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Studie: Weibliche Chefs stehen bereit

27. Oktober 2020

Es gibt kaum Frauen in deutschen Vorständen. Doch in den Führungsebenen unterhalb des Vorstands sieht es schon besser aus. Im europäischen Vergleich stehen deutsche Firmen trotzdem schlecht da.

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Frauenquote Symbolbild Frauen Vorstand
Bild: Colourbox

Für Positionen in den Vorständen der 100 größten börsennotierten Firmen in Deutschland gibt es "genügend Kandidatinnen". Zu diesem Ergebnis kommt die Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in einer noch unveröffentlichten Studie, von der Auszüge am Montag in Berlin vorgestellt wurden.

Auf der ersten Führungsebene unterhalb des Vorstands liegt der Frauenanteil demnach bei 19 Prozent, auf der zweiten Ebene bei 23 Prozent, so die Studie. Damit ist der Frauenanteil in diesen Ebenen etwa doppelt so hoch wie im Vorstand - dort sind bei deutschen Firmen nur rund zehn Prozent der Mitglieder weiblich.

Im Jargon der Unternehmensberater werden die Führungsebenen unterhalb des Vorstands auch "Talent-Pipeline" genannt. "Es gibt genügend Frauen in der Talent-Pipeline, die für Top-Jobs geeignet sind", sagt Nicole Voigt, Managing Director and Partner bei BCG.

Schneckentempo

Nach Berechnungen von BCG ist der Frauenanteil von zehn Prozent in den Vorständen seit 2017 um nur vier Prozentpunkte gestiegen, zum Gleichstand fehlen derzeit 175 weibliche Vorstände in den hundert größten deutschen Aktiengesellschaften. "Parität wird bei dieser Geschwindigkeit erst nach 2050 erreicht", heißt es in der Untersuchung.

Auch im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn schneidet Deutschland schlecht ab - Platz 24 von 27.

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Die Zahlen hat das Europäische Institut für die Gleichberechtigung der Geschlechter (EIGE) im Mai 2020 zusammengetragen. Nur für Deutschland hat BCG die Daten im September aktualisiert. Demnach hat sich der Frauenanteil in deutschen Vorständen noch einmal verringert, von 14,5 auf nur noch 10 Prozent.

Allein in den 30 Firmen im Deutschen Aktienindex (Dax) gibt es heute sechs weibliche Vorstände weniger als vor einem Jahr.

Anfang Oktober hatte bereits eine Untersuchung der deutsch-schwedischen Allbright-Stiftung darauf hingewiesen, dass der Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland seit Beginn der Corona-Krise abgenommen hat.

Stark und eindeutig = Mann?

Ein prominentes Beispiel für diese Entwicklung ist Jennifer Morgan. Im Herbst 2019 wurde die US-Amerikanerin zur Ko-Chefin des Software-Konzerns SAP ernannt und war die erste Frau an der Spitze eines Dax-Unternehmens.

Doch nur sechs Monate wurde ihr Vertrag mit Verweis auf die Pandemie beendet. In der Corona-Krise brauche das Unternehmen eine "starke, eindeutige Führungsverantwortung", teilte SAP damals mit. Die übertrug der Aufsichtsrat dann Morgans CEO-Kollege Christian Klein.

Dabei sprechen laut Boston Consulting Group wirtschaftliche Gründe für möglichst diverse Führungsteams. "Unternehmen, die Wert auf Diversität legen, arbeiten nachweislich erfolgreicher und sind innovativer", sagt Voigt von BCG. Sie verweist auf eigene Untersuchungen, laut denen "Unternehmen mit vielfältigen Führungsteams im Schnitt um neun Prozentpunkte höhere EBIT-Margen erreichen". Die Kennzahl EBIT steht für das Betriebsergebnis vor Zinsen und Steuern.

Auch andere Kennzahlen deuteten in dieselbe Richtung. Insgesamt seien gemischt geführte Firmen "profitabler, innovativer und langfristig wirtschaftlich erfolgreicher", so die BCG-Analyse.

Mehr Frauen = mehr Erfolg?

Wissenschaftlich erwiesen ist das allerdings noch nicht. "Es gibt keine eindeutigen empirischen Belege, weder in die eine noch in die andere Richtung", sagte Katharina Wrohlich, die am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) die Forschungsgruppe "Gender Economics" leitet, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Oft werden aus reinen Korrelationen voreilig Schlüsse gezogen."

Softwarekonzern SAP 2018 | Christian Klein & Bill McDermott & Jennifer Morgan
Jennifer Morgan (r.) und Christian Klein (l.) folgten im Herbst 2019 als Doppelspitze auf SAP-Chef Bill McDermott. Nach nur sechs Monaten war Klein allein an der Spitze Bild: picture alliance/dpa

Auch die europäischen Vergleichszahlen zum Frauenanteil in den Vorständen (siehe Grafik oben) lassen demnach viel Spielraum zur Interpretation. Mit Rumänien und Bulgarien gehören Länder zu den Top-5, die nicht gerade für wirtschaftliche Erfolge bekannt sind, während mit Luxemburg eines der reichsten Länder der Welt die rote Laterne trägt.

Und doch kann das nicht darüber hinweg täuschen, dass die skandinavischen Länder (zwischen 24 und 28 Prozent), aber auch die Niederlande (23 Prozent) und Frankreich (20 Prozent) hier deutlich weiter sind als Deutschland.

Bedingungen "nicht attraktiv"

In Deutschland gehört der börsennotierte Autoverleiher Sixt zu den Firmen, deren Vorstand rein männlich besetzt ist und die auch noch nicht offiziell das Ziel ausgegeben haben, daran etwas zu ändern.

Dabei gibt es viele Frauen mit Ambitionen und Führungsqualitäten, sagte Alexander Sixt, Vorstandsmitglied des Familienunternehmens. "Das Problem ist also nicht, dass keine Frau Managerin sein will", so Sixt zur DW. "Doch die allgemeinen Bedingungen sind für sie oft einfach nicht attraktiv, und manchmal auch nicht vereinbar mit der Verbindung von Familie und Karriere."

Die Autoren der BCG-Analyse appellieren daher auch an die Politik, für bessere Rahmenbedinungen zu sorgen. Dazu gehören die Veröffentlichungspflicht des Frauenanteils in den verschiedenen Führungsetagen, Steuervorteile für Jobsharing-Angebote, ein weitreichendes Recht auf Homeoffice und eine gesetzliche Frauenquote.

Andreas Becker
Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.