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Libyen Bilanz

19. Juli 2011

Am 19. März 2011 hat die NATO den ersten Luftangriff auf Libyen geflogen, um die Rebellen zu unterstützen. Jetzt hat die US-Regierung mit Machthaber Gaddafi verhandelt.

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Vier Monate nach den ersten Bombenangriffen auf Libyen scheint die Lage in dem nordafrikanischen Wüstenstaat unverändert kompliziert. Am Wochenende haben sich US-amerikanische Diplomaten und Vertreter des Gaddafi-Regimes zu einem ersten Gespräch getroffen. Das zeigt, dass auch die westliche Staatengemeinschaft dringend nach einem Ausweg aus der militärischen Sackgasse sucht.

Vier Monate ist es her, dass die NATO Militärangriffe begonnen hat, die die Zivilbevölkerung schützen sollen. Jetzt gehen dem Verteidigungsbündnis langsam aber sicher die legitimen Ziele aus, die es noch bombardieren könnte - zumindest dann, wenn es die UNO-Resolution 1973 nicht verletzen und die Zivilbevölkerung nicht gefährden will. Während sich Diktator Gaddafi in seiner Trutzburg Tripolis verschanzt hält, müssen sich Engländer und Franzosen ihre teure Munition bereits auf Umwegen besorgen - von Deutschland zum Beispiel, das dem Einsatz gar nicht zugestimmt hat. Nur Bodentruppen könnten die Rebellen wirksam unterstützen und damit die entscheidende Wende im Stellungskrieg bringen - aber sie will und kann der Westen nicht entsenden. Das UNO-Mandat gibt das nicht her.

Daniel Scheschkewitz
Daniel ScheschkewitzBild: DW

Vier Monate nach Beginn der NATO-Angriffe hat die Libyen-Kontaktgruppe beschlossen, die Rebellen als legitime Vertretung des libyschen Volkes anzuerkennen. Aber das bleibt bestenfalls ein symbolischer Akt und ein Blankoscheck auf die künftige Beteiligung an einer Regierung, die es noch gar nicht gibt - denn der Übergangsrat der Rebellen in Benghasi ist kaum mehr als eine demokratisch nicht legitimierte Gegenregierung mit begrenztem Einflussbereich. Das erleichtert es Russland, die diplomatische Anerkennung der Rebellen als einseitige Parteinahme in einem Bürgerkrieg zu interpretieren. Im Gegenzug weigert Moskau sich, im UN-Sicherheitsrat zu kooperieren und andere Menschenrechtsverstöße in der Region zu verurteilen - darunter hat gegenwärtig vor allem die Opposition in Syrien zu leiden.

Inmitten dieser verfahrenen Situation könnten Verhandlungen einen Ausweg eröffnen - vorausgesetzt, Muammar Gaddafi gibt die Macht ab und geht ins Exil. An dieser Prämisse halten auch die Rebellen fest, die in einem Patt stecken: Sie kontrollieren den Osten des Landes, aber der entscheidende Durchbruch an der Westfront gelingt ihnen nicht.

Die Sanktionen gegen Libyen wirken noch nicht - sie greifen bestenfalls langfristig und vermutlich erst dann, wenn die eingefrorenen Gelder aus dem Gaddafi-Vermögen den Rebellen zur Verfügung gestellt werden. Frankreich will eine erste Tranche in Höhe von 250 Millionen Euro Gaddafi-Geld an die Rebellen überweisen. Auch Deutschland ist prinzipiell dafür, diese Gelder dem libyschen Volk zugänglich zu machen - sie könnten davon zum Beispiel Waffen kaufen. Doch wer garantiert der westlichen Staatengemeinschaft, dass diese Waffen nicht eines Tages in falsche Hände geraten? Bürgerkriege sind ein fruchtbarer Acker für Islamisten und Terroristen. Der Jemen kann als abschreckendes Beispiel dienen.

Der Status Quo aber ist genauso wenig akzeptabel und lässt die Zivilbevölkerung, deren Schutz die Staatengemeinschaft ja eigentlich beabsichtigt hat, über Gebühr leiden. Im umkämpften Misrata bedrohen Minenfelder und Hunger das Leben der notleidenden Menschen, die nur vom Meer aus und mehr schlecht als recht mit Lebensmitteln und anderen Hilfsgütern versorgt werden können. Auch in Tripolis werden Benzin und Lebensmittel inzwischen knapp. Im ganzen Land fehlt es nach UN-Angaben an Impfstoffen für Kinder. Ganz zu schweigen von der psychischen Belastung all der Libyer, die durch täglich drohende Bombenangriffe langfristig traumatisiert werden. Die Notlage der Bevölkerung steht in direktem Widerspruch zur UN-Resolution 1973.

Vier Monate nach Kriegsbeginn in Libyen gehen die Kämpfe in der Fastenzeit des Ramadan möglicherweise in eine Pause - vielleicht eine Gelegenheit, um den Diktators auf politischem Wege zum Abdanken zu bewegen. Daran scheint inzwischen auch Washington Interesse zu haben.

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Beate Hinrichs