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Kein Boom, keine Krise

Frank Sieren21. Oktober 2015

China hat im letzten Quartal sein Wachstumsziel von sieben Prozent verfehlt. Doch die chinesische Wachstumsschwäche schadet der deutschen Wirtschaft kaum, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Containerschiff (Foto: picture-alliance/dpa/Wang Chun)
Bild: picture-alliance/dpa/Wang Chun

Es hat Monate gedauert, bis wir uns an die neuen Zeiten gewöhnt hatten. Manche sind immer noch zusammengezuckt, als Anfang dieser Woche Chinas Wachstumszahlen für das dritte Quartal herauskamen: 6,9 Prozent. Keine sieben mehr! Chinas Konjunktur ist damit in den vergangenen drei Monaten so langsam gewachsen wie seit sechs Jahren nicht mehr. Die meisten Analysten jedoch reagierten so, wie es sinnvoll ist: gefasst bis gelassen.

Der DAX stieg nach der Nachricht sogar auf seinen höchsten Stand seit einem Monat. Und selbst der Aktienmarkt in Hongkong sowie der Index der wichtigsten Unternehmen in Shanghai und Shenzhen büßten jeweils nur rund 0,6 Prozent ein. Zugleich stoppt der Yuan-Anstieg den Abfluss der chinesischen Devisenreserven. Der Grund für die moderate Reaktion: Viele Analysten hatten mit Schlimmerem gerechnet. Sie waren ihren eigenen Befürchtungen auf den Leim gegangen.

Schwache Weltkonjunktur drückt Handelszahlen

Selbst der Einzelhandelsumsatz Chinas lag im September etwas über den Erwartungen. Er ist um über zehn Prozent gestiegen. Der Anteil des Dienstleistungssektors an der gesamten Wirtschaftsleistung insgesamt ist in den vergangenen fünf Jahren sogar um über sieben Prozent gewachsen. Das ist sehr beeindruckend, zumal Peking das Land genau in diese Richtung entwickeln will. Allein in den ersten drei Quartalen dieses Jahres ist der Wert um über drei Prozent angestiegen. Deshalb ist der chinesische Arbeitsmarkt nach wie vor stabil.

Keine große Krise also, sondern eine Wachstumsschwäche und umfassende Reformen sind es, die Chinas Wirtschaft bremsen. Peking vollzieht derzeit die größten Reformen seit Jahrzehnten. Die Schwäche entsteht jedoch vor allem, weil die Weltkonjunktur strauchelt. So ist der Außenhandel Chinas im September erneut um 8,8 Prozent eingebrochen. Das ist die Zahl unter den wirtschaftlichen Parametern Chinas, die den Analysten am meisten Sorgen macht. Das Gleiche gilt für die Importe. Sie fielen um 17,7 Prozent, wie das Statistikamt in Peking schon in der vergangenen Woche bekannt gab.

Frank Sieren
DW-Kolumnist Frank SierenBild: Frank Sieren

Keine harte Landung erwartet

Klar ist auch: Das Wachstum im Dienstleistungssektor kann den Einbruch bei den Exporten nur bedingt abfangen. Aber eben doch soweit, dass es zu keiner harten Landung kommen wird. Damit hat Chinas Flaute auch für Deutschland überschaubare Folgen. Chinas Wirtschaftswachstum müsste schon unter drei Prozent fallen, um in Deutschland einen Wachstumsrückgang von 0,25 Prozent auszulösen, hat die Bundesbank kürzlich herausgefunden. Ein Grund: Für die deutsche Wirtschaft läuft es in anderen Weltregionen sehr gut.

Ernst werden würde es für Deutschland bei einer harten Landung, also einem Wachstum unter drei Prozent. Doch damit rechnet, wie schon erwähnt, derzeit kaum jemand. Andererseits rechnet auch kaum noch jemand damit, dass China in diesem Jahr die sieben Prozent schafft. Selbst Chinas Premierminister Li Keqiang hat schon vor der Bekanntgabe der BIP-Wachstumszahlen vergangenen Samstag bei einem Treffen mit Provinzvertretern angedeutet, dass dieser Wert angesichts der globalen Konjunkturabkühlung wohl "nicht einfach" zu erreichen sei. Ein Boom ist es nicht mehr. Eine Krise auch nicht. China pendelt sich irgendwo dazwischen ein.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.