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Sierens China: In der Schmerzspirale

Frank Sieren
19. September 2018

Trump zündet im Handelsstreit mit China die nächste Stufe. Peking hat jedoch gute Chancen, dass der wirtschaftliche Schaden verkraftbar bleibt. Der Schlüssel ist eine dynamische Mittelschicht, meint Frank Sieren.

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Bild: Imago/PPE

Donald Trump hat seine Drohung wahrgemacht und die volle Höhe an Strafzöllen auf chinesische Einfuhren im Wert von 200 Milliarden US-Dollar ausgeschöpft. Am kommenden Montag sollen sie mit einem Zollsatz von zehn Prozent in Kraft treten. Zusammen mit den bereits verhängten Sonderzöllen auf Waren im Wert von 50 Milliarden Dollar ist dann die Hälfte aller Importe aus China mit Extrazöllen belegt. Sollte es nicht zu einer Einigung kommen, steigt der Zollsatz ab Januar 2019 auf dann sogar 25 Prozent. Eine weitere Erhöhung auf Waren im Wert von 267 Milliarden behält sich Trump für den Fall vor, dass Peking mit Vergeltungszöllen gezielt die US-Industrie sowie die Landwirtschaft angreift.

Symbolbild China - USA Strafzölle | Fleisch aus den USA
China ist auch ein großer Markt für die US-LandwirtschaftBild: picture-alliance/dpa/Li Zhihao

Doch Peking hält ungerührt dagegen, hat bereits angekündigt, mit fünf- bis zehnprozentigen Zöllen auf US-Waren im Wert von 60 Milliarden Dollar zu kontern. Der Gesamtwert betroffener US-Exportwaren läge dann bei 110 Milliarden Dollar. Chinas Spielraum im Zoll-Armdrücken ist jedoch begrenzt, da die USA insgesamt nur Waren für 130 Milliarden Dollar nach China ausführen.

China hat noch andere Reaktionsmöglichkeiten

Doch es gibt noch andere Wege für Peking, um Washington etwas entgegenzusetzen. Die Chinesen könnten gezielt amerikanische Unternehmen ins Visier nehmen, für die China längst zum wichtigsten Absatzmarkt geworden ist. Kentucky Fried Chicken etwa, das mit über 5000 Filialen zur landesweit größten Fastfood-Kette aufgestiegen ist. Oder Starbucks, das in den USA Geschäfte schließen muss, in China aber täglich ein neues eröffnet. Allein Shanghai hat rund doppelt so viele Starbucks-Filialen wie New York. Auch McDonalds plant die Anzahl seiner Restaurants in China zu verdoppeln. Mit eingeschränkten Auftragsvergaben, in staatlichen Medien forcierten Kundenboykotten oder vorgeschobenen Kontrollen kann Peking solche Siegeszüge jedoch schnell lahmlegen. So geschehen im Frühjahr 2017, als chinesische Behörden Filialen des südkoreanischen Mischkonzerns Lotte wegen angeblich unzureichender Feuersicherheit kurzerhand schließen ließen. Kurz zuvor hatte Lotte ein Firmengelände in Südkorea für die Stationierung eines US-Raketenabwehrsystems zur Verfügung gestellt. Auch der Tourismus-Sektor wurde damals durch ein Machtwort von oben zum Erliegen gebracht. Das Pekinger Tourismusministerium stoppte Gruppenreisen nach Südkorea. Die Shopping-Viertel der Hauptstadt Seoul blieben in der Hochsaison leer.

Frank Sieren *PROVISORISCH*
DW-Kolumnist Frank SierenBild: picture-alliance/dpa/M. Tirl

Mit Exporteinschränkungen könnte Peking auch gezielt US-Lieferketten sprengen. Viele amerikanische Unternehmen sind auf chinesische Zulieferer angewiesen, um die Produktionskosten niedrig zu halten. Einige US-Firmen und Interessenverbände haben bereits Kampagnen gegen Trumps Protektionismus gestartet. Die Tech-Konzerne Dell, Cisco, Juniper Networks und Hewlett Packard versuchten Trump mit einem offenen Brief zum Einlenken zu bewegen. Seine Zölle verursachten einen "weitreichenden, unangemessenen wirtschaftlichen Schaden für die US-Interessen". Die amerikanischen Kunden müssten höhere Preise für Produkte aus China zahlen. Im schlimmsten Fall verlören sie sogar ihren Arbeitsplatz.

Verhandlungen immer zwingender

Tatsächlich erreicht der Zollschmerz auf beiden Seiten jetzt ein Niveau, das Verhandlungen immer zwingender macht. Vergangene Woche hatte Washington Peking noch zu neuen Gesprächen eingeladen, die um den 20. September herum beginnen sollten. Dass es dazu noch kommt, ist unwahrscheinlich. Man werde "nicht mit der Pistole auf der Brust" verhandeln, heißt es aus chinesischen Regierungskreisen. Eine Deeskalation hätte der US-Präsident bereits vor mehreren Monaten haben können, aber da ließ er Liu He, einen engen Vertrauten von Präsident Xi Jinping in Wirtschaftsfragen, auflaufen, indem er die erzielten Verhandlungserfolge wieder für nichtig erklärte.

Dabei wäre China zuletzt sogar bereit gewesen, mehr in den USA zu kaufen und so das Handelsdefizit zu reduzieren. Doch das reichte Trump nicht. Mit seinen diplomatischen Brachial-Methoden und seiner rhetorischen Doppelzüngigkeit macht Trump es Peking immer schwerer, ihm entgegenzukommen und gleichzeitig das Gesicht zu wahren. "Wir haben genug Treibstoff für unsere Wirtschaft - auch dann, wenn sich der Handelskrieg länger hinzieht", schreibt die staatliche China Daily stattdessen kämpferisch. Und wahrscheinlich ist das nicht nur ein Bluff.

Folgenlos ist der Zollstreit für China nicht

Anderseits perlt der Handelsstreit natürlich nicht einfach an Chinas Wirtschaft ab, zumal er sich in einer schwierigen Phase der chinesischen Umbaus zuspitzt. Die Gewinne von Chinas Industrie sind den dritten Monat in Folge aufgrund von geringerem Konsum, steigenden Kreditausfällen und höheren Finanzierungskosten langsamer gewachsen. Gleichzeitig muss Peking nach wie vor Verschuldung, wachsende Immobilienpreise, Überkapazitäten in der Industrie und Umweltverschmutzung unter Kontrolle halten - jedoch so, dass das Wirtschaftswachstum nicht darunter leidet, das nach wie vor die größte Legitimation für die Kommunistische Partei darstellt.

China Peking Automesse Mercedes-Benz
Chinas Auto-Käufer halten sich derzeit zurückBild: Reuters/J. Lee

Chinesische Konsumgüter-Produzenten beobachten, dass ihre Kunden immer mehr in Malaysia oder Vietnam bestellen, wo die Löhne mittlerweile niedriger sind als in China. Auch der Auto-Absatz schrumpfte in China im August zum zweiten Mal in Folge und sank um 3,8 Prozent auf 2,1 Millionen Fahrzeuge. Die Konsumenten schieben offensichtlich ihre Anschaffungen erst einmal auf. Sicher ist sicher. Dennoch setzt die chinesische Regierung zurecht darauf, dass die Konsumenten die chinesische Wirtschaft am Laufen halten. Der Binnenmarkt wächst stark. Die Ausgaben für Konsum haben vergangenes Jahr 58,8 Prozent zum Gesamtwachstum beigetragen, im ersten Quartal 2018 sogar 77,8 Prozent.

Die Mittelschicht stabilisiert die Inlandsnachfrage

Rund 400 Millionen der 1,4 Milliarden Einwohner Chinas zählen heute zur Mittelschicht. McKinsey prophezeit, dass 2022 bereits 76 Prozent der chinesischen Stadtbevölkerung der Mittelschicht angehören, mehr als 550 Millionen Menschen. Man darf dabei eines nicht vergessen: Auch in den kleineren Städten Chinas, wo die Mieten und Immobilienpreise noch weniger den Geldbeutel belasten und die Einwohnerzahl trotzdem über einer Millionen Einwohner liegt, steigen Lebensstandard und Konsumfreudigkeit ebenfalls kontinuierlich an. Da ist noch viel Luft nach oben. Diesen Trend können auch die Strafzölle nicht abwürgen. Partielle Nachteile durch die Strafzölle wird die Mittelschicht leicht wegstecken, wenn nicht aus Vernunft, dann aus Patriotismus. In einem sind sich die Chinesen einig: Trump hat China wirtschaftlich angegriffen und ungerecht behandelt - und nicht umgekehrt, wie Trump gerne behauptet. Seine "Gier" habe den Handelsstreit ausgelöst und nicht etwa unfaire Marktbedingungen, wie sie auch Brüssel Peking attestiert.

Die staatliche Presse sorgt täglich dafür, dass in dieser Hinsicht keine Zweifel aufkommen. Das ist nicht allzu schwierig, weil Trump es nicht gelingt, eine tiefe Wirtschaftskrise in China auszulösen. Die Einbußen durch die Strafzölle dürften selbst bei Zöllen von 25 Prozent nur etwa 0,3 bis 0,5 Prozentpunkte ausmachen. Vieles spricht dafür, dass Trump die Drohkulisse ohnehin nur noch bis zu den Midterm-Wahlen Anfang November aufrechterhält. Seine Unnachgiebigkeit gegenüber China ist für viele Wähler Grund genug, ihm noch einmal ihre Stimme zu geben. Viel länger darf Trump aber nicht warten. Mit der Zeit sind die Nachteile für die amerikanische Wirtschaft dann größer als die Vorteile. Das merken dann auch seine Wähler und die sind nicht unendlich loyal, wenn Trump nicht liefert.

Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über 20 Jahren in Peking.