auch schwer.
Charlotte Zach: Ja, das stimmt.
Matthias Klaus: Also ein Thema, wo auch Sie vielleicht selber sagen: "Über Kochen oder Einkaufen lässt sich leichter reden". Also was interessiert Sie genau an diesem Thema?
Charlotte Zach: Ja, das ist ja aber auch genau schon Teil der Motivation, dass es eben ein klassisches Tabuthema ist. Ich würde sogar so weit gehen, dass es ein doppeltes Tabuthema ist, weil ich denke, dass Sexualität in einer bestimmten Art und Weise nach wie vor überhaupt auch noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft ist.
Dinge werden zwar in vielen Bereichen sehr stark sexualisiert, aber ein offenes Gespräch über tatsächlich reale Sexualität wird recht wenig geführt in der Öffentlichkeit, meiner Meinung nach. Sondern es geht eher immer sehr über stereotype und auch sehr überzeichnete bestimmte sexuelle Vorlieben und Ideen dessen, wie Sexualität funktionieren würde und wenig um reale Menschen im realen Leben.
Und dann ist das Thema Behinderung meiner Meinung nach auch generell ein Tabuthema immer noch in unserer Gesellschaft. Menschen mit Behinderung sind in den Medien stark unterrepräsentiert. Sie sind in der Politik stark unterrepräsentiert. Sie sind im gesellschaftlichen Diskurs, also in der Frage: "Wie wollen wir miteinander leben?" stark unterrepräsentiert in ihren Bedürfnissen.
So, und dann kommen diese beiden Themen aufeinander und das ist sowieso das absolute Mega-Tabuthema, meiner Meinung nach. Viele Menschen mit Behinderung beschreiben auch, dass sie viel das Gefühl haben, dass ihnen das Thema Sexualität einfach komplett abgesprochen wird.
Ich bin selber Rollstuhlfahrerin. Ich bin 27 Jahre alt und ich kann das selber auch aus meiner Erfahrung berichten, dass es mir schwer gefallen ist, mir diese Rolle als junge Frau, die auch eine Sexualität hat und eine Sexualität leben möchte, zuzugestehen und quasi einfach auch ein bisschen zu erarbeiten in dieser Gesellschaft. Und das ist so ein bisschen eigentlich die Motivation, die dahinter steht.
Matthias Klaus: Haben Sie eine Erklärung dafür? Warum ist es so, dass die Durchschnittsgesellschaft die Menschen, die sich mit Behinderung nicht auskennen, sich damit nicht beschäftigen, erst mal davon ausgehen, dass der gemeine Behinderte eigentlich erst mal überhaupt keinen Sex hat?
Charlotte Zach: Also ich glaube, das liegt an mehreren Punkten: Da spielt einmal ganz stark die Infantilisierung, also die Verkindlichung von Menschen mit Behinderung rein. Also, Menschen mit Behinderung wurde ja über Jahrhunderte hinweg mehr oder weniger abgesprochen und wird zum Teil auch immer noch, dass sie für sich selber entscheiden, sorgen, sich kümmern können, also im Prinzip, dass sie mündig sind. Und Mündigkeit hat was mit Erwachsensein zu tun - damit, ein vollwertiges Mitglied in der Gesellschaft zu sein.
Das wiederum hat auch ganz viel, über Jahrhunderte hinweg, mit der Frage zu tun damit gehabt, ob man quasi auch einen Mehrwert für die Gesellschaft bietet - also, ob man irgendwie produktiv ist in irgendeiner Form. Und das hängt alles miteinander zusammen.
Wenn ein Mensch oder eine Personengruppe, über viele Jahre oder Jahrhunderte so behandelt werden wie Kinder, weil sie in den Augen der Mehrheitsgesellschaft pauschalisierend als "nicht entscheidungsfähig" oder "nicht mündig" und "nicht für die Gesellschaft hilfreich" angesehen werden, sondern also nur als Invalide, die nichts beitragen können, dann wird einem dieser Teil des Erwachsenseins, glaube ich auch einfach abgesprochen.
Und das andere ist, glaube ich, tatsächlich auch so eine evolutionär-biologistische Perspektive. Also ich glaube schon, dass ist so ein instinktives zurückschrecken, vor Allem was irgendwie nicht gesund aussieht. Das heißt aber, eigentlich geht es dann vor allem Menschen so, denen man ihre Behinderung auch ansieht, dass das entweder als nicht attraktiv oder nicht reproduktionsfähig empfunden wird.
Matthias Klaus: Wie können behinderte Menschen - die ja wie man weiß oder wie man inzwischen auch einsieht, durchaus sexuelle Bedürfnisse haben, auch Bedürfnisse nach Partnerschaften - wie können die das äußern? Wie können behinderte Menschen - ich sag jetzt mal "wir" - wie können wir andere Menschen finden?
Es gibt ja Partnerbörsen zum Beispiel. Wenn man im Internet liest, was Menschen mit Behinderung auf normalen Partnerbörsen für Erfahrungen machen: Da wird dann sofort der Chat abgebrochen, wenn die Behinderung verraten wird!
Aber es gibt ja auch Partnerbörsen, so wie "Handicap Love" oder "Schatzkiste", wo Menschen mit Behinderung sozusagen mehr oder weniger unter sich sind. Wie finden Sie das, dass Menschen mit Behinderung dort unter sich sind?
Charlotte Zach: Also für mich subjektiv wäre es, glaube ich nichts. Das Problem ist ja, dass diese Partnerbörsen in der Regel - oder der überwiegende Anteil davon - nicht als "unter sich" angepriesen oder vermarktet werden, sondern als "inklusiv". Und ich finde nicht, dass es inklusiv ist, wenn man am Ende unter sich ist. Also, das ist nicht die Idee von Inklusion.
Das ist übrigens nicht nur bei Partnerbörsen so, sondern auch in ganz vielen anderen Bereichen. Die Leute schreiben inklusiv da drauf. Es ist ein inklusives Projekt: "Inklusion! Inklusion!" Und am Ende kommen 80 Prozent Menschen mit Behinderung und 20 Prozent Angehörige. Und das ist nicht Inklusion!
Ich möchte das jetzt aber auch nicht per se verteufeln und sagen: Das geht gar nicht! Natürlich gibt es Menschen, die danach suchen, auch jemanden zu finden, der auch eine Behinderung hat oder auch sogar dieselbe Behinderung oder eine ähnliche Behinderung hat.
Es bietet ja auch Möglichkeiten, weil es dann auch irgendwie eine Verständnisebene aufmacht für eine Lebenserfahrung, für eine Lebensperspektive, die ein Mensch ohne Behinderung vielleicht gar nicht mitbringen kann.
Oder je nach Form der Behinderung, ist es vielleicht auch einfach cool, weil man dann auch vielleicht mehr auf einer Wellenlänge ist. Ich denke jetzt gerade an Menschen mit kognitiver Einschränkung, dass die sich dann auch einfach mit einer Person mit einer ähnlichen Form der Behinderung gut verstehen können.
Das muss ja aber auch nicht sein. Ich will das jetzt auch nicht kategorisieren nach Behinderung, sondern ich glaube auch das an anderer Stelle sehr bereichernd sein kann, wenn der Partner oder die Partnerin nachvollziehen kann, in welcher Lebensrealität man sich befindet.
Matthias Klaus: Beim Thema "Sex mit Behinderung" oder "Sex und Behinderung" geht es immer wieder um Assistenz. Assistenz ist ja eh ein Thema für eine Behinderung, wo es darum geht, ein selbstständiges, selbstbestimmtes Leben zu führen, für das man eben in der einen oder anderen Form Assistenz braucht. Das kann beim Sexuellen ja auch passieren. Es gibt Sexualbegleitung und Sexualassistenz. Vielleicht können Sie mal ein bisschen erklären, wie das funktioniert und wo vielleicht auch der Unterschied zwischen diesen beiden Sachen ist.
Charlotte Zach: Ja, das ist gar nicht so einfach, weil diese Begriffe tatsächlich durcheinander geworfen werden, auch in verschiedenen Ländern.
Aber ich würde schon mal einen Unterschied machen zwischen einer "Sexualassistenz" im engeren Sinne, im Sinne der wirklichen Assistenz. Also da ist eine Person, die mir dabei hilft, eine Unterstützung bietet, eine sexuelle Handlung zu vollziehen, an mir selbst oder an einer anderen Person. Das wäre ja eine Assistenz.
Und dann im weiteren Sinne gibt es das was dann auch manchmal als "Sexualbegleitung" bezeichnet wird. Wobei das halt auch wirklich in anderen Ländern dann schon wieder so völlig durcheinander geht mit den Begrifflichkeiten, soweit ich das mitbekommen habe. Das ist dann eben eher "Sex Work," also Sexarbeiterinnen, die sich auf Personen mit Behinderung spezialisiert haben, sage ich jetzt mal.
Das finde ich eine ganz andere Nummer. Das ist ja eine ganz andere Herangehensweise an die Situation. Ich finde es tatsächlich einen großen Unterschied und ich sehe diesen Sex-Work-Gedanken kritisch. Nicht weil ich Sex-Work generell kritisch gegenüberstehe, überhaupt nicht! Sondern weil ich es kritisch sehe, dass es eine professionelle, separate Person geben muss, die sich dann quasi um die Behinderten kümmert.
Das hat für mich schon wieder so einen Geschmack von: "Wir beschäftigen uns nicht in der Gesellschaft mit einer Frage, die mit Leben mit Behinderung zu tun hat, sondern stattdessen sorgen wir dafür, dass es bestimmte kleine Personenkreise gibt, die im professionellen Kontext sich dann quasi darum kümmern. Und dann haben wir es von der Backe."
Das schmeckt für mich einfach auch schon wieder nach "Sonderweg." Ich sage gar nicht, dass es nicht durchaus Menschen mit Behinderung gibt, die Sex-Work in Anspruch nehmen sollen, möchten oder können. Aber warum muss das eine spezielle Ausbildung sein? Warum muss das eine besondere Bezeichnung haben? Warum ist es nicht einfach genauso Teil des Sex-Work, der Prostitution oder wie auch immer man es nennen möchte, wie andere Kundinnen auch?
Matthias Klaus: Also Sie möchten vielleicht auch so ein bisschen, dass dieses Helferische aus der Geschichte rauskommt und "Sex-Work ist Sex-Work" und fertig.
Charlotte Zach: Ja, also...
Matthias Klaus: Also ich habe im Vorfeld eine 37-Grad-Reportage "die Berührerin" mir noch mal zu Gemüte geführt, wo eine Frau das tut und auch erzählt. Dort gibt es auch Menschen, wenn man der Geschichte so folgt, wo man sagen würde: "Okay, vielleicht haben die gar keine andere Chance, hier Sexualität zu erleben, weil sie einfach rein körperlich nicht in der Lage sind, Kontakt zu jemanden aufzunehmen." Würden Sie da auch sagen, das ist trotzdem ein Sonderweg?
Charlotte Zach: Ich würde sagen: "Ja, das mag sein." Das meinte ich ja. Ich will gar nicht den Personen absprechen, dass sie Sexarbeiterinnen für sich beanspruchen. Das ist ja völlig okay und legitim. Aber das machen Menschen ohne Behinderung doch auch.
Matthias Klaus: Ja.
Charlotte Zach: Also wieso braucht es diesen anderen Charakter? Und wie sie auch sagen, das hat ja dann auch mal gleich so ein Helfersyndrom Ding: "So aus Mitleid habe ich jetzt Sex mit den armen Behinderten", oder "Ja, also penetrativen Sex mache ich jetzt nicht, aber ich berühre die dann da mal."
Matthias Klaus: In dem Beitrag wurde interessanterweise ja auch erwähnt, wie wenig die Frau damit verdient. Man sollte auch richtig Mitleid mit ihr haben. Wie sie sich aufopfert! Das ist vielleicht auch schon so...
Charlotte Zach: Ja. Ja. Genau. Schon der heilige-Samariter-mäßig. Ja!
Matthias Klaus: Das schwebte so mit.
Charlotte Zach: Ich will der Frau gar nichts unterstellen. Vielleicht hat die ganz gute, richtige Motive und geht auch total in ihrer Arbeit auf und hat das Gefühl, da einfach eine sinnvolle Tätigkeit zu machen. Das steht für mich alles irgendwie auf einem ganz anderen Blatt und darum geht es mir gar nicht.
Sondern es geht mir darum, darüber zu reden, warum es überhaupt diese Entwicklung gegeben hat. Wieso hat es nicht stattdessen die Entwicklung gegeben, dass sich Menschen, die in dieser Branche generell arbeiten, sich irgendwann gedacht haben: "Ja, na klar nehme ich auch eine Person mit Behinderung"? Was passiert, wenn ich als Mensch mit Behinderung einfach jetzt beim Escort-Service-24 anrufe? Also muss ich das überhaupt sagen vorher? Ich muss ja auch nicht sagen, wie dick ich bin!
Matthias Klaus: Reden wir mal über ein anderes Thema, was vielleicht nicht so leicht vermittelbar ist, weil es irgendwie regelrecht körperlich unangenehm ist.
Eine der Kolumnen handelte von Autonomie, von unfreiwillig berührt werden und wie sich das auf die sexuelle Entwicklung auswirkt. Ich fand das sehr interessant, weil das ja etwas ist, was viele Menschen, die viele therapeutische Sachen erleben müssen, auch gerade in jungen Jahren, wahrscheinlich sehr gut kennen. Können Sie das ein bisschen erläutern, was Sie da geschrieben haben?
Charlotte Zach: Ja, sehr gerne. Also das ist tatsächlich einer der Gründe, warum ich denke, dass dieses ganze Thema "Sexualität und Behinderung" viel Weitläufiger oder viel größer ist, als man im ersten Moment denkt und auch schon viel früher anfängt.
Also es ist so, dass gerade Menschen, die schon in ihren Kindheitsjahren eine Behinderung haben, vor allem eine Körperbehinderung, sehr häufig in verschiedenen Kontexten berührt werden, in irgendwelche Positionen gebracht werden im therapeutischen und ärztlichen Kontexten.
Und ich habe darüber geschrieben, dass ich aus meiner eigenen Erfahrung heraus im Rückblick gemerkt habe, dass das was mit mir gemacht hat. Und zwar hat es was mit mir gemacht, dass ich in diesen Jahren häufig die Erfahrung gemacht habe: Ich werde gegen meinen Willen und ohne mein Einverständnis angefasst und irgendwas wird mit mir und meinem Körper gemacht. Und er gehört nicht mir. So...!
Es wird über Grenzen gegangen. Es wird mir vermittelt, das sei in Ordnung so, ja, das sei notwendig. Es geht sogar bis hin zu dem Punkt, dass mir vermittelt wird, das sei gut. Ich habe als kleines Kind bis zum sechsten Lebensjahr eine Krankengymnastik-Praktik ja, "genossen", die heißt "Bobath und Vojta". Die wird bei vielen kleinen Kindern mit Spastiken und ähnlichen muskulären Erkrankungen gemacht und ist sehr effektiv.
Ich will die gar nicht prinzipiell schlecht reden, aber die besteht daraus, dass man eben in bestimmte Positionen gelegt wird, gestellt wird, wie auch immer. Und dann muss man die halten oder man wird darin festgehalten und diese Positionen werden immer unangenehmer. Das wird sehr, sehr anstrengend für einen.
Und in dem Moment, wo es am aller anstrengendsten wurde für mich und ich es am allerschlimmsten fand, selber subjektiv, hat mir meine Therapeutin immer gesagt: "Bravo, bravo, das machst du toll!" Und ich hatte mir im Nachhinein so gedacht: "Was macht das eigentlich mit meinem Gehirn, wenn jedes Mal, wenn es am aller Unangenehmsten ist, mein vierjähriges Gehirn oder dreijähriges oder fünfjähriges Gehirn gesagt bekommt: 'Bravo, bravo, das ist toll!'?
Ich habe ja auch Psychologie studiert. Und da gibt es dieses Konzept der "Validierung". Das bedeutet im Prinzip, dass einem so ein bisschen vermittelt wird als Kind, die Gefühle, die du hast, sind real und haben ihren Sinn und ihre Berechtigung. Und das ist eigentlich ganz wichtig dafür, dass man seine eigenen Gefühle später auch ernst nimmt und nach ihnen handelt. Also das, was wir als "instinktiv" bezeichnen würden, quasi wie so ein erlernter Instinkt.
Das klingt ein bisschen paradox, aber ich würde es so beschreiben. Und wenn man ebenso widersprüchliche Signale bekommt als junger Mensch, dann kann das halt dazu führen, dass man in späteren Jahren Probleme damit hat, Situationen richtig einzuschätzen, die eigenen Grenzen klar einzuschätzen, die eigenen Grenzen deutlich zu kommunizieren, sich zu trauen, diese zu kommunizieren und so weiter.
Matthias Klaus: Anschließend an diese Frage, dass mit einem Dinge getan werden: Ohne dass Thema "Gewalt", denke ich, kann man so eine Folge hier nicht machen, weil Sexualität auch viel mit Gewalt zu tun hat. Und die Statistik sagt, dass behinderte Menschen auch von sexueller Gewalt mehr betroffen sind als andere. Wissen Sie da was drüber?
Charlotte Zach: Menschen mit Behinderung werden zwei bis dreimal so häufig Opfer von genereller physischer und körperlicher Gewalt wie Menschen ohne Behinderung. Und zu sexueller Gewalt gibt es tatsächlich relativ wenig Daten. Die Datenlage ist rar. Und das ist auch wieder ein Symptom dieser Tabuisierung, würde ich sagen auf jeden Fall: Ja!
Matthias Klaus: Warum ist das der Gesellschaft insgesamt so peinlich, das ganze Thema? Warum haben wir hier dauernd mit Tabuisierung zu tun? Das kann ja nicht nur mit Behindertenfeindlichkeit zu tun haben! Es ist ja doch so, dass man über das ganze Thema am liebsten gar nicht reden würde...
Und vielleicht auch noch anders gefragt: Was müsste man denn machen, damit es besser wird? Also damit Menschen aller Art, also auch jetzt Menschen mit Behinderung mehr Chancen haben, ihre Sexualität zu entdecken, auszuleben und dann am Ende noch zu verwirklichen, ohne Dienstleister in Anspruch nehmen zu müssen, ohne irgendwelche komplizierten Verrenkungen zu machen?
Charlotte Zach: Na ja, also mich wundert es gar nicht so sehr, ehrlich gesagt, dass das Thema krass tabuisiert ist. Wenn man mal historisch zurückblickt ist ja Sexualität an sich auch über Jahrhunderte lang super stark tabuisiert worden. Also vor 100 Jahren noch konnte man ja kaum darüber sprechen und eine junge Frau durfte unverheiratet auch eigentlich noch keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht haben.
So ist das ja einfach aus der kulturellen Richtung, aus der wir uns entwickelt haben, noch ein Wimpernschlag, die letzten 40, 50, meinetwegen 60 Jahre. Dann mussten wir uns erst mal generell ein bisschen befreien. Ich habe auch mal irgendwo geschrieben: "Menschen mit Behinderung brauchen eine sexuelle Revolution."
Also wenn ich mir vorstelle, wie Menschen generell sich vor 70, 80 Jahren in Bezug auf das Thema "Sexualität" gefühlt haben, wie wenig darüber gesprochen wurde, wie viel tabuisiert wurde, wie viel Unsicherheit sie mit sich selber ausmachen mussten... So ganz bisschen kann man es vielleicht vergleichen.
Also dann brauchte es erst mal die sexuelle Revolution der 1960er Jahre und auf einmal durfte man über Sex reden - zumindest ein bisschen mehr - und sich so ein bisschen freimachen von irgendwelchen Vorstellungen, wie das zu sein hat oder nicht, und sich dadurch auch einfach empowern und emanzipieren und sich eine Macht zurückholen, die einem eigentlich zusteht. Und Menschen mit Behinderung bräuchten genau diese Emanzipation und genau dieses Empowerment einfach auch.
Matthias Klaus: Das sagt Charlotte Zach. Der Newsletter, den sie schreibt, heißt "Berührungspunkte". Der lässt sich im Netz finden. Wir verlinken natürlich hier auch auf der Begleithomepage dazu. Es geht in diesem Newsletter um verschiedenste Arten von Behinderung und auch um verschiedenste Arten von sexuellen Spielarten.
Es geht um alles, was auch nur halbwegs zum Thema gehört. Und ich kann das nur empfehlen: Man liest dort Dinge, die man sonst nicht so findet, die dort zusammengetragen werden. Frau Zach, ich danke Ihnen, dass Sie Zeit hatten, hier mit mir im Podcast zu sein und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Charlotte Zach: Vielen Dank. Alles Gute.
Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.
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Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.