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Supreme Court kippt Studentenauswahl anhand der Hautfarbe

29. Juni 2023

Das Oberste Gericht der USA hat die bisherige Berücksichtigung der Hautfarbe oder Abstammung von Bewerberinnen und Bewerbern bei der Zulassung an Universitäten für verfassungswidrig erklärt.

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Ansicht des Supreme Courts
Das Gebäude des Supreme Court in WashingtonBild: Kevin Dietsch/AFP/Getty Images

In Washington urteilte der Supreme Court, die unter dem Begriff Affirmative Action oder positive Diskriminierung bekannte Praxis der Auswahl der Studierenden verstoße gegen die Verfassung. Mit dem Vorgehen hatten Hochschulen über Jahrzehnte versucht, einen besseren Zugang von Minderheiten - insbesondere Afroamerikanern - sicherzustellen. Auch wenn die fraglichen Zulassungsverfahren an zwei Hochschulen mit guter Absicht eingeführt worden seien, erfüllten sie nicht die verfassungsmäßigen Anforderungen, erklärte das Gericht zur Begründung.

In beiden Fällen stimmten die sechs konservativen der insgesamt neun Richter gegen die bisherige Regelung, die noch 2016 vom Supreme Court der Vereinigten Staaten bestätigt worden war. Seitdem ist das Oberste Gericht nach der Ernennung von drei Richtern durch den damaligen Präsidenten Donald Trump deutlich konservativer geworden.

Andere Kriterien wichtiger

"Der Student oder die Studentin muss auf Grundlage seiner oder ihrer Erfahrung als Individuum behandelt werden - nicht auf Grundlage von Rasse", schreibt Gerichtspräsident John Roberts in der Urteilsbegründung. In den USA ist der Begriff "race" (Rasse) zur Unterscheidung von Bevölkerungsgruppen anhand ihrer Hautfarbe üblich. "Viele Universitäten haben zu lange den falschen Schluss gezogen, dass der Prüfstein für die Identität eines Individuums nicht überwundene Herausforderungen, erworbene Fähigkeiten oder gelernte Lektionen sind, sondern die Farbe seiner Haut", führte Roberts aus. "Die Verfassungsgeschichte dieser Nation toleriert diese Auswahl nicht."

Supreme Court: "Affirmative Action" verfassungswidrig

Zugleich erklärte der Gerichtshof, Universitäten könnten Schilderungen von Bewerbern berücksichtigen, wie ihre Hautfarbe ihr Leben geprägt habe - allerdings nur mit Bezug zur "Charakter-Qualität oder einmaligen Fähigkeit, die der Bewerber zur Universität beitragen kann".

Asiatischstämmige Bewerber benachteiligt?

In dem Urteil ging es um Klagen der Studentenorganisation Students for Fair Admissions (Studenten für faire Zulassungen) gegen die private Elite-Universität Harvard und die staatliche University of North Carolina (UNC). Die Kläger argumentieren unter anderem, durch die bisherigen Auswahlverfahren, die insbesondere auf Afroamerikaner abzielen, würden Bewerber mit asiatischen Wurzeln benachteiligt.

Maßnahmen unter dem Schlagwort Affirmative Action waren in den 1960er Jahren im Zuge der US-Bürgerrechtsbewegung eingeführt worden. Ziel war es, Afroamerikanern nach Jahrhunderten der Unterdrückung, Diskriminierung und Benachteiligung einen besseren Zugang zu guten Bildungseinrichtungen zu ermöglichen. Von den Programmen sollten auch Hispanoamerikaner und Indigene profitieren. Nach Angaben der Universität Harvard haben 40 Prozent der US-Universitäten entsprechende Regelungen.

Seit Jahrzehnten umstritten

Entsprechende Programme waren aber von Anfang an umstritten. So zogen weiße Studienbewerber mit dem Argument vor Gericht, sie würden Opfer einer "umgekehrten Diskriminierung". Kritiker führen auch an, die Hautfarbe zu berücksichtigen, zementiere die Unterteilung von Menschen in unterschiedliche Gruppen und spalte so die Gesellschaft.

Demonstrierende mit Plakaten
Studierende und Aktivisten demonstrieren im Oktober 2022 vor dem Obersten GerichtshofBild: J. Scott Applewhite/AP Photo/picture alliance

1978 urteilte der Supreme Court zwar, Universitäten dürften bei der Auswahl von Bewerbern keine festen Quoten anhand der Hautfarbe nutzen. Die Hautfarbe oder die ethnische Herkunft könnten aber als eines von mehreren Kriterien genutzt werden, um Vielfalt in der Studentenschaft sicherzustellen.

Das Urteil in dem Fall war mit großer Spannung erwartet worden. Bürgerrechtsorganisationen befürchten nun, dass die Zahl Schwarzer an Universitäten nach dem Ende der jahrzehntelangen Praxis drastisch zurückgehen könnte.

Kritik und Lob nach Urteil

Das Urteil aus Washington hat geteilte politische Reaktionen hervorgerufen. Die linksliberale Verfassungsrichterin Sonia Sotomayor kritisierte den Mehrheitsbeschluss des Gerichtshofs scharf. Mit dem Urteil würden "Jahrzehnte" des Fortschritts zurückgerollt. "Das Gericht zementiert eine oberflächliche Regel der Blindheit gegenüber Hautfarbe als Verfassungsprinzip in einer endemisch (nach Hautfarbe) getrennten Gesellschaft."

Sonia Sotomayor
Sonia Sotomayor, Richterin am Obersten Gerichtshof der USA (Archivbild)Bild: Erin Schaff/AP/picture alliance

Präsident Joe Biden unterstrich, er sei mit dem Gerichtsbeschluss "absolut nicht einverstanden". Die Universitäten sollten ihre Verpflichtung, eine vielfältige Studentenschaft zu schaffen, nicht aufgeben. "Diskriminierung existiert immer noch in Amerika", sagte Biden. "Daran ändert auch die heutige Entscheidung nichts. Es ist eine einfache Tatsache, dass wenn ein Studierender auf seinem Bildungsweg Widrigkeiten überwinden musste, die Hochschulen dies anerkennen und wertschätzen sollten". Er glaube, dass die amerikanischen Hochschulen stärker seien, wenn sie rassisch divers seien. "Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Entscheidung das letzte Wort ist", fügte der Präsident hinzu.

Der frühere Präsident Barack Obama erklärte, Affirmative Action sei wie jede Politik "nicht perfekt" gewesen. Sie habe ihm und seiner Ehefrau Michelle aber erlaubt "zu beweisen, dass wir dazugehören". Nun müssten sich alle dafür einsetzen, dass junge Menschen die Chancen erhielten, die sie verdienten, erklärte der erste schwarze US-Präsident der Geschichte. Obamas Ehefrau Michelle erklärte, die Supreme-Court-Entscheidung "zerbricht mir das Herz".

Senator Cory Booker von Obamas Demokratischer Partei sprach von einem "verheerenden Schlag gegen unser Bildungssystem im ganzen Land".

Bei den Republikanern sorgte das Urteil für Jubel. Ex-Präsident Donald Trump sprach von einem "großartigen Tag für Amerika". Künftig werde wieder nur die Leistung des Einzelnen zählen. Der Vorsitzende des Repräsentantenhauses, der Republikaner Kevin McCarthy, sagte: "Das wird das Verfahren für einen Zugang zu Hochschulen fairer machen und die Gleichheit vor dem Gesetz wahren."

kle/fab (afp, rtr, dpa)