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Syrien-Konferenz: Signal der Solidarität

Bettina Marx / Sabine Kinkartz28. Oktober 2014

Seit vier Jahren tobt in Syrien ein blutiger Bürgerkrieg. Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Ihnen steht nun der vierte Kriegswinter bevor. Politiker und NGOs fordern internationale Unterstützung.

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Syrische Flüchtlinge bei Suruc in der Türkei schützen sich unter einer Plane. (Foto: Murad Sezer/Reuters)
Bild: Reuters/Murad Sezer

In der Krisenregion im Nahen Osten sind Millionen Menschen auf der Flucht. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien mehr als drei Millionen Syrer in die Nachbarländer geflüchtet. Hinzu kommen noch einmal sechseinhalb Millionen Binnenflüchtlinge innerhalb Syriens. Unter den Betroffenen sind über sechs Millionen Kinder. "Wir haben es hier mit einer Jahrhundertkatastrophe zu tun", so Bundesentwicklungsminister Gerd Müller. Diese Katastrophe setze sich fort mit dem Terror des sogenannten "Islamischen Staates", sagte der CSU-Politiker in Berlin. Auch im Irak, der bis vor kurzem selbst syrische Flüchtlinge aufgenommen hat, sind die Einwohner ganzer Gemeinden inzwischen auf der Flucht.

Bald kommt der Winter

Die internationale Gemeinschaft müsse sich stärker engagieren, um den Betroffenen zu helfen, fordert Müller. Der Winter stehe bevor, viele Flüchtlingslager seien darauf nicht angemessen vorbereitet. Der Regen habe schon begonnen, bald werde es kalt und dann müsse man damit rechnen, dass es viele Tote geben werde, so der deutsche Minister. Im Nordirak und in der Türkei lebten die Flüchtlinge zum Teil ohne Dach über dem Kopf in Parks und auf der Straße. Viele könnten sich nur mit einer einfachen Plane vor der Kälte schützen.

Maria Calivis und Gerd Müller am 27.10.2014 (Foto: Rainer Jensen/dpa)
UNICEF-Regionaldirektorin Calivis und Minister Müller: "Kein Kind darf erfrieren, verhungern oder verdursten"Bild: picture-alliance/dpa/Rainer Jensen

"Es darf kein Kind und kein Betroffener in den Camps erfrieren oder verhungern oder verdursten", macht Müller klar und verspricht, die Hilfe für die Flüchtlinge um weitere 100 Millionen Euro aufzustocken. Deutschland hat seit 2012 bereits rund 632 Millionen Euro für die Syrien-Hilfe zur Verfügung gestellt. Nach den Berechnungen des UNHCR liegt der Gesamtbedarf bei 3,75 Milliarden Dollar. Müller forderte, dass Europa eine Milliarde Euro aufbringen müsse, um den Flüchtlingen zu helfen, den Winter zu überstehen. "Wenn sich die europäischen Länder dort nicht stärker engagieren, dann kommt diese Flüchtlingskrise in einer noch viel größeren Dimension hier in Europa an", warnt er.

Internationale Flüchtlingskonferenz in Berlin

Am Dienstag kommen im Auswärtigen Amt Vertreter von 40 Staaten und internationalen Organisationen zu einer Syrien-Flüchtlingskonferenz zusammen. Dazu eingeladen haben neben Entwicklungsminister Müller auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und UN-Flüchtlingshochkommissar Antonio Guterres.

"Ich bin der Bundesregierung dankbar für diese Konferenz", sagt Maria Calivis, Regionaldirektorin des UN-Kinderhilfswerks UNICEF für den Mittleren Osten. Damit werde der Scheinwerfer noch einmal auf diese Region gerichtet, die dringend auf Hilfe angewiesen sei. Nicht nur die Flüchtlinge seien von Armut und Perspektivlosigkeit betroffen. Dies gelte auch für die Aufnahmeländer, vor allem für die Nachbarstaaten Syriens, den Libanon, Jordanien und die Türkei. Viele Gemeinden, die Flüchtlinge aufgenommen haben, seien inzwischen am Rande ihrer Belastbarkeit angelangt. Im Libanon sei im Bekaa-Tal das Trinkwasser knapp geworden. Jordanische Familien, die den Flüchtlingen und Vertriebenen Unterschlupf gewährten, hätten ihre Ersparnisse aufgebraucht. Besonders schlimm sei die Lage der Kinder, die ihre Heimat, ihre Sicherheit und ihre Perspektive verloren hätten.

Flüchtlingskinder in einem Lager im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien (Foto: Julia Hahn/DW)
Kinder im Flüchtlingslager Suruc (Türkei): Armut und PerspektivlosigkeitBild: DW/J. Hahn

Damit sie nicht als "verlorene Generation" heranwachsen, müsse man ihnen helfen, so die UNICEF-Mitarbeiterin, und vor allem dafür sorgen, dass sie zur Schule gehen könnten. Für syrische Eltern sei die Schulbildung ihrer Kinder eine Lebensversicherung. Denn die Bildung diene Menschen, die über keine Papiere verfügten, quasi als "Reisepass", der es ihnen ermöglicht, auch fern ihrer Heimat Fuß zu fassen. Drei Millionen syrische Kinder hätten derzeit keinen Zugang zu Schulbildung. Hier gelte es, Abhilfe zu schaffen, macht Calivis deutlich. Im Libanon habe UNICEF bereits 70.000 Rücksäcke mit Schulmaterial verteilt und in Jordanien konnten 120.000 syrische Kinder mit Hilfe der UN-Organisation die Schule besuchen.

"Wir erwarten ein politisches Signal"

Kurz vor Beginn der Syrien-Flüchtlingskonferenz machten auch Entwicklungsorganisationen auf die dramatische Lage in den betroffenen Ländern aufmerksam. Das gesamte humanitäre System sei unterfinanziert, beklagt Mathias Mogge, Vorstandsmitglied des Verbands Entwicklungspolitik deutscher Nichtregierungsorganisationen (VENRO). Die finanziellen Zusagen der Staaten kämen in der Regel zu kurzfristig, um mehrjährige Projekte aufzubauen und um die Kommunen zu unterstützen, die Flüchtlinge aufnähmen.

Ton van Zutphen, Regionaldirektor der Welthungerhilfe, ergänzt, man müsse damit rechnen, dass sich die Lage in den nächsten fünf bis zehn Jahren nicht entscheidend verbessere. Daher müsse man langfristig planen. Zunächst gelte es aber, für den unmittelbar bevorstehenden Winter Tausende von Flüchtlingsunterkünften winterfest zu machen und die Menschen mit warmer Kleidung und Decken zu versorgen.

Abeer Ziadeh von der Organisation "Save the Children" in Jordanien sagt, ihre Land nehme etwa ein Drittel aller Syrien-Flüchtlinge auf und zeige sich dabei sehr großzügig. Wegen seiner eigenen wirtschaftlichen Probleme könne Jordanien aber nicht alle Bedürfnisse der Flüchtlinge erfüllen und sei auf auswärtige Hilfe angewiesen.

Die Entwicklungsorganisationen hoffen, dass von der Konferenz im Auswärtigen Amt in Berlin auch ein politisches Signal ausgeht. Notwendig seien neue Initiativen für Frieden in der Region, sagt VENRO-Vorstand Mogge.

Libanesischer Ministerpräsident im Kanzleramt

Die Berliner Flüchtlingskonferenz versteht sich ausdrücklich nicht als Geberkonferenz. Stattdessen soll das Zusammentreffen ein politisches Zeichen setzen. "Ich hoffe, dass von dieser Konferenz ein starkes Signal der Solidarität ausgeht", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel, die am frühen Montagabend im Kanzleramt den zu der Konferenz angereisten libanesischen Ministerpräsidenten Tammam Salam empfing.

Merkel sagte Salam deutsche Hilfe zu. "Deutschland ist solidarisch angesichts der Probleme, denen Libanon gegenübersteht." In dem Land mit seinen vier Millionen Einwohnern sind derzeit eine Million Flüchtlinge offiziell registriert. "Wir alle in Deutschland können uns kaum vorstellen, was das an Herausforderungen bedeutet, zumal die Situation im Libanon, geprägt durch palästinensische Flüchtlinge, über Jahrzehnte auch ohne die Syrien-Krise schon eine sehr schwierige war", so Merkel.

Salam sagte, er sei dankbar für das deutsche Interesse und die Ausrichtung der Konferenz, die seinem Land zu Gute komme. Deutschland beteiligt sich derzeit auf mehreren Wegen finanziell an den Kosten der Flüchtlingslager. Geld fließt auf bilateralen Wegen, über die Europäische Union und den UNHCR.