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Schweden liebäugelt mit der NATO

Michael Knigge (ch)18. September 2015

Das aggressive Verhalten Russlands in der Ukraine und im Ostseeraum hat in Schweden eine Debatte über einen möglichen NATO-Beitritt befeuert. Noch scheint ein Beitritt unwahrscheinlich, aber das könnte sich ändern.

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NATO-Symbol Foto: Fotolia/Zerbor
Bild: Fotolia/Zerbor

Die Stimmung im traditionell neutralen Schweden hat sich im Laufe der vergangenen Jahre deutlich geändert. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Sifo waren kürzlich 41 Prozent der Befragten für einen NATO-Beitritt, 39 Prozent dagegen. Vor vier Jahren wollten sich nur 23 Prozent dem Militärbündnis anschließen, 50 Prozent lehnten das damals ab.

Die gewandelte Stimmung spiegelt sich auch in der Politik wider. Zwei eher konservativ ausgerichtete Parteien, die Christdemokraten und die Zentrumspartei, sind seit kurzem für einen NATO-Beitritt.

Beitrittsantrag unwahrscheinlich

Doch obwohl die NATO in Schweden beliebter wird, sieht es im Moment nicht so aus, als würde das Land einen Beitrittsantrag im Brüsseler Hauptquartier stellen.

"Wenn Sie sich die heutige Situation anschauen, ist ein Wandel in der schwedischen Politik in den kommenden fünf bis zehn Jahren sehr unwahrscheinlich", sagt Anders Lindberg von der schwedischen Tageszeitung Aftonbladet. "Für die nächste Zeit ist das unrealistisch", meint auch Anna Wieslander, stellvertretende Leiterin des schwedischen Instituts für Internationale Politik.

Beide Parteien in der regierenden Koalition, die Sozialdemokraten und die Grünen, sind weiterhin gegen eine NATO-Mitgliedschaft. Schwerer wiegt noch, dass sich die öffentliche Meinung in der Frage zwar gewandelt hat, eine eindeutige Mehrheit, die man für einen derart historischen Schritt brauchte, aber nicht in Sicht ist.

Und schließlich müsste Schweden schon sehr unter Druck stehen, sollte es der NATO allein beitreten und nicht zusammen mit Finnland, wo zurzeit eine ähnliche Debatte stattfindet.

"Alle drei Bedingungen - die politische Lage in Finnland, die Situation bei den regierenden Sozialdemokraten und die öffentliche Meinung - sind nicht gegeben", so Lindberg.

Marineschiff Foto: "Reuters/TT News Agency/Fredrik Sandberg
Im Oktober 2014 suchte die schwedische Korvette "Visby" nach einem russischen U-Boot vor der schwedischen KüsteBild: Reuters/TT News Agency/Fredrik Sandberg

Volksabstimmung nötig

Und selbst wenn sie gegeben wären, müssten die Schweden bei einer so wichtigen Frage wahrscheinlich durch eine Volksabstimmung grünes Licht geben.

Ein NATO-Beitritt scheint also zum jetzigen Zeitpunkt zwar noch weit weg. Trotzdem können sich die Dinge auch schnell ändern, glaubt Robert Egnell von der schwedischen Militärhochschule: "Es scheint, als müsste ich meine Vorhersagen zu dem Thema alle paar Monate revidieren."

Russland ist sowohl die große Unbekannte in dieser Gleichung als auch der einzige Grund, warum Schweden einen NATO-Beitritt überhaupt in Erwägung zieht. Obwohl Schweden Russlands aggressives Auftreten gegenüber der Ukraine natürlich genau registriert hat, ist es vor allem das russische Verhalten im Ostseeraum und an den Grenzen zu den nordischen Ländern, das die Schweden wirklich beunruhigt.

Russland treibt Schweden in Richtung NATO

Die Schweden nehmen das konfrontative Auftreten Russlands gegenüber den baltischen Staaten mit ihren historischen Verbindungen nach Schweden sehr ernst, sagt Anders Lindberg von Aftonbladet: "Wenn Russland anfängt, so mit den baltischen Staaten oder mit Finnland umzuspringen, reagiert Schweden sofort."

Doch die Schweden sind ebenso besorgt - und verwirrt - angesichts einer Reihe angeblicher Luftraumverletzungen durch russische Militärflugzeuge, einer groß angelegten Jagd im vergangenen Jahr nach einem angeblichen russischen U-Boot in schwedischen Hoheitsgewässern und angesichts der Moskauer Drohung mit Vergeltung, sollte Schweden dem westlichen Bündnis beitreten.

"Interessant ist, dass praktisch alles am russischen Verhalten uns in die Arme der NATO treibt. Das ergibt doch keinen Sinn, wenn sie das verhindern wollen", sagt Egnell. "In meinen Augen ist das, was Russland gerade macht, unlogisch."

Trotz der jüngsten Spannungen und der gewachsenen NATO-Sympathien sind die Schweden aber nicht überzeugt, dass sie den historischen Schritt ins Bündnis tun sollten - zumindest noch nicht.

"Der Ball liegt im Feld der Russen", so Lindberg. "Er liegt eher in russischen Händen als bei den Schweden. Wenn die russische Aggression gegenüber den baltischen Staaten weitergeht, wird sich die schwedische Debatte verändern."