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Teil-Lockdown: Entscheiden jetzt die Gerichte?

Kay-Alexander Scholz
2. November 2020

In Corona-Zeiten ist der starke Staat gefragt, die Exekutive bestimmt das Geschehen. Die Justiz wiederum kann die Entscheidungen der Regierung korrigieren. Welche Maßnahmen bieten Angriffsfläche?

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Ein Bild einer Wage in einem Gerichtssaal
Bild: imago images/PanoramiC

Jede Eindämmungsmaßnahme müsse "für sich genommen notwendig sein", warnt der Vorsitzende des Bundes deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltunsricherinnen, Robert Seegmüller. Es reiche nicht aus, dass eine Maßnahme lediglich als "nützlich" angesehen werde.

Vielmehr dürften Behörden "nur solche Maßnahmen verbindlich anordnen, die zur Erreichung infektionsschutzrechtlich legitimer Ziele objektiv notwendig" seien. Die Verwaltungsgerichte in Deutschland seien gut auf eine mögliche große Zahl an Klagen und Verfahren vorbereitet.

Hamburg | 18. Deutscher Verwaltungsgerichtstag - Robert Seegmüller
"Auch in der Krise gilt die Verfassung" - Verwaltungsrichter Robert SeegmüllerBild: Lukas Schulze/dpa/picture alliance

Bringen die Gerichte in Deutschland die Beschlüsse des Teil-Lockdowns zu Fall? In einer Demokratie kann sich schließlich jeder Einzelne oder jedes Unternehmen juristisch gegen Maßnahmen des Staates wehren.

200 Anfragen in 48 Stunden

Wer eine Corona-Maßnahme nicht für notwendig hält, ruft bei Niko Härting an. Als vor einigen Wochen der Berliner Senat eine Sperrstunde einführte, vertrat der Anwalt aus Berlin elf Inhaber von Bars, klagte beim Verwaltungsgericht und gewann. Die elf Gaststätten mussten nicht um 23 Uhr schließen. Der Erfolg sprach sich anscheinend herum.

Allein in den ersten 48 Stunden nach dem Beschluss zum Teil-Lockdown hätten sich weit mehr als 200 neue Mandaten gemeldet, berichtet Härting im DW-Interview. Sie alle gehörten zur Freizeit- und Unterhaltungsbranche, die nun landesweit erneut für einen Monat heruntergefahren wird. "Der größte Anteil sind Gastronomen - mit denen fangen wir an", erzählt Härting.

Deutschland Der Berliner Anwalt Nico Härting
Der Berliner Anwalt Niko Härting hat schon erfolgreich gegen eine Sperrstunde für Bars geklagtBild: Prof. Niko Härting

Es hätten sich aber auch Fitness-Studios, Ton-Studios, Kosmetik- und Tattoo-Läden gemeldet. Er könne ihnen Mut machen, nicht weil das Anwälte sowieso immer täten, sagt Niko Härting mit einem Schmunzeln, sondern weil es gute Argumente gebe.

Welche Rolle spielen die Parlamente?

"Gastwirte können schön verlangen, dass sie nicht aufgrund von Mutmaßungen, sondern aufgrund von Tatsachen schließen müssen," sagt der Anwalt. Gehäufte Ansteckungen ließen sich nicht belegen - deshalb müsse die Frage nach der "Verhältnismäßigkeit" gestellt werden.

Die Exekutive, genauer Bundeskanzlerin Angela Merkel nach den Beratungen mit den Ministerpräsidenten, hatte darauf verwiesen, dass bei drei von vier Infektionen der Ansteckungsort nicht mehr nachvollziehbar sei. Das lässt sich nun für Argumentationen in beide Richtungen verwenden.

Deutscher Bundestag Plenum Sitzung in Berlin
Die Parlamente sollten über die Pandemiebekämpfung entscheiden, fordert Anwalt HärtingBild: picture-alliance/Flashpic/J. Krick

Härting kritisiert auch die generelle Art, wie Entscheidungen getroffen werden. Grundlage sind bislang die jeweiligen Infektionsschutzgesetze der Bundesländer. Die Länderparlamente erlassen darauf basierende Verordnungen. "Doch eigentlich sind die Parlamente aufgefordert, Gesetze zu erlassen", sagt Härting.

"Ist das ein stimmiges Konzept?"

Ein weiterer Punkt seien Gleichheitsfragen, erläutert der Anwalt. Es sei seiner Ansicht nach schwer zu erklären, warum sich die Leute weiterhin in volle U-Bahnen zwängen dürften, um in die noch offenen Autohäuser und Shopping-Malls zu fahren.

"Die Einschränkungen dürfen nicht beliebig auf einzelnen Schultern abgeladen werden." Nach den Beschlüssen des Senats seien 50 Leute in einem Raum erlaubt, so lange es keine Gastronomie oder Theater gebe. "Ist das ein stimmiges Konzept?", fragt der Jurist.

Zuletzt hatten Gerichte in vielen Bundesländern das sogenannte Beherbergungsverbot gekippt, das Übernachtungen für Urlauber aus Corona-Risikogebieten nur unter der Bedingung eines negativen Corona-Tests erlaubte.

Restaurants bei ihren Klagen mit guten Erfolgsaussichten

Der renommierte Staatsrechtler Ulrich Battis rechnet zwar nicht damit, dass der Teil-Lockdown ganz gekippt werde. Aber Battis glaubt schon, dass viele Klagen auch erfolgreich sein könnten. Gerade bei den Restaurants lasse "die wissenschaftliche Grundlage Interpretationsspielraum für die Richter zu". 

Deutschland Rechtsprofessor Ulrich Battis
Erwartet eine erfolgreiche Klagewelle - Rechtsprofessor Ulrich BattisBild: picture-alliance/dpa

Allerdings würden die Richter wohl auch berücksichtigen müssen, dass die Maßnahmen befristet sind (sie sollen zunächst für den Monat November gelten) und dass es Entschädigungszahlungen in Höhe von bis zu 75 Prozent des Novemberumsatzes 2019 geben soll.