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Politik

Serbischer Kandidat mit harten Kanten

4. Oktober 2016

Frühere serbische Außenminister Vuk Jeremić gilt als eine starke Persönlichkeit und war einer der Favoriten für den Posten des UN-Generalsekretärs. Doch der Serbe gilt als Nationalist, von dem die USA sehr wenig halten.

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Vuk Jeremic, Aussenminister Serbien
Bild: picture-alliance/dpa

Ein moderner Diplomat, der in seiner Vita die Eliteuniversitäten Cambridge und Harvard auflisten kann, darf natürlich bei Twitter nicht fehlen. Doch hätte Vuk Jeremić vor vier Jahren gewusst, welche Kämpfe er heute zu bestehen hat, hätte er seine Positionen auf dieser Plattform womöglich vorsichtiger formuliert.

2012 war der damals 37-Jährige noch Präsident der UN-Vollversammlung, als er mal wieder mit einem Kosovo-Albaner auf Twitter heiß diskutierte: "Wir verstehen uns ausgezeichnet, und zwar auf Serbisch“, schrieb ihm Jeremić. "Vergiss es nicht, du wirst es noch brauchen…." Der Subtext hätte kaum deutlicher ausfallen können: 'Ihr Albaner habt uns unsere Südprovinz Kosovo genommen - aber Vorsicht, wir kommen wieder.'

Es war kein einmaliger Ausrutscher des heutigen Kandidaten für den Posten des UN-Generalsekretärs. Mehrmals betonte er, dass das Kosovo nur "über seine Leiche" UN-Mitglied werden könne.

Serbe auf weltpolitischer Bühne

Im Rückblick ist schwer zu sagen, ob sich Jeremić die Rolle des patriotischen Buhmanns selbst ausgesucht oder eher zugeteilt bekommen hat. Kein Zweifel besteht aber darüber, dass er diese Rolle so leidenschaftlich ausfüllte, dass selbst sein politischer Ziehvater Boris Tadić sich später von ihm distanzierte. Der ehemalige Präsident Tadić kannte seinen Zögling noch als Teenager aus einem Belgrader Gymnasium, wo Tadić Psychologie lehrte.

Serbien Präsident Boris Tadic mit dem Außenminister Vu Jeremic
Politischer Ziehvater: Präsident Boris Tadić (re.) machte Vuk Jeremić 2007 zum serbischen Außenminister (Archivbild)Bild: Getty Images/AFP/B. Katsarova

Als sich die Kosovo-Albaner auf die Abspaltung von Serbien vorbereiteten, zauberte Tadić seinen ehemaligen Schüler als Joker aus dem Ärmel und präsentierte ihn 2007 als neuen Außenminister. Der ambitionierte Jeremić bereiste die Welt, um gegen die Anerkennung der kosovarischen Unabhängigkeit zu werben. "Er hat Eigenwerbung betrieben und uns mit vielen Ländern in Konflikt gebracht", sagte Tadić später - allerdings erst, als er selbst in die politische Bedeutungslosigkeit abgerutscht war.

Obwohl er mit ehemaligen Parteifreunden aus der Demokratischen Partei im Streit lag, blieb Jeremić präsent auf großer Bühne. Im Zusammenspiel mit Moskau wurde er 2012 überraschend zum Präsidenten der UN-Vollversammlung befördert - gegen den litauischen Diplomaten Dalius Čekuolis, der lange als osteuropäischer Kompromisskandidat gegolten hatte.

Sein Jahr als "Präsident der Welt", wie man ihn zuhause spöttisch nannte, nutzte Jeremić bestens für seine Sache: Er profilierte sich als einer, der Klartext redet - am klarsten aber dort, wo es galt, die "traditionellen Feinde" Serbiens zu verunglimpfen. Das gipfelte darin, dass er eine Debatte über die internationale Gerichtsbarkeit organisierte und dazu benutzte, das Haager Tribunal wegen angeblicher antiserbischer Haltung zu schmähen.

Vuk Jeremic und Papst Franziskus in Vatikan 31.05.2013
Weltpolitische Bühne - Vuk Jeremić zu Besuch bei Papst Franziskus im VatikanBild: Reuters

Nach New York brachte Jeremić nicht nur balkanische Streitigkeiten mit, sondern auch eine gewisse Gelassenheit, die seiner Heimat oft nachgesagt wird. Seine Twitter-Follower wurden stets auf dem Laufenden gehalten und wussten genau, in welchem Pub Jeremić die Siege des Tennis-Stars Novak Đoković feierte, mit welchem Spitzendiplomaten er Slibowitz trank und Spanferkel grillte.

Bei einem von den UN organisierten Konzert ließ er sogar Generalsekretär Ban Ki Moon zu einem martialischen serbischen Lied tanzen. Es feiert zwar die Heldentaten aus dem Ersten Weltkrieg, aber seit den serbischen Kriegsverbrechen in den 1990er Jahren hat es für viele einen bitteren Beigeschmack. Unter den Muslimen in Bosnien löste diese Episode heftige Proteste aus.

US-amerikanische Blockade?

Nach fünf Runden des langwierigen Auswahlprozesses zum Generalsekretär steht nun Jeremić auf Platz zwei hinter dem früheren portugiesischen Premier António Guterres, allerdings mit sechs Nein-Stimmen von Sicherheitsratsmitgliedern. Für ein Gespräch mit der DW hatte Jeremić keine Zeit. In einem kurzen Statement für Medien ließ er aber erläutern, er sei der bestplatzierte Kandidat aus Osteuropa. Nach dem informellen Rotationsprinzip soll der Nachfolger von Ban Ki Moon aus diesem Teil der Welt kommen.

Es wird gemunkelt, dass Jeremić starke Unterstützung aus China und Frankreich genießt, dass Russland ihm freundlich gesinnt ist und die Briten zurückhaltend. Wie die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates stimmen könnten, wird erst am 5. Oktober bekannt. Dann bekommen die Vetomächte ihre Wahlzettel - in einer anderen Farbe als nichtständige Mitglieder.

Die USA werden dem serbischen Kandidaten die rote Karte zeigen, das will das auflagenstarke Belgrader Blatt "Blic" aus Diplomatenkreisen erfahren haben. Die frisch ins Rennen geworfene und allseits gelobte EU-Kommissarin Kristalina Georgieva nennt das Blatt hingegen "die Last-Minute-Kandidatin" zugunsten des Weißen Hauses.

Belgien EU-Kommissarin Kristalina Georgiewa in Brüssel
Starke Konkurrentin: Die bulgarische EU-Kommissarin Kristalina GeorgiewaBild: Getty Images/AFP/E. Dunand

In Serbien ist man davon überzeugt, dass die USA, die als Pate der kosovarischen Unabhängigkeit gelten, Jeremić nicht akzeptieren könnten. "Ich vermute, dass Jeremić in der letzten Zeit stark im Hintergrund arbeitete, um die Amerikaner zu überzeugen, dass sein Sieg kein Grund zur Sorge wäre", sagte die bekannte Journalistin Ljiljana Smajlović der DW. Sie ist aber nicht besonders optimistisch: "Solche Standpunkte ändern sich ja nur schwer." 

Möglicherweise trug die Hintergrundarbeit, die die Journalistin vermutet, in den USA schon einige Früchte. So nannte das angesehene "Wall Street Journal" Jeremić "die beste Chance zur UN-Reform". "The National Interest" lobte ihn als bestens vorbereitet, als Jeremić seinen 53-Punkte-Plan zur "Stärkung der UN im 21. Jahrhundert" vorstellte. So etwas habe noch nie ein Kandidat gemacht. Jeremić könne die UN als "unideologischen, technokratischen Problemlöser" neu erfinden. Statt zwischen Weltmächten zu hantieren, würde Jeremić diese bewegen, die gemeinsamen Probleme gemeinsam zu lösen: Klimawandel, Migration, Pandemien… Die Fachzeitschrift nennt ihn "eine andere Art des Generalsekretärs".

Doch genau diese Andersartigkeit mag nicht jedem gefallen. Die Kandidaten mit Kanten und Ecken, diejenigen, die sich ab und zu erlaubt haben, die Gepflogenheiten des diplomatischen Vokabulars zu vergessen, wurden in der Vergangenheit oft entweder als prowestlich oder prorussisch bezeichnet und schnell aussortiert. Jeremić war so oft im Abseits, dass auch seine Kampagne der letzten Monate die Falten wohl nicht ausbügeln kann.