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Nicht alle wollen Demokratie

Thomas Latschan13. Juni 2013

Trotz seines Regimes hat der Iran eine starke Zivilgesellschaft. Viele Bürger sind in verschiedenen Organisationen aktiv, doch gehen ihre Ziele weit auseinander, sagt Politologe Adnan Tabatabai im Gespräch mit der DW.

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Iranische Bergarbeiter (Foto: Jamejamonline)
Bild: Jamejamonline

DW: Herr Tabatabai, wie stark ist die Zivilgesellschaft im Iran ausgeprägt, und wie groß ist ihr politischer Einfluss?

Adnan Tabatabai: Im Prinzip ist es wichtig, dass man sich, wenn man sich mit der Zivilgesellschaft im Iran befasst, nicht nur mit den Organisationen befasst, die in der Reform-Ära unter Mohammed Chatami entstanden sind. Es gibt auch eine ganze Reihe zivilgesellschaftlicher Akteure, die nicht in unserem Sinne demokratiefördernd sind, sondern eigentlich konsolidierende Arbeit für den Staat oder für das Regime machen, sei es bei der Kulturarbeit, Wohlfahrt, Pilgerreisen, Sittenwacht oder bei ähnlichen Dingen. Diese zivilgesellschaftlichen Akteure sind für die tagespolitischen Entscheidungen eher irrelevant, aber sie übernehmen für das Alltagsleben der iranischen Gesellschaft durchaus wichtige Aufgaben.

In welchen Feldern sind diese Organisationen vor allen Dingen aktiv?

Beispielsweise in der Wohlfahrt, der Krebshilfe, der Drogenbekämpfung, der Flüchtlingshilfe. Da gibt es viele Organisationen, die zwar mit staatlichen Mitteln gefördert werden, aber sozusagen dem Staat die Arbeit abnehmen, um vor Ort Hilfe zu leisten und die Bedürfnisse der Menschen zu bedienen. Natürlich gibt es auch die Frauenbewegung, die Arbeiterbewegung oder dergleichen, aber es gibt eben auch Bereiche, die politisch unbrisant sind, wie zum Beispiel Kinderkrankheitsvorsorge oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Und das sind Gebiete, auf denen auch NGOs ganz normal arbeiten können, ohne Repressionen fürchten zu müssen. Im Gegenteil, diese Organisationen können sogar konsolidierend auf das Regime wirken. Insofern kann Zivilgesellschaft auch regimestärkend sein, sogar in einem autoritären Kontext.

Demonstration der Frauenbewegung in Teheran (Foto: DW/Farhad Rajabali)
Nicht alle zivilgesellschaftlichen Akteure sind so politisch wie die FrauenbewegungBild: Farhad Rajabali

Gibt es auch zivilgesellschaftliche Akteure, die in einer Art Schattendasein regimekritisch sind?

Absolut. Vielleicht sieht man die NGOs, die in der Reform-Ära zu Beginn der 2000er Jahre noch registriert waren, heute nicht mehr. Aber sie treffen sich vielleicht in einem privaten Wohnzimmer in kleinen Gruppen und organisieren da verschiedene Tätigkeiten. Das kann schon bei einer Art Literaturkreis anfangen, der sich mit gesellschaftskritischen Texten auseinandersetzt, um gesellschaftskritisches Bewusstsein zu fördern. Vieles läuft da auch über informelle Netzwerke.

Wenn man sich die Zeit seit dem Amtsantritt Ahmadinedschads anschaut, wie hat sich das politische Klima für kritischere politische, zivilgesellschaftliche Akteure in den vergangenen acht Jahren verändert?

Der autoritäre Kontext hat sich seit Ahmadinedschads Amtsantritt zugespitzt. Das begann schon zum Ende der Präsidentschaft Chatamis und wurde danach noch repressiver. Vor der Wahl 2009 hat sich das Klima dann plötzlich noch einmal sehr stark verbessert, um danach wieder so richtig "zuzuschnappen". Es war, als hätte man noch einmal komplett ausgeholt, um die Repressionen dann richtig anzuziehen. Nichtsdestotrotz sind die Akteure unerschütterlich und arbeiten weiter, finden informelle Wege und treffen sich eben bei den Initiatoren im Wohnzimmer.

Wie sehr setzt sich die sogenannte "Grüne Bewegung", die nach den Wahlen 2009 aufkam, aus solchen zivilgesellschaftlichen Akteuren zusammen? Oder ist sie eher ein loser Zusammenschluss von Leuten, die unterschiedliche Ziele hatten und die nur einte, dass man sich um seine Wahlstimme betrogen fühlte?

Also, es ist sehr schwer zu verifizieren, ob die Akteure, die sich in der Reformzeit gebildet haben, sich auch im Aufstand wiederfinden. Dafür war die Grüne Bewegung dann doch relativ anonym. Wenn man sich nur die politisch besonders lautstarken Akteure der Bewegung anschaut, dann kommen diese natürlich aus dem Reformlager. Aber insgesamt wurde auch eine Allianz gebildet mit anderen änderungswilligen Teilen der Bevölkerung, auch wenn wir da fragen müssen: Wollten diese eine Regierungsänderung oder eine Systemänderung? Da gab es einen Schulterschluss, aber diese Forderungen und diese Protestwucht wurden dann verhältnismäßig schnell wieder zerschlagen.

Vorschule im Iran (Foto: http://images.hamshahrionline.ir)
Freiwillige engagieren sich bei der vorschulischen KinderbetreuungBild: hamshahrionline

Was ist aus der Grünen Bewegung geworden? Gibt es sie noch? Und könnte sie auch bei den diesjährigen Wahlen eine Rolle spielen?

Ich glaube, dass die politischen Ideen, die im Zuge dieser Protestbewegung artikuliert wurden, bleiben. Nur weil sie nicht mehr auf den Straßen skandiert werden, heißt das noch lange nicht, dass man nicht verlangt, mit seiner Stimme bei den Präsidentschaftswahlen etwas bewegen zu können. Auch andere Forderungen, wie zum Beispiel die Schwächung des Wächterrates bei der Filterung der Präsidentschaftskandidaten, sind ja als Idee nicht verschwunden. Und jede soziale Bewegung schafft auch Kulturgüter, seien es Lieder, seien es Kunstwerke, und die sind natürlich auch immer noch da.

Gleichzeitig ist eine Fortentwicklung dieser Gedanken dadurch unterbunden worden, dass man die klugen Köpfe dieser Bewegung eingebuchtet und den Kontakt abgebrochen hat. Letztendlich hat man die Hauptfiguren unter Hausarrest gestellt, aber viele andere jüngere Leute sind auch im Gefängnis oder wurden anderweitig eingeschüchtert und mundtot gemacht.

Dennoch wird für jede kommende politische Entwicklung im Iran diese Grüne Bewegung zumindest auf der Diskursebene eine Rolle spielen, da man sich immer daran zurückerinnert. Und die Tatsache, dass Akteure aus der Mitte des Regimes fordern, dass die Reformer Mussawi und Karroubi endlich wieder freigelassen werden sollen, zeigt, dass das auch heute noch in die politische Realität hineinwirkt. Deswegen: Ausgeschaltet ist die Bewegung nur in Form ihrer Aktivitäten, die Gedanken sind aber noch da, und die gehen auch nicht so schnell verloren.

Adnan Tabatabai ist Iran-Experte und selbstständiger Politologe und lebt in Berlin.