Störfälle schüren Streit über Atomkraft
25. Juli 2009"Wer will, dass Deutschland bei der Energieversorgung eine vernünftige Perspektive hat, darf die Kernkraft nicht verteufeln", sagte Bundesforschungsministerin Annette Schavan dem "Hamburger Abendblatt" (25.07.2009). Die stellvertretende CDU-Vorsitzende nannte es "verantwortungslos", Störfälle in Atomreaktoren "für Propaganda zu nutzen".
Schavan rief dazu auf, den Salzstock in Gorleben rasch zum Atomendlager auszubauen. "Ein geeigneter Standort ist doch bereits gefunden worden. Bisher hat niemand glaubhaft darlegen können, dass sich der Salzstock in Gorleben nicht eignet", sagte sie. In der kommenden Wahlperiode müsse eine Lösung für das Problem gefunden werden, sagte Schavan.
Probleme in Lingen und Philippsburg
Wegen technischer Störungen waren am Freitag in kurzem Abstand die Atomkraftwerke Lingen im Emsland und Philippsburg 2 in Baden-Württemberg abgeschaltet worden. Außer Betrieb sind bereits die AKW in Krümmel (Schleswig-Holstein) und Biblis A und B in Hessen.
Der Betreiber des niedersächsischen Werks, RWE Power, teilte in Lingen mit, eine Überwachungseinrichtung am Schalter eines Maschinentrafos habe das Kraftwerk vom Netz getrennt. Dies habe eine Reaktorschnellabschaltung ausgelöst. Die Analysen des Problems dauern nach RWE-Angaben bis Sonntag. So lange werde das Atomkraftwerk abgeschaltet bleiben.
Im Fall Philippsburg ist ebenfalls eine mögliche Störung des Maschinentrafos die Ursache der Abschaltung. Das teilten der Betreiber Energie Baden-Württemberg (EnBW) und das Landesumweltministerium mit. Das Atomkraftwerk sei erst vor wenigen Tagen nach einer Revision wieder in Betrieb genommen worden, sagte Ministeriumssprecher Karl Franz der Nachrichtenagentur AP. Laut EnBW könnte die Isolier-Eigenschaft des Öls vermindert sein, mit dem der Transformator gekühlt wird.
Moderne Reaktoren
Der Block II in Philippsburg war 1984 ans Netz gegangen. Er gilt somit als einer der moderneren Reaktoren in Deutschland. Nach dem Atomkonsens darf er noch bis etwa 2017 Strom produzieren.
Das AKW Lingen produziert seit 1988 Strom und gehört damit zusammen mit den Reaktoren Isar 2 und Neckarwestheim 2 zu den drei jüngsten deutschen Atommeilern. Ab Januar durfte das AKW bis zu seiner Abschaltung noch 131.000 Gigawattstunden produzieren.
Der Atommeiler Krümmel wurde am 4. Juli nach einem Kurzschluss in einem Trafo abgeschaltet. Seither steht Krümmel still.
Neuer Atom-Kurs in Kiel
Das AKW Krümmel beschäftigt auch Schleswig-Holsteins neuen Minister für Atomaufsicht, Christian von Boetticher (CDU). Er kündigte bei seiner ersten Regierungserklärung im Kieler Landtag eine unvoreingenommene Überprüfung des Kernkraftwerk-Betreibers Vattenfall und seines Pannen-Reaktors an. Die Atomaufsicht sei an Recht und Gesetz gebunden, sagte von Boetticher zu den Zwischenfällen im AKW Krümmel. "Sie muss politisch neutral sein", betonte er. Die Stilllegung Krümmels könne am Ende das Ergebnis der erneuten Überprüfungen sein. Sie dürfe aber nicht schon von vornherein deren Ziel sein.
Von Boetticher weicht damit klar ab vom Kurs seiner Vorgängerin, der SPD-Ministerin Gitta Trauernicht. Sie war am Montag von Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) entlassenen worden. Trauernicht hatte eine Stilllegung des Krümmel-AKW angestrebt.
Grüne: "verantwortungslos"
Die Grünen sehen sich durch die Zwischenfälle und Abschaltungen in mehreren Kernkraftwerken in ihrem Anti-Atom-Kurs bestätigt. Die stellvertretende Bundestagsfraktionschefin Bärbel Höhn sagte am Freitag mit Blick auf Krümmel: "Das ist der zweite Vorfall innerhalb kürzester Zeit." Deshalb seien die Pläne von Schwarz-Gelb, die Atomkraftwerke länger als geplant laufen zu lassen, "verantwortungslos".
Zustimmung in Bevölkerung schwindet
Einer ZDF-Umfrage zufolge schwindet in der Bevölkerung die Unterstützung für die Atomkraft. Nur noch 39 Prozent der Bundesbürger befürworten, dass der Atomausstieg in Deutschland später als im Jahr 2021 erfolgen soll, wie das ZDF-Politbarometer ergab. Eine klare Mehrheit (55 Prozent) unterstützt dagegen den gesetzlich vorgesehenen Ausstieg bis 2021. Vor einem Jahr sprachen sich noch 54 Prozent für einen späteren Atomausstieg aus. Damals war die Diskussion von hohen Energiepreisen geprägt. Nur acht Prozent aller Befragten halten die deutschen Atomkraftwerke der aktuellen Umfrage zufolge für sehr sicher. Die Hälfte glaubt, sie seien immerhin "sicher". Mehr als ein Drittel meint, die deutschen AKW seien weniger sicher oder überhaupt nicht sicher. (mas/ap/dpa/afp)