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16. Für alle gut – barrierefreies Internet

18. März 2021

Für Menschen, die unseren Podcast nicht hören können, stellen wir hier ein Transkript zur Verfügung: Ein barrierefreies Internet ist nützlich, wünschenswert und machbar

https://p.dw.com/p/3qjLX

Zum Podcast geht es hier.

Jingle: DW. "Echt behindert!"

Moderator Matthias Klaus: Herzlich willkommen zu "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus. Dass das Internet die Welt verändert hat, das ist ja soweit bekannt. Doch es gibt Menschen, für die war diese Änderung noch viel größer und bedeutender, als man sich das vielleicht gemeinhin so vorstellt. Ich kann sagen, ich bin einer von diesen Menschen.

1994 bekam ich meinen ersten Zugang zum Netz und meine erste E-Mail-Adresse. Für mich als Blinder war das damals wie die Öffnung des Tores zur Welt. Endlich konnte ich Zeitschriftenartikel lesen, ohne jemanden Fragen zu müssen, Briefe an jemanden schreiben und die Antwort auch lesen, Informationen jeder Art selbstbestimmt konsumieren: Vom Online-Lexikon bis zur Autowerbung. Für all das brauchte ich vorher Hilfe - oft gegen Geld.

Inzwischen kann ich selbstständig Wege finden, Twitter benutzen, meine Musiksammlung verwalten, Bankgeschäfte machen und vieles mehr, was als blinder Mensch früher einfach nicht ohne Hilfe ging. So weit, so großartig. Doch oft gibt es Hindernisse auf meinem Weg ins Datenuniversum.

Heute bei mir zu Gast ist Domingos de Oliveira. Er ist wie ich blind, aber das ist in dem Fall mal gar nicht so wichtig. Wir werden später noch drüber sprechen, dass es nicht nur für blinde Hindernisse im Netz gibt. Erstmal: Hallo Domingos!

Domingos de Oliveira: Matthias, ich freue mich dabei zu sein. 

Matthias Klaus: Auf deiner Webseite kann man lesen. Du bist Accessibility Consultant. Was ist das?

Domingos de Oliveira: Ja, das ist erstmal eine Begrifflichkeit, die ich selber für mich erfunden habe, sozusagen. Es geht im Prinzip darum, dass man Menschen, die keine Behinderung haben, einfach klar macht, dass es Menschen gibt, die Probleme haben, das Internet zu nutzen oder digitale Technologien zu nutzen, dass man ihnen das bewusst macht, dass man ihnen zeigt, wie sie diese Barrieren beseitigen können und dass man Sachen z.B. auf Barrierefreiheit testet, vor allem Anwendungen, Webseiten oder Dokumente. 

Matthias Klaus: Was hat dich dazu gebracht, dich mit Barrierefreiheit im Netz zu beschäftigen?

Domingos de Oliveira: Ich bin tatsächlich ein bisschen reingestolpert in das Thema. Ganz ursprünglich bin ich Politikwissenschaftler. Ich habe dann eine Weiterbildung zum Internetredakteur gemacht und in dieser Weiterbildung habe ich mich relativ viel mit Webseitengestaltung beschäftigt. Das heißt, ich habe die technischen Grundlagen gelernt. Ich kann auch selber ein bisschen HTML und CSS schreiben. Das sind wichtige Sprachen, die man braucht, wenn man Webseiten gestalten möchte.

Und habe mich dann freiberuflich selbständig gemacht, weil ich auch Probleme hatte, eine Stelle zu finden mit diesem Thema - Internet Redaktion. Und dann bin ich immer wieder gebeten worden Dinge wie Dokumente, Programme, Software auf Barrierefreiheit zu prüfen und bin da sozusagen in das Thema wirklich reingestolpert.

Früher wollte ich nie etwas mit dem Thema Barrierefreiheit und Behinderung zu tun haben, bin dann aber sozusagen reingefahren und ich habe dann gemerkt, dass es ein ganz spannendes Thema ist, wo es auch relativ wenige Menschen gibt, die selber betroffen sind und dazu auskunftsfähig sind. 

Matthias Klaus: Ich habe ja anfangs gesagt, es gibt durchaus Barrieren im Netz. Welcher Art sind die denn? Schließlich hat das Netz ja weder Stufen noch schmale Türen.

Domingos de Oliveira: Die hauptsächliche Barriere besteht heute täglich darin, dass die Webseiten und Apps immer komplexer werden und einfach auch immer höhere kognitive Anforderungen stellen an unterschiedliche Menschen.

Wenn man blind ist, zum Beispiel, kann man ja eine große grafische Benutzeroberfläche nicht auf einen Blick erfassen wie eine sehende Person. Sondern man muss wirklich Schritt für Schritt durch diese Oberfläche durchgehen, muss sich merken: "Was hat mir der Screenreader (die assistive Technologie) bereits vorgelesen?

Man muss so ein bisschen vorausschauend denken: "Wo finde ich auf dieser sehr großen und sehr umfangreichen Website die Informationen, die ich benötige?" Und da gibt es ganz viele Sachen, wie z.B. dass Formulare nicht korrekt beschriftet sind, dass ich nicht weiß, muss ich jetzt meinen Vornamen oder Nachnamen oder meine Straße in dieses Feld eingeben und da das interaktive Element im Internet natürlich immer stärker wird, ist das natürlich ein Riesenproblem, weil man an diesen Dingen, wo Interaktivität gefragt ist und das nicht barrierefrei ist, nicht partizipieren kann. 

Matthias Klaus: Vielleicht nur ganz kurz. Speziell als Blinder: wie geht man da überhaupt ins Internet? Das wissen ja auch wenige. 

Domingos de Oliveira: Es gibt eine Software, die nennt sich "Screenreader". Der Screenreader ist eine Übersetzungsmaschine die versucht, diese grafische Benutzeroberfläche, die ja wirklich hundertprozentig für sehende Menschen gestaltet wurde, in eine Form zu übersetzen, die für blinde Menschen verständlich ist.

Das kann Sprachausgabe sein. Die Sprachausgabe kennt man ja inzwischen von Siri und Co. Apps. Es kann aber auch Blindenschrift sein. Da gibt es spezielle Displays, die das, was man visuell auf dem Bildschirm sehen kann - also Text - vor allem als Blindenschrift ausgeben.

Ebenso wichtig ist aber auch, dass man z.B. Bilder beschrieben bekommt, wenn eine Bildbeschreibung hinterlegt wurde. Da kriegt man sozusagen angesagt oder dargestellt, was auf dem Bild zu sehen ist oder auch bei Formularfeldern, die ich gerade angesprochen hatte. Bei Formularfeldern wird dann auch ausgegeben: "Soll ich jetzt da einen Vornamen eingeben? Soll ich da meinen Nachnamen eingeben? Für die sehende Person ist es ja offensichtlich, dass der Vorname direkt neben dem entsprechenden Feld steht. Da weiß ich "Okay, da gebe ich meinen Vornamen ein." Für eine blinde Person, ist ja diese visuelle Nähe erstmal nicht sichtbar. 

Matthias Klaus: Was ja spätestens beim Eingeben von Passwörtern echt tückisch sein kann. Wenn man da zweimal ins falsche Feld schreibt, dann hat man seine mögliche Menge an Zugangsversuchen schon erschöpft und fliegt raus.

Wann fing das Ganze denn überhaupt an, dass sich Menschen mit Barrierefreiheit im Netz beschäftigt haben?

Domingos de Oliveira: Im Prinzip schon mit der Erfindung des World Wide Web. Das ist ja ursprünglich aus einem wissenschaftlichen Projekt oder wissenschaftlichen Gedanken heraus entstanden. Und im Prinzip waren da schon viele Grundlagen gelegt, dass man z.B. Überschriften nicht nur visuell kennzeichnet, sondern auch im Code als Überschrift markiert, so dass die assistive Technologie das dann auch an die blinde Person weitergeben kann.

Die großen Richtlinien zur Barrierefreiheit kamen tatsächlich vor etwas mehr als 20 Jahren mit der sogenannten "Web Content Accessibility Guideline" in der ersten Version davon. Das ist der internationale Standard, wenn es um digitale Barrierefreiheit geht. Und das wird seitdem stetig, ein bisschen langsam für meinen Geschmack, aber stetig weiterentwickelt.

Matthias Klaus: Wer macht diese Web Content Accessibility Guideline also kurz "WCAG"?

Domingos de Oliveira: Das ist das "World Wide Web Consortium". Das ist ein internationaler Zusammenschluss, der im Prinzip alle oder die wichtigsten Standards zum Internet bereitstellt. Der macht auch die Spezifikation für HTML, für CSS oder für JavaScript, zum Beispiel. Aber die verantworten auch in einer speziellen Arbeitsgruppe alle Richtlinien, die sich um digitale Barrierefreiheit drehen. 

Matthias Klaus: Dann gibt's diese Richtlinien. Aber da steht ja nicht Gesetze, sondern das sind einfach nur Richtlinien. Muss man sich da dran halten oder nicht?

Domingos de Oliveira: Das hängt immer davon ab, wo man sich befindet. Zum einen natürlich, in welchem Land man sich befindet. In den USA zum Beispiel gibt es wesentlich strengere Gesetze als in der Europäischen Union. Es hängt aber auch davon ab: Ist man jetzt eine öffentliche Einrichtung? Also gehört man sozusagen zum Staat oder ist man eher Privatunternehmen oder NGO.

Der öffentliche Dienst ist im Prinzip schon seit der ersten Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV), die damals vor 20 Jahren verabschiedet wurde, zur Barrierefreiheit verpflichtet. Und da haben sich die Vorschriften im Prinzip immer weiter verschärft. 

Matthias Klaus: Sind diese Vorschriften denn gut umgesetzt oder stößt du immer wieder an Barrieren?

Domingos de Oliveira: Das kann man schwer pauschal sagen. Also: Es hat sich schon sehr viel getan. Ich würde sagen, das größte Bewusstsein hat sich dadurch entwickelt, dass vor fünf Jahren eine neue EU-Richtlinie verabschiedet wurde. Die "2102" - das muss man sich nicht merken! Die hat tatsächlich dazu geführt, dass dieses Thema wesentlich stärker auf dem Schirm der öffentlichen Einrichtungen gelandet ist. Ich hatte den Eindruck, vorher wurde es überwiegend eher halbherzig oder nebenbei umgesetzt. Heute hat man eher ein Bewusstsein dafür. Einfach weil man stärker diese Verpflichtung spürt. Durch diese EU-Richtlinie, die einfach auch für alle öffentlichen Einrichtungen von der Bundesregierung bis zur, Kommune gilt.

Matthias Klaus: Kann ich da klagen?

Domingos de Oliveira: Leider nicht. Also es gibt ein Verbandsklagerecht, also ein Blindenverein zum Beispiel könnte klagen im Rahmen dieser EU-Richtlinie - theoretisch. Praktisch wird es relativ wenig gemacht. Einmal, weil es aufwendig ist und zum anderen, weil die Verbände einfach nicht genug Ressourcen dafür haben. 

Matthias Klaus: Ich hatte ja am Anfang gesagt, es geht hier nicht nur um Blinde und Sehbehinderte. Auch diese Accessibility Guidelines und die Deutsche Informationstechnik-Verordnung sind ja allgemeiner formuliert. Um welche Gruppen oder um welche Menschen, mit welchen Bedürfnissen geht es denn so allgemein - jenseits von Blinden, die eine Sprachausgabe brauchen?

Domingos de Oliveira: Genau. Blinde sind tatsächlich extrem auf Barrierefreiheit angewiesen. Aber es gibt ja noch sehr viele andere Gruppen, also sehbehinderte Menschen zum Beispiel...

Matthias Klaus: ...Was ja viel mehr sind als Blinde. Das muss man immer bedenken.

Domingos de Oliveira: Genau. Bei sehbehinderten Menschen würden viele sagen: "Okay, die können schlecht sehen. Vielleicht haben die die gleichen Bedürfnisse wie Blinde. Aber es ist eher so, dass Sehbehinderte tatsächlich z.B. auf gute Kontraste angewiesen sind oder auf eine visuelle Aufgeräumtheit, sage ich mal - darauf, dass jetzt nicht alle Sachen querbeet auf der Website verteilt sind, sondern Orientierungslinien haben.

Und da gibt es natürlich noch sehr viele weitere Gruppen. Gehörlose Menschen z.B. sind häufig auf die Inhalte in Gebärdensprache angewiesen. Menschen mit Lernbehinderung brauchen sehr einfache Sprache, also die sogenannte leichte Sprache, wo die Inhalte sehr stark vereinfacht dargestellt werden und natürlich auch eine sehr einfache grafische Benutzeroberfläche.

Aber es gibt natürlich auch Menschen mit Autismus oder Epilepsie, die sich sehr leicht von ständiger Bewegung ablenken lassen: also Animationen, die aktuell sehr beliebt sind, die sich ja ständig bewegen, aber vom Nutzer nicht gesteuert werden können, (stören sehr).

Musik: Trenner

Matthias Klaus: Man könnte ja auch sagen, dass es vielleicht für Leute, die älter sind, weil sie einfach so mit diesem Tempo nicht mitkommen, im Prinzip nützlich wäre, wenn Barrierefreiheit mehr auf den Webseiten stattfinden würde.

Domingos de Oliveira: Man kann es natürlich nicht pauschalisieren, aber man kann generell, denke ich, schon sagen: "Je älter ich werde, desto schwieriger wird es mit den physischen Fähigkeiten." Ich sage mal: Das Sehen lässt so ein bisschen nach, das Hören lässt so ein bisschen nach, die motorischen Fähigkeiten, die Fähigkeit, eine Maus exakt zu bedienen - das lässt einfach nach. Und da freut man sich natürlich, wenn die Website grafisch kontrastreich gestaltet ist, wenn man die Texte immer noch gut lesen kann, obwohl die Sehkraft jetzt nicht mehr so gut ist wie in jungen Jahren. Oder wenn da keine komplexe Maus-Akrobatik von mir erwartet wird.

Matthias Klaus: Du selbst machst Workshops oder Fortbildungen für Menschen, die das Web programmieren. Was erzählst du denen da?

Domingos de Oliveira: Also einige Fragen wiederholen sich eigentlich immer. Das Hauptthema ist, glaube ich, erst einmal überhaupt eine Sensibilisierung dafür zu schaffen, welche Probleme tatsächlich vorliegen. Also die Leute kommen tatsächlich zu mir, weil irgendjemand - ihr Vorgesetzter oder die Gesetze - sie zwingen, das Thema umzusetzen.

Aber die haben eigentlich kein Bewusstsein dafür, was eigentlich damit gemeint ist oder wer überhaupt davon profitieren kann. Und da ist es wirklich von Vorteil, dass ich selber eine Behinderung habe und tatsächlich aus meinen eigenen Erfahrungen berichten kann. Das hat einen ganz anderen Effekt. Und es geht erst einmal darum, überhaupt eine Sensibilität dafür zu schaffen, dass und wie Menschen mit Behinderung das Internet nutzen können.

Matthias Klaus: Und wenn du das dann hast, dann gibt es auch wahrscheinlich so, so die 4-5 größten technischen Dinge, die man immer erstmal den Leuten beibiegt. Was wäre das also?

Domingos de Oliveira: Die wichtigsten Sachen sind tatsächlich dieses Thema "visuelle Übersichtlichkeit." Das heißt, dass ich vielleicht nicht kreuz und quer die Sachen auf meiner Webseite verteile, sondern saubere Orientierungslinien habe. Das ist etwas, wovon tatsächlich fast alle Menschen mit Behinderung profitieren können.

Das zweite Thema, was eigentlich immer angesprochen wird, ist das ganze Thema "grafische Gestaltung." Das heißt vielleicht, dass ich Bildbeschreibungen vergebe oder, dass ich Formulare so gestalte, dass sie für Blinde oder für Menschen mit sehr starker Vergrößerung immer noch bedienbar sind.

Ja, auch das ganze Thema "Tastaturbedienung" oder unabhängige Bedienung von einem bestimmten Gerät. Die meisten Menschen benutzen die Maus. Aber es gibt ja auch Menschen, die motorisch eingeschränkt sind und die Spracheingabe benutzen. Und die profitieren im Prinzip von diesen gleichen Dingen: Wenn die Website sehr aufgeräumt ist und keine komplexe Mausakrobatik erfordert.

Sprecher: Sie hören "Echt behindert!" den Podcast für Barrierefreiheit und Inklusion der Deutschen Welle. Wir sind auf allen gängigen Podcast Plattformen. E-Mail Feedback und Kommentare an: echt.behindert@dw.com. Mehr Infos und Links gibt es unter dw.com/echtbehindert. Und bewerten Sie uns, wo immer Sie uns hören!

Matthias Klaus: Oft ist das ja gar nicht das klassische Internet, sondern manchmal geht es auch um Smartphone-Apps, oder es geht um Smart TVs oder es geht um digitale Fahrkartenautomaten. Gelten da dieselben Regeln?

Domingos de Oliveira: Es ist tatsächlich ein bisschen unterschiedlich. Es gibt jetzt z.B. ein neues Gesetz oder eine neue EU-Richtlinie der European Accessibility Act, der dieses Jahr auch in deutsches Recht umgesetzt wird. Und der wird teilweise auch private Anbieter zur Barrierefreiheit verpflichten.

Da geht es z.B. um Bank-Terminals, also Geldautomaten, um Fahrkartenautomaten, um das ganze Thema E-Commerce und E-Books. Das sind so die wichtigsten Themen. Und da gelten im Prinzip dann auch die gleichen Anforderungen zur Barrierefreiheit wie jetzt für den öffentlichen Dienst.

Matthias Klaus: Es ist ja nicht die erste Folge von "Echt behindert!" die wir hier machen. Und immer wieder taucht das auf: Die Privatwirtschaft ist in Deutschland nicht wirklich zur Barrierefreiheit verpflichtet und es wird hart daran gearbeitet, dass sich das endlich ändert. Das gilt natürlich für den ganzen digitalen Bereich auch. Du kommst ja digital viel rum und hast eine Menge Elend gesehen, Was ist denn das, was dich am meisten ärgert, wenn du mal wieder vor irgendeiner Webseite stehst oder mal wieder irgendeine App in der Hand hast?

Domingos de Oliveira: Das ist immer das gleiche Trauerspiel, dass die Apps zum Beispiel einfach relativ wenig auf Barrierefreiheit programmiert worden sind. Da ist natürlich das Thema für Blinde: das Thema Beschriftung von Elementen ganz wichtig. Also da ist irgendwie ein Button, der tut irgendwas, aber man weiß nicht was er tut. Wird er jetzt die App wieder vom Smartphone löschen? Kann ich jetzt die App damit starten? Oder lösche ich jetzt damit meine Benutzerdaten? Keine Ahnung was...

Und das ist natürlich super ärgerlich, gerade wenn man so gespannt darauf ist, was diese Apps anbieten, da irgendwie ein neues soziales Netzwerk kommt und man möchte das ja unbedingt ausprobieren. Und dann klappt das nicht, weil die Leute das Thema Barrierefreiheit nicht auf dem Schirm hatten. 

Matthias Klaus: Warum haben denn die Leute das Thema Barrierefreiheit nicht auf dem Schirm?

Domingos de Oliveira: Der Hauptgrund ist, meines Erachtens, dass die Leute in ihrer gesamten Sozialisation einfach kein Bewusstsein dafür gewonnen haben, dass es Menschen mit Behinderung überhaupt gibt. Das hat sich mit dem Thema Inklusion ein bisschen geändert.

Gerade als junger Mensch, hat man diese Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung oder ältere Menschen einfach nicht auf dem Schirm. Manche sind immer noch überrascht, wenn ich ihnen sage: "Ja, Blinde sind im Internet unterwegs und können sogar im Internet ihre Berufstätigkeit verbringen." 

Matthias Klaus: ... Das heißt, es fehlt einmal das Bewusstsein. Ist es denn teurer? Ist es denn viel aufwendiger, etwas barrierefrei zu programmieren, als es einfach zu lassen?

Domingos de Oliveira: Im Grunde genommen nicht, wenn man es von vorne herein berücksichtigt. Alle großen Betriebssystem-Anbieter wie Apple, Google und Microsoft stellen entsprechende Informationen zur Verfügung. In den Entwicklungsumgebungen für die Softwareentwicklung sind auch Funktionalitäten für die Barrierefreiheit integriert.

Auch in den Guidelines, also den ganz normalen Entwickler-Guidelines wo man z.B. sagt "Wie soll so eine App designed sein, damit sie zu einem Android-Handy passt?" Da sind diese ganzen Infos integriert. Und wenn man das von Anfang an berücksichtigen würde, dann würde man sich viel Arbeit sparen zum einen und hätte die Barrierefreiheit von vornherein etabliert, ohne viel mehr Kosten.

Matthias Klaus: Es war ja eine Zeit lang so, dass es dann hieß "wenn ich das barrierefrei mache, dann ist es aber nicht mehr so schick und bunt". Ist das noch war?

Domingos de Oliveira: Das hat tatsächlich so zu keinem Zeitpunkt gestimmt. Also es ist tatsächlich so, dass Barrierefreiheit häufig nicht gut umgesetzt wurde. Mein Lieblingsbeispiel sind immer diese Gebäude, wo man dann hinterher irgendwie zehn Jahre später, nachdem das Ding fertig wurde, noch eine Rollstuhlrampe angepflanzt hat. Das sieht nicht schön aus.

Aber gerade bei Webseiten, wenn man das wirklich von vornherein berücksichtigt, es ist ja im Wesentlichen eine Code-Frage: Wie der Code sozusagen visuell aussieht. Das interessiert ja keinen am Ende. Sondern es ist wirklich auf der Codebasis und es kann sogar ästhetisch ansprechender sein. Wie gesagt, weil es einen dazu zwingt, z.B. die Texte visuell leserfreundlicher zu gestalten und auch aufgeräumter zu gestalten.

Musik: Trenner

Matthias Klaus: Aus deiner langen Erfahrung... Du machst das Ganze jetzt schon, wenn ich sehe, 12 Jahre, ein paar Beispiele für gelungene Barrierefreiheit im Internet, die du hier anführen könntest, wo du sagst  "Ja, guckt euch das mal an, auch wenn ihr es selber so nicht braucht als Menschen, die vielleicht keine Einschränkungen haben". Aber diese Seite ist barrierefrei und sieht trotzdem noch gut aus.

Domingos de Oliveira: Also zwei Webseiten, die mir relativ gut gefallen sind die Website des Instituts für Menschenrechte. Die haben, glaube ich, dieses oder letztes Jahr auch einen größeren Relaunch gemacht, also ein Facelift sozusagen und sind auch recht gut aufgestellt, was die Barrierefreiheit angeht. Und auch die Website der Antidiskriminierungsstelle des Bundes sieht recht gut aus und ist auch sehr gut aufgestellt, was die digitale Barrierefreiheit angeht.

Matthias Klaus: Die Zukunft der Barrierefreiheit: hast du irgendeinen konkreten Wunsch, wo du denkst, das wäre jetzt langsam mal Zeit! Das müsst ihr endlich mal machen!

Domingos de Oliveira: Was ganz stark fehlt, meines Erachtens, ist das Thema Informationsarchitektur beziehungsweise. Benutzerfreundlichkeit. Wir bauen heute viele Webseiten wirklich für "Internet-Profis". Also Menschen, die seit 10-20 Jahren im Internet unterwegs sind, die einfach alles kennen. Die wissen was Cookies sind und was Flash ist und das JavaScript aktiviert oder deaktiviert werden muss.

Aber wir erreichen zum Beispiel die Personen nicht, die einfach wenig technikfähig sind. Es sind häufig ältere Menschen, häufig Menschen mit Behinderung, aber auch viele Menschen, die einfach bei dieser komplexen Informationsarchitektur überfordert sind. Und das wäre, glaube ich, dass ganz große Thema, was wir unbedingt angehen müssten, wenn wir das Thema Barrierefreiheit stärker gewichten wollen. 

Matthias Klaus: Es heißt ja, behinderte Menschen seien mehr im Internet unterwegs als nicht behinderte Menschen. Ist das so?

Domingos de Oliveira: Ich würde sagen, ja. Es gibt mehrere Gründe. Das ist natürlich mit Corona noch ein bisschen akuter geworden. Aber es war auch vorher schon so, dass viele Menschen mit Behinderung, gerade ältere Menschen, einfach sehr große Probleme haben, Kontakte im Alltag zu pflegen bzw. die Umgebung nicht barrierefrei ist. 

Oder bei blinden Menschen: Es ist ja häufig so, dass sie diese basalen Orientierungs-Techniken nicht mehr erlernen können. Und da ist das Internet natürlich ein extrem wichtiger Kanal, um soziale Kontakte noch aufrechtzuerhalten. Also das ganze Thema Einsamkeit, soziale Isolation spielt eine ganz große Rolle.

Und natürlich hat das Internet, wie du am Anfang schon sagtest, viel für uns extrem erleichtert. Also es ist immer noch eine Herausforderung, irgendwie in ein fremdes Geschäft zu gehen und zum Beispiel einen USB-Stick zu kaufen. Und heute ist er sozusagen nur noch zwei Klicks entfernt.

Ich kann einfach irgendeinen Online-Shop aussuchen, die Preise problemlos vergleichen oder die Nachrichten komplett online lesen und bin da nicht mehr so stark darauf angewiesen, mir die Zeitung zu kaufen, oder die einzuscannen oder etwas in der Art.

Matthias Klaus: Viele ältere Menschen benutzen ja inzwischen das Internet und die brauchen die Einfachheit und die Barrierefreiheit. Es ist wirklich für alle nützlich. In diesem Sinne, vielen Dank, Domingos de Oliveira, dass du heute hier warst, uns ein bisschen Einblicke gegeben hast in die Welt des barrierefreien Internets. Sehr schön, dass du Zeit für uns hattest.

Domingos de Oliveira: Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte. 

Matthias Klaus: Das war "Echt behindert!" Mein Name ist Matthias Klaus und übrigens Informationen darüber, welche Seiten gut sind, welche Seiten schlecht sind, wo man mehr über Barrierefreiheit lernen kann: können Sie bei uns auf der Begleitseite zum Podcast sehen. Die heißt dw.com/echtbehindert  in einem Wort. Das war "Echt behindert!" Vielen Dank, dass Sie dabei waren.

Sprecher: Mehr Folgen unter dw.com/echtbehindert. 

Hinweis der Redaktion: Dieses Transkript wurde unter Nutzung einer automatisierten Spracherkennungs-Software erstellt. Danach wurde es auf offensichtliche Fehler hin redaktionell bearbeitet. Der Text gibt das gesprochene Wort wieder, erfüllt aber nicht unsere Ansprüche an ein umfassend redigiertes Interview. Wir danken unseren Leserinnen und Lesern für das Verständnis.