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Überschallflug - Luftnummer oder neue Ära?

Andreas Spaeth
14. Juni 2021

Da ist der Riesenauftrag für den möglichen Concorde-Nachfolger Boom Supersonic. Aber auch die Pleite eines anderen wichtigen Anbieters: Was steckt hinter dem plötzlichen Überschall-Hype?

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Boom Supersonic | Neuentwicklung Überschall-Flugzeug
Sieht so die Zukunft aus? Modell des Überschallflugzeugs OvertureBild: Nathan Leach-Proffer/Boom Supersonic/abaca/picture alliance

Eine der größten Fluggesellschaften der Welt bestellt bis zu 50 Überschall-Verkehrsflugzeuge - so eine Nachricht wie Anfang Juni hatte es seit den 1960er-Jahren nicht mehr gegeben. Damals lieferten sich die großen Airlines der Welt ein Wettrennen darum, wer wie viele Optionen auf die Flieger zeichnete. Zur Auswahl standen die britisch-französische Concorde oder der amerikanischen Entwurf Boeing SST.

Die Lufthansa zum Beispiel stand auf beiden Seiten des Atlantiks in den Auftragsbüchern für Flugzeuge, die doppelt so schnell fliegen können wie der Schall. Alle wollten dabei sein, damals ging man davon aus, dass irgendwann in den 1970er-Jahren der Zeitpunkt kommen würde, an dem quasi alle Passagierflüge auf Langstrecken nur noch per Überschall bewältigt würden. Bekanntlich kam es anders - nach Milliardenausgaben wurde das Boeing-Projekt 1971 sang- und klanglos eingestellt.

Überschallflugzeug | Concorde Baujahr 1968
Bild aus alten Tagen: die Concorde Baujahr 1968Bild: empics/picture alliance

Mit ähnlich riesigem Aufwand zogen die Europäer ihr Concorde-Projekt durch, wichtig für das Prestige, aber wirtschaftlich ein völliger Flop. Nur 13 Concorde standen im subventionierten Liniendienst bei Air France und British Airways, 2003 war dann Schluss.

Damals nicht nachhaltig und heute erst recht nicht

Hauptgründe für das Scheitern der ersten Überschall-Ära waren grundlegende Hürden, die vor allem mit Physik zu tun haben: Überschallflug produziert unweigerlich einen Doppelknall, der sich nicht verhindern lässt und Flüge oberhalb der Schallgeschwindigkeit (Mach 1) über Land verbietet. Gleichzeitig produzieren Überschalljets schon aufgrund ihrer Aerodynamik beim Start extremen Lärm - und fressen im Vergleich zu üblichen Verkehrsflugzeugen ein Vielfaches an Treibstoff. Das war damals nicht nachhaltig und wäre es heute erst recht nicht.

Als United Airlines, viertgrößte Fluggesellschaft der Welt, Anfang Juni ihre Absicht verkündete, 15 Overture-Überschalljets von dem Start-up Boom Supersonic zu kaufen und Optionen für 35 weitere zu erwerben, galt dies als Sensation. "Ein Schritt der einen Vorwärtssprung bei der Rückkehr von Überschallgeschwindigkeit in die Luftfahrt ermöglichen wird", jubelten die Unternehmen.

Allerdings nur unter der entscheidenden Einschränkung: "Wenn Overture die hohen Anforderungen von United bei Sicherheit, Flugbetrieb und Nachhaltigkeit erfüllt." United hat zum Beweis ihrer ernsten Kaufabsicht bereits Geld an Boom gezahlt, wie viel wurde nicht bekannt. Der Zeitplan sieht vor, dass das Flugzeug 2026 erstmals abhebt und ab 2029 bei United zahlende Passagiere mit 1,7-facher Schallgeschwindigkeit befördert und damit deutlich langsamer als die Concorde, die mehr als zweifache Schallgeschwindigkeit (Mach 2,02) erreichte. Trotzdem könnte die Overture in vier (statt sonst rund acht) Stunden auch von Frankfurt nach New York fliegen - dank ihrer gegenüber der Concorde größeren Reichweite, die das damals nicht schaffte.

Spritverbrauch als entscheidendes Thema

Das neue Flugzeug würde mit 50 bis 60 Passagieren weniger Reisende befördern als die Concorde mit hundert Sitzen, allerdings pro Passagier drei bis fünfmal mehr CO2 ausstoßen als ein Unterschallflug auf gleicher Route und nach Schätzungen der unabhängigen Forscher des International Council on Clean Transportation (ICCT) fünf- bis siebenmal mehr Treibstoff je Passagier verbrauchen.

Boom Supersonic | XB-1
Kleiner Prototyp der Overture - der XB-1 von Boom Supersonic soll das Feld der größeren Überschallflieger erprobenBild: Boom Supersonic/Cover Images/picture alliance

Der Sprit ist ein entscheidendes Thema: Boom hat sich verpflichtet, Overture als erstes Verkehrsflugzeug überhaupt so auszulegen, dass es zu 100-prozentig mit nachhaltigem, synthetischem Kraftstoff fliegen kann, bisher ist dies nur mit Beimischungen möglich. Allerdings gibt es davon bisher viel zu wenig und die Produktion ist viel teurer als bei Kerosin. Allein die 15 Overture von United könnten gegen Ende des Jahrzehnts mehr als das Doppelte der Menge des nachhaltigen Flugtreibstoffs benötigen, der in der gesamten EU dann vorhanden sein wird, schätzt der ICCT. Weil die Behauptung von nachhaltigem Überschallflug damit widerlegt würde, sprechen Kritiker schon von Greenwashing.

Ob das Projekt überhaupt jemals abheben wird, ist ohnehin sehr fraglich. Die Bewertung des Deals, der streng genommen noch gar keiner ist weil es Overture noch nicht gibt, fällt unter Branchenexperten sehr skeptisch aus. Luftfahrtberater Richard Aboulafia von der Teal Group weist auf den riesigen Publicity-Wert solcher wenig fundierten Ankündigungen hin, die die Beteiligten fast nichts kostet. "United positioniert sich weiterhin als umweltfreundlich, was jetzt etwas lächerlich wirkt", so Aboulafia, "aber weil dieses Flugzeug sowieso völlig imaginär ist, spielt das auch keine große Rolle."

Entweder Scheitern oder die Welt verändern

Trotzdem sieht Bernd Liebhardt, Überschallexperte beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Hamburg, in der United- Ankündigung auch einen "deutlichen Glaubwürdigkeitsschub für Boom in der Öffentlichkeit." Ob das Start-up aus Denver, Colorado, die geweckten Erwartungen erfüllen kann, wird sich schon bald zeigen: Ende dieses Jahres oder Anfang 2022 soll das bereits fertiggestellte einsitzige Testflugzeug XB-1 abheben, erster privat gebauter Überschalljet der Welt, um das Konzept für Overture zu bestätigen und zu verfeinern.

AS2-Business Jet von Aerion
Modell der Aerion Supersonic - Das Aus kam vor der entscheidenden PhaseBild: Aerion

Das Engagement von United ist auch deswegen bemerkenswert, weil erst kurz zuvor ein anderes US-Unternehmen mit vielversprechenden Überschallplänen nach anderthalb Jahrzehnten Forschung und Investitionen von rund einer Milliarde Euro überraschend seinen Betrieb eingestellt hatte. Aerion Supersonic wollte zunächst einen zwölfsitzigen Überschall-Privatjet bauen, später auch Verkehrsflugzeuge, und hatte als starken Partner Boeing an seiner Seite. Jetzt, wo mit Produktionsbeginn hohe Investitionen von geschätzten drei Milliarden Euro nötig gewesen wären, aber fehlte das Kapital.

Das gleiche könnte auch Boom blühen, schwant etwa Richard Aboulafia: "Wenn es schon Aerion mit einem stimmigen Konzept nicht schafft, wer dann?" Diesem Risiko ist sich auch der Chef von Boom, Blake Scholl, bewusst und sagt: "Entweder wir scheitern oder wir verändern die Welt."