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26. Inklusion im Journalismus – das Projekt "andererseits"

4. August 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Mit Sprachbehinderung Radiobeiträge machen? "Das gibt es nicht" - könnte man denken. Doch: Das gibt es!

https://p.dw.com/p/3yT0Q

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!". Mein Name ist Matthias Klaus.

Mehr Menschen mit Behinderung in die Medien und in den Journalismus! 

Das wird derzeit oft und zurecht gefordert. Mehr Geschichten aus der Perspektive von Behinderten soll es geben, mehr Geschichten, in denen Behinderte selbst zu Wort kommen. Doch wie soll das geschehen, wenn die Menschen, die die Geschichten schreiben, selber keine Berührung mit Behinderung haben?

Also brauchen wir mehr Erfahrungen aus erster Hand. Mehr Menschen mit Behinderung als Autorinnen und Autoren und in den Redaktionen. Doch bislang geht dieser Prozess oft sehr schleppend voran. Die etablierten Medienhäuser können sich das einfach nicht vorstellen. Heute in "Echt behindert!" habe ich zwei Menschen zu Gast, die es einfach tun, unabhängig von großen Medienhäusern oder Fernsehanstalten. Vom inklusiven Nachrichtenportal "andererseits" begrüße ich Emilia Garbsch und Nikolai Prodöhl. Hallo zusammen.

Emilia Garbsch: Hallo! Danke für die Einladung.

Nikolai Prodöhl: Hallo, danke für die Einladung.

Matthias Klaus: Nikolai, du bist aus Hamburg. Das Portal "andererseits" stammt aus Wien. Wie bist du denn zu "andererseits" gekommen?

Nikolai Prodöhl: Ich hab davon erfahren, weil ich die Süddeutsche Zeitung gelesen habe. Da stand das drin. Da hab ich Clara eine E-Mail geschrieben, dass ich da mitmachen möchte.

Matthias Klaus: Und dann waren die sofort bereit zu sagen: "Oh ja. Warum auch nicht? Endlich mal jemand aus Deutschland soll mitmachen?"

Nikolai Prodöhl: Ich hab da Themen und Texte vorgeschlagen. Und dann hat Clara gesagt, dass ich bei der Podcast-Redaktion mal anfragen soll, und dann hab ich bei der Podcast Redaktion angefragt.

Matthias Klaus: Und jetzt bist du Teil der Podcast Redaktion?

Nikolai Prodöhl: Ja, genau, seit Januar.

Matthias Klaus: Was machst du in der Podcast Redaktion genau?

Nikolai Prodöhl: Ich führe Interviews und schneide auch manchmal Beiträge und mache manchmal Texte.

Matthias Klaus: Darf ich dich fragen, was du für eine Einschränkung hast?

Nikolai Prodöhl: Ich habe eine Lernbeeinträchtigung und eine Sprachbeeinträchtigung.

Matthias Klaus: Und fällt es schwer mit der Sprachbeeinträchtigung Texte zu sprechen. Oder ist das eine Frage der Übung?

Nikolai Prodöhl: Es ist auch eine Frage der Übung. Ich muss es lange üben, bis ich einen Text gut gesprochen habe. Als Kind habe ich fürchterlich gestottert. Da habe ich zahlreiche Therapien gemacht und das wurde erst besser als ich Radio gemacht habe. Und Podcasts. Dann wurde das besser mit meiner Sprache.

Matthias Klaus: Du bist aber ja nicht hauptberuflich Journalist, sondern nebenberuflich. Was arbeitest du denn tagsüber?

Nikolai Prodöhl: Ich arbeite in Hamburg bei einer Gärtnerei, dem Gärtnerhof am Stüffel. Das ist ein Betrieb für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir bauen da Gemüse an.

Matthias Klaus: Die Idee zu haben: "Ich möchte gern Artikel schreiben", wie ging das los bei dir?

Nikolai Prodöhl: Das war damals so: Ich habe TIDE.radio Hamburg kennengelernt. Das ist der Bürger- und Ausbildungskanal Hamburg. Da hab ich Kurse gemacht im Journalismus: Texten fürs Schreiben, Moderieren im Radio, Interviews (wie man Interviews führt). Und nachdem ich Kurse gemacht habe, habe ich bei TIDE.radio eine eigene Sendung bekommen: "Wohnen und Arbeiten". Die läuft jeden ersten Samstag im Monat, 15 bis 16 Uhr. Da ist das Thema "Inklusion und welche Rechte haben Menschen mit Beeinträchtigung?" Das mache ich jetzt mit meinem Freund Ing Han zusammen.

Matthias Klaus: Über TIDE.radio reden wir gleich später nochmal. Emilia erst einmal zu dir. Du gehörst seit wann zu "andererseits"?

Emilia Garbsch: Jetzt bald seit einem Jahr. Also ich glaub ich hab Ende Juli/Anfang August dann damals auch Clara geschrieben. Clara ist die Gründerin von "andererseits", nur kurz zum Verständnis.

Matthias Klaus: Kannst du so ein bisschen die Geschichte von "andererseits" erzählen? Ihr seid ja relativ neu.

Emilia Garbsch: Also Clara und zwei Kolleginnen, Katharina Brunner und Katharina Kropshofer, haben sich zusammen einfach gedacht: "Menschen mit Behinderungen fehlen im Journalismus". Das ist eine Perspektive, die fehlt.

Und die Gründungsgeschichte ist lustig, weil tatsächlich hat Clara gar nicht gedacht, dass es so groß und so ein langes Projekt wird, sondern hat einfach mal einen Twitter Post abgesetzt und gefragt: "Will nicht jemand mal einen Beitrag machen und mag sich nicht jemand melden? Menschen mit Behinderung ohne Behinderung."

Und dann haben sich wahnsinnig viele gemeldet und es war damals Pandemie und dementsprechend gingen auch solche Sachen - wie, das Nikolai dabei ist. Also ich weiß nicht, ob wir sonst jemanden vor drei Jahren dazu genommen hätten und das noch denkbar gewesen wäre. Aber jetzt ist ja sowieso alles online und das hat tatsächlich auch neue Möglichkeiten gebracht in den Köpfen.

Matthias Klaus: Das heißt, eigentlich wart ihr Österreicher. Und weil jetzt sowieso alles über Internet stattfindet, ist es euch mehr oder weniger egal, woher die Leute kommen?

Emilia Garbsch: Genau. Also wir haben phasenweise letzten Sommer schon in Studios aufgenommen. Also jetzt spreche ich für den Podcast. Wir haben schon vor, das auch wieder zu machen. Aber wir sind ja jetzt alle so kreativ geworden in den letzten über-eineinhalb-Jahren, dass wir uns denken: man wird sicher Lösungen finden mit dem Zuschalten. Also Nikolai wird auf jeden Fall weiter dabei sein können.

Matthias Klaus: Woraus besteht "andererseits"? Ihr habt einerseits eben eine Webseite und ihr macht einen Podcast. Auf der Webseite gibt's Artikel. Wie ist das Ganze gebaut?

Emilia Garbsch: Also es gibt die Website, es gibt den Podcast und es gibt auch einen Newsletter, der jeden Freitag erscheint. Der Podcast erscheint alle zwei Wochen am Mittwoch und bei den Texten sind wir weniger streng. Wir haben zum einen Texte die Heißen "Im Gefühl". Das sind oft so "Ich-Texte", wo es stark darum geht, dass Autoren und Autorinnen aus ihrer Perspektive erzählen und in denen es oft um Gefühle geht, weil wir glauben, dass Gefühle politisch sind und man mehr Raum für Gefühle im Journalismus braucht.

Und dann gibt's noch "Im Fokus". Das sind Fokus-Ausgaben - sozusagen. Da bringen wir dann ganz viel zu einem Thema aus verschiedenen Perspektiven. Und das dritte ist "Im Gespräch". Das sind einfach Interviews und die Texte erscheinen eigentlich auch zweiwöchig. Aber jetzt sind wir z.B. auf Sommerpause was die Texte angeht.

Matthias Klaus: Ihr seid aber alle Freizeit-Menschen oder macht das irgendjemand von euch hauptamtlich?

Emilia Garbsch: Momentan arbeiten wir leider, muss man sagen, alle ehrenamtlich. Wir beginnen gerade eine Finanzierung aufzubauen. Es gibt jetzt ein Fundraising-Team seit einem guten Monat, weil wir einfach auch der Meinung sind: Gerade Menschen mit Behinderungen gehören bezahlt und werden viel zu oft nicht oder schlecht bezahlt. Aber generell: Journalismus gehört bezahlt und dementsprechend sind wir da gerade dabei.

Bald wird es auch ein Unterstützer*innen Modell geben, wo jeder und jede was geben kann.

Einspieler aus dem Podcast "Sag‘s einfach":

(Geräusche von der Regenboden-Parade in Wien)

O-Ton-Collage: Ich glaube, dass die nächste Generation schon offener sein wird. Das schon….

Also. Ich glaube wir kämpfen alle am Stück dafür, dass wir normal in einer Welt leben werden, wo es egal ist, ob jemand lesbisch, schwul, hetero, trans*, inter* oder eine Behinderung hat oder keine Behinderung hat. Und ich glaube schon, dass eine Diskussion sehr notwendig ist. …

Erstaunlicherweise oder erfreulicherweise habe ich eigentlich relativ wenig Erfahrung mit Diskriminierung gemacht, außer die Diskriminierung im Gesetz…

Ich bin politische Aktivistin. Ich mache vor allem auf Instagram auf die Themen Ableismus aufmerksam, weil ich seit 2016 aufgrund von chronischen Schmerzen behindert bin. …

Menschen mit Behinderungen werden entweder total über-sexuell wahrgenommen oder total asexuell, habe ich das Gefühl...

Jingle: "Sag‘s einfach" – der Podcast von "andererseits".

Nikolai Prodöhl: Hallo, mein Name ist Nikolai Prodöhl und ich führe euch durch die heutige Folge. Im Juni ist der Pride-Monat. Dabei geht es um Gleichberechtigung der LGBTQ+ Community und um ihre Sichtbarkeit. LGBTQ+ heißt auf Deutsch: lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, queer. Und das Plus steht also für alle anderen Menschen mit verschiedenen sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten...

Matthias Klaus: Nikolai, wir haben dich hier grad moderieren gehört. Wenn ihr so eine Podcast Folge macht, was tust du da genau?

Nikolai Prodöhl: Meine Arbeit ist Interviews zu führen. Wir müssen die Interviews aber ordentlich vorbereiten. Wir müssen uns überlegen, was für Fragen wir den Leuten stellen möchten. Und dann diskutieren wir darüber. Dann starten wir die Aufnahme und schneiden den Beitrag - der ist ungefähr zwischen 20 und 30 Minuten lang.

Matthias Klaus: Bei dieser Folge mit dem Pride Monat, da waren jetzt ja Sachen von einer Parade zu hören und das waren O-Töne von einzelnen Leuten. Was hast du da genau gemacht?

Nikolai Prodöhl: Ich hab da die Zwischenmoderation eingesprochen.

Matthias Klaus: Hast du die auch geschrieben?

Nikolai Prodöhl: Nein, den Text haben Kati und Emilia geschrieben. Das muss ich dann einfach nur einsprechen.

Emilia Garbsch: Genau, in dem Fall war es so. Normalerweise schreiben wir die Moderationen schon noch zusammen oder jeder für sich. Aber in dem Fall waren es wahnsinnig viele.

Es war unsere erste "Feature Folge". Also ein "Feature" bedeutet ganz viele Leute kommen zu Wort. Man hat dazwischen auch Atmosphäre. Also was man gehört hat, ist die Regenbogen-Parade in Wien der CSD [Christopher Street Day], heißt das in Deutschland.

Matthias Klaus: Ja.

Emilia Garbsch: Genau. Und, ja - mal so, mal so. Sozusagen. Und da war die Arbeitsteilung so, dass Nikolai gesprochen hat und ein anderer Kollege geschnitten hat.

Matthias Klaus: Wie funktioniert die Arbeitsteilung überhaupt bei euch? Ich habe gelesen, dass ihr Sachen zu mehreren Themen macht. Einfach jeder das, was er kann. Wie geht das?

Nikolai Prodöhl: Wir machen das so, dass einer die Idee hat. Wenn ich zum Beispiel was schreiben möchte, dann schreib ich einfach los. Und dann geht da ein anderer drüber, mit der Rechtschreibung, mit der Formulierung. Wenn da was fehlt, dann sagt derjenige mir das. Dann verbessere ich das noch. So läuft das bei den Texten ab.

Matthias Klaus: Hmmm.

Nikolai Prodöhl: Und bei Podcast ist es auch so, dass wir uns erstmal ein Thema überlegen und uns dann die passenden Interview-Partner aussuchen. Und dann überlegen wir uns die Interviewfragen.

Matthias Klaus: Was sind denn so Themen, die dich bewegen? Wie muss ein Thema sein, dass du sagst, oh, das schlage ich jetzt einfach mal vor?

Nikolai Prodöhl: Zum Beispiel das Thema "Umwelt" finde ich interessant. Auch: Teilhabe, Inklusion, Barrierefreiheit.

Matthias Klaus: Das sind schon Themen, die auch viel mit Behinderung zu tun haben. Schreibst du auch über dich selbst?

Nikolai Prodöhl: Eher selten.

Matthias Klaus: Eher selten. Also mehr allgemeine Themen. Kannst du mal so ein, zwei Beispiele nennen von Sachen, die du vorgeschlagen hast?

Nikolai Prodöhl: Ich habe die "Good News" vorgeschlagen. Die mach ich ja auch bei TIDE.radio. Einmal in einer Woche mach ich die "Good News der Woche". Die laufen immer montags um 6.30 und Donnerstag um 12:30 beiTIDE.radio Hamburg.

Matthias Klaus: Emilia, wie ist das mit der Themenfindung in eurer Redaktion? Wie funktioniert das? Das ist ja sehr breit gestreut. Ich lese da Artikel über Zucker genauso wie Artikel über Inklusion bei "Fridays for Future". Das ist doch ein sehr weites Spektrum. Was kommt bei euch durch und was kommt bei euch nicht durch?

Emilia Garbsch: Also es ist uns wichtig, dass Menschen mit Behinderungen nicht ins Behindertenthema sozusagen gedrängt werden. Aber natürlich ist es ein Thema, das auch da ist: Inklusion, Barrierefreiheit. Aber wir sind grundsätzlich offen für alle Themen.

Wie läuft das ab? Wir haben Redaktionssitzungen, in denen werden Themen vorgeschlagen und dann sind es eben (Du kennst es sicher als Journalist) oft eher Themen als wirklich Geschichten. Und dann wird versucht es zusammen herauszuarbeiten: Ist das wirklich eine journalistische Geschichte nach journalistischen Qualitätskriterien, die Aktuell ist und auch interessant für unser Publikum?

Und wenn man da eine Lösung findet (beim Zucker, war es z.B. ein sehr langer Prozess, aber jetzt ist das, finde ich, einer der tollsten Texte überhaupt bisher) ...also wenn dann sozusagen die Geschichte gefunden ist, dann geht's sozusagen in Recherche und Schreibarbeit.

Matthias Klaus: Wie ist das mit der Sprache? Ich will nicht sagen Sprachniveau. Aber wie ist das mit der einfachen Sprache  z.B. und mit der schwierigen Sprache? Wie balanciert ihr das aus, dass es für sehr viele Menschen verständlich ist und dass man vielleicht auch mal was Komplizierteres sagen kann?

Emilia Garbsch: Also man muss sagen, es sind sehr, sehr unterschiedliche Menschen in unserer Redaktion mit sehr unterschiedlichen Stärken und Bedürfnissen. Und je nachdem gehen wir auch darauf ein und passen das an. Es ist ein Prozess gewesen und viele von uns (inklusive mir) haben das auch irgendwie lernen müssen, dass man sich gegenseitig versteht.

Und in den Redaktionssitzungen kümmern wir uns halt darum, oder versuchen wir, dass es wirklich alle verstehen. Das bedeutet auch ganz oft nachzufragen: Ist alles klar gewesen? Gibt's noch Fragen? Soll man das nochmal erklären?

Matthias Klaus: Entscheidet ihr euch beim Schreiben für eine Art der Sprache oder wird das je nach Artikel versucht angemessen zu machen?

Emilia Garbsch: Also wir verstehen uns jetzt nicht so als Medium, das versucht alles in einfacher Sprache aufzuarbeiten. Ich glaub, es ist oft einfach eine logische Konsequenz, dass es schon so ist, dass es einfacher verständlich ist.

Was Barrierefreiheit angeht, wäre es natürlich ein Ziel in einer fernen Zukunft, wenn wir die Ressourcen dazu haben, auch jeden Text zusätzlich in einfacher Sprache oder leichter Sprache anzubieten. "Die neue Norm", ein inklusives Medium in Deutschland, hat das z.B.: am Anfang von einem Text in schwieriger Sprache, eine kleine Zusammenfassung mit den wichtigsten Infos in einfacher Sprache.

Aber die Idee von unserer journalistischen Arbeit an sich ist eben vielmehr die Perspektive einzubringen. Und was man auch spürt oder liest: wie die Person die Redakteure, Redakteurinnen von sich aus erzählen und schreiben, also wir greifen eigentlich relativ wenig ein.

Matthias Klaus: Man kann auf eurer Website lesen, dass manche von euren Mitarbeiterinnen auch einfach nur sprechen und das gar nicht aufschreiben. Ist das so? Wie funktioniert das?

Emilia Garbsch: Genau. Ja, es gibt manche, die nicht selbst ihre Texte aufschreiben können oder wollen. Und da wird das Ganze dann einfach diktiert. Also man setzt sich zusammen hin und hört z.B. durch die Interviews, die man gemacht hat und bespricht dann: Okay, und wie baut man das zu einer Geschichte? Wie schreibt man es auf? Und dann diktieren wir Satz für Satz.

Jingle: Sie hören "Echt behindert!" den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcast Plattformen. E-Mail Feedback und Kommentare an echt.behindert@dw.com. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/echtbehindert. Bewerten Sie uns, wo immer Sie uns hören.

Matthias Klaus: Nikolai, ich möchte dich gerne fragen: Du hast auch schon mal ein Praktikum beim NDR gemacht. Ist das richtig?

Nikolai Prodöhl: Ja, das ist richtig.

Matthias Klaus: Wie kam das denn dazu?

Nikolai Prodöhl: Ich hab mich da einfach beworben beim Norddeutschen Rundfunk und dann hat das geklappt.

Matthias Klaus: In welcher Abteilung hast du da gearbeitet?

Nikolai Prodöhl: Ich habe drei Tage bei N-JOY ein Praktikum gemacht und bei 90,3 und dann bei Hamburg 1. Das ist ein Privatsender in Hamburg. 

Matthias Klaus: Wie haben die denn reagiert? Du hast ja, ich sage mal, deine Sprache... Man hört ihr das an, dass du eine Spracheinschränkung hast. Das wollen die ja normalerweise im Radio nicht so haben. Wie haben die denn auf deine Art reagiert, wie du z.B. sprichst oder Beiträge machst?

Nikolai Prodöhl: Die fanden das gut beim NDR, wie ich meine Beiträge mache. Aber die haben gesagt, dass sie mich nicht ans Mikrofon lassen wegen meiner Sprachbeeinträchtigung und dass es schwer ist, das als Beruf zu machen mit einer Sprachbeeinträchtigung.

Matthias Klaus: Ja, du machst ja bei TIDE.radio diese "Good News". Da hören wir jetzt mal ein kurzes Stück von: 

Einspieler: 

Nikolai Prodöhl: Guten Tag. Sie hören die "Good News der Woche" auf TIDE.radio mit Nikolai Prodöhl am Mikrofon. Schwimmende Vogelscheuchen. Mit der Fischerei sterben immer wieder Seevögel, welche sich in den Fangnetzen verheddern und umkommen. Auch in der Ostsee haben so schon viele Vögel ihr Leben verloren. Um das zu verhindern, hat die Organisation Bird Life International eine besondere Boje entwickelt.

Matthias Klaus: Das war ein kleiner Ausschnitt aus den "Good News der Woche". Du machst das einmal in der Woche.

Nikolai Prodöhl: Ja, genau.

Matthias Klaus: Und das sind immer wie viele Meldungen? Woher kriegst du die denn?

Nikolai Prodöhl: Das sind ungefähr drei Meldungen und die kriege ich aus dem Internet. Die Internetseite heißt nur "Positive Nachrichten".

Matthias Klaus: Das heißt, diese ganzen Meldungen stammen eigentlich alle von einer Internetseite?

Nikolai Prodöhl: Ja, genau. Manchmal auch andere Quellen.

Matthias Klaus: Du hast selber gesagt: Du hast eine Lernbehinderung. Gibt es für dich Sachen, wenn du so normal im Internet Nachrichten liest, wo du sagst: "Sie sind mir einfach zu schwer?"

Nikolai Prodöhl: Ja, gibt es zum Beispiel bei einigen Zeitschriften. Da verstehe ich die Sprache nicht so gut, dass muss dann in leichter Sprache formuliert sein.

Matthias Klaus: Und hier bei den Meldungen formulierst du dasselbe auch in leichter Sprache oder macht es jemand anders?

Nikolai Prodöhl: Ich recherchiere die Themen und dann schicke ich das zu Peter Gehlsdorf, zu TIDE.radio und der korrigiert den Text und schickt mir das dann. Und dann spreche ich das ein. Das muss ich dann ein paarmal üben.

Matthias Klaus: Aber du musst es schon ein paar Mal üben.

Nikolai Prodöhl: Ja, genau. Bestimmt zwei, dreimal.

Matthias Klaus: Kannst du es dann am Stück durchsprechen oder musst du dann immer wieder auf Pause drücken?

Nikolai Prodöhl: Manchmal muss ich auf Pause drücken und nochmal anfangen. Und manchmal muss ich noch etwas nachsprechen. Ganz schön viel Aufwand für mich.

Matthias Klaus: Wie lang brauchst du da so ungefähr um so 5 Minuten fertig zu kriegen?

Nikolai Prodöhl: Manchmal eine halbe Stunde, manchmal ein, zwei Stunden.

Matthias Klaus: Du bist ja auch Journalist, wenn auch nur in Freizeit. Würdest du dir selber jetzt eine Frage stellen, die du gerne beantworten würdest, wo du sagen würdest: "Wieso fragt mich das eigentlich keiner?"

Nikolai Prodöhl: Oh, da muss ich überlegen. Da fällt mir gar nichts ein.

Matthias Klaus: Hm, okay. Emilia, ihr seid bei "andererseits" sozusagen mit der Mission unterwegs, Inklusion im Journalismus zu fördern. Das macht Ihr, wie wir gehört haben, zum einen durch die Mitarbeitenden, aber auch durch die Themen. Welche Themen liegen denn dir persönlich am meisten am Herzen, die nicht repräsentiert sind in der normalen Medienlandschaft - wo Ihr auch jetzt sagen würdet: "Da müssen wir mal was machen!"

Emilia Garbsch: Ich glaube tatsächlich, dass es nicht so stark um Themen geht wie um Blickwinkel. Es gibt ja viel und oft zum Beispiel (mal eine Hausnummer!) Berichte über Menschen mit Behinderungen oder zumindest immer mal wieder. Aber der Blickwinkel ist ein anderer. Und das stimmt halt für jedes Thema.

Mir persönlich ist (wie Nikolai auch) das Thema Klima und Umwelt besonders wichtig. Bei "andererseits" verfolgen wir eben den Versuch und das gefällt mir sehr gut.

Das finde ich eine ganz neue Perspektive, dass wir eben dieses Leitmotiv "Gefühle sind politisch" haben und z.B. im Podcast versuchen immer mit Erfahrungsexperten und Expertinnen zu reden. Das bedeutet mit Leuten, die selbst bestimmte Erfahrungen gemacht haben, anstatt mit sozusagen dem Prof. Dr. Dr. für Soziologie, der auch wichtig ist und dem wir nicht seine Expertise absprechen wollen, der aber aus einer anderen Perspektive spricht.

Matthias Klaus: Hast du ein Beispiel, wo du konkret sagen kannst: "Da war jetzt aber wirklich was dabei, was im Spiegel nicht gestanden hätte! Allein dadurch, dass wir hier auch Menschen mit Behinderung in der Redaktion haben"?

Emilia Garbsch: Es gibt zum Beispiel von Hannah Gugler einen Text über's Rauchen (sogar nicht im Kontext von Behinderung) wo sie einfach fragt: "Warum rauchen Menschen, wenn sie wissen, dass es ungesund ist?"

Und sie geht einfach anders an diesen Text heran, als ich das z.B. gemacht hätte. Und viele Redaktionen hätten diesen Text wahrscheinlich auch gar nicht genommen, denn das klingt naiv. Man kann gleich sagen: "Es ist eine Sucht. Das ist eh klar. Ende!"

Und sie hat aber wirklich mit Menschen gesprochen, die rauchen! Und ich finde, das ist eigentlich eine Perspektive, die es sonst selten in Medien gab, wirklich über Nikotinsucht zu reden und was das mit den Leuten macht.

Natürlich haben wir auch schon oft Texte über Behinderungen und über das Leben mit Behinderungen in Ich-Perspektive. Und da ist natürlich auch ein großer Unterschied, wenn man das selber erzählt. Also Sebastian Gruber hat zum Beispiel über seinen Weg in die inklusive Arbeit geschrieben. Er arbeitet am ersten Arbeitsmarkt.

Einen Text über die Pandemie und in dem auch unter anderem Behinderung vorkommt, gab's auch. Das sind halt Perspektiven, die oft nicht so in anderen Medien unterkommen.

Matthias Klaus: Habt ihr irgendein schönes neues Projekt bei "andererseits" was wir unseren Podcast Hörerinnen und Hörern hier empfehlen können, was ihr in nächster Zeit plant?

Emilia Garbsch: Also jetzt im Sommer ist gerade Sommerpause. Wir machen im Newsletter: "ein Problem und eine Lösung". Also immer ein Problem, dass einen Redakteur/ eine Redakteurin beschäftigt und die Lösung dazu. Und ich hoffe, ich darf's verraten...

Ich werd' dann noch nachfragen, aber ich denke schon. Unser nächster Schwerpunkt wird zum Thema "Arbeit sein". Der kommt dann irgendwann im Herbst, Winter. Nikolai hatte sogar schon Ideen dafür. Möchtest du noch erzählen, Nikolai, was du über Arbeit machen wolltest?

Nikolai Prodöhl: Über das Thema "Mindestlohn" und über das bedingungslose Grundeinkommen. Warum es wichtig ist, dass es einen Mindestlohn gibt und warum es auch sinnvoll ist, dass es so ein Grundeinkommen gibt.

Emilia Garbsch: Genau. Und irgendwas noch mit 30-Stunden-Woche oder so, oder? Richtig?

Nikolai Prodöhl: Ja, genau. Da habe ich die Idee, dass man weniger arbeitet: statt fünf Tage, vier oder drei Tage in der Woche wäre gut.

Matthias Klaus: Gut. Ich danke euch beiden. Ich wünsche euch alles Gute. Ich finde es ein richtig gutes Projekt. 25 Leute sind eine Menge dafür, dass einfach mal jemand einen Artikel haben wollte und bei Twitter eine kleine Nachfrage gemacht hat. Es ist ja alles erst anderthalb Jahre her. Eigentlich ein sehr erfolgreiches Projekt! Ich danke euch beiden, dass ihr da wart. Vielen Dank für eure Zeit.

Nikolai Prodöhl: Vielen Dank für die Einladung. War sehr interessant.

Emilia Garbsch: Danke ebenfalls.

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus.

Nikolai Prodöhl: Ich hab noch was zu sagen! Weil du wolltest, dass ich noch etwas dazu sage, was mich noch keiner gefragt hat! Das ist das!

Matthias Klaus: Also, was hat dich noch keiner gefragt, was du unbedingt mal gefragt werden wolltest?

Nikolai Prodöhl: Warum ich Radio mache trotz meiner Sprachbehinderung und meiner Lernschwäche? Warum ich das mache?

Matthias Klaus: Warum machst du Radio trotz deiner Sprachbehinderung und trotz deiner Lernschwäche?

Nikolai Prodöhl: Weil ich gerne Sachen moderiere. Ich spreche gerne über Themen und führe, gerne Interviews. Das macht mir Spaß!

Jingle: Mehr Folgen unter dw.com/echtbehindert.

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.