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Schlagabtausch über die Industriepolitik

6. Mai 2019

Wie bleibt Deutschland wettbewerbsfähig? Wirtschaftsminister Altmaier sieht die Unternehmen im Verzug und will strategisch eingreifen. Das empört die Industrie. Sie hat eigene Vorstellungen. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

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Deutschland Kongress zur Nationalen Industriestrategie 2030
Bild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Es herrscht unübersehbar dicke Luft zwischen Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und den großen deutschen Industrie- und Wirtschaftsverbänden. Vor drei Monaten hat der CDU-Politiker seine umstrittene Industriestrategie 2030 vorgestellt, die mehr staatliche Eingriffe in die Wirtschaft vorsieht. Seitdem weht Altmaier aus der Wirtschaft ein eisiger Wind entgegen. Planwirtschaft und Protektionismus werden ihm vorgeworfen, manche Unternehmer wittern gar den Systemsturz.

Doch Altmaier bleibt demonstrativ gelassen. Wenn man einen Stein ins Wasser werfe, dürfe man sich hinterher nicht beklagen, wenn er Wellen schlägt. "Dieser Stein hat Wellen geschlagen, vielleicht sogar ein bisschen mehr, als alle Beteiligten am Anfang erwartet hätten", sagt der Minister am Montag auf einer Diskussionsveranstaltung zur Industriestrategie, zu der er rund 60 führende Köpfe aus Wirtschaft, Gewerkschaften und Politik eingeladen hat. Fast alle sind gekommen, doch die Begrüßung fällt sparsam aus. Das sonst übliche gemeinsame Lächeln für die Kameras entfällt gleich ganz.

Zu hohe Strompreise, zu wenig schnelles Internet

Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), sitzt nur einen Platz entfernt von Altmaier und blättert mit verschlossener Miene in seinen Papieren. Auf 30 Seiten hat der BDI seine Position zu einer deutschen Industriepolitik zusammengefasst. Mehr als 130 Punkte sind zusammengekommen, die aber keineswegs als "Gegenentwurf" zur Industriestrategie gedacht seien, sondern vielmehr als "unser Beitrag zur weiteren Diskussion", so Kempf. Ganz oben stehen die "Schwächen des Industriestandorts Deutschland", zu denen der BDI-Präsident zu hohe Energiepreise, zu viel Bürokratie, einen schleppenden Ausbau der digitalen Infrastruktur und eine "schädliche Steuerpolitik" zählt.

BDI-Präsdient Dieter Kempf (li.) spricht auf dem Kongress zur Nationalen Industriestrategie 2030 in Berlin. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hört mit ernster Mine zu.
Zwei, die sich derzeit gar nicht verstehen: BDI-Präsdient Dieter Kempf (li.) und Wirtschaftsminister Peter AltmaierBild: picture-alliance/dpa/B. von Jutrczenka

Zwei Plätze neben Kempf sitzt Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbands "Die Familienunternehmer" und einer, der Altmaier in den letzten Wochen auch persönlich angegriffen hat. Der Minister sei eine glatte Fehlbesetzung in diesem Amt, waren seine Worte. Seine Industriestrategie 2030 schade der Wirtschaft mehr, als dass sie ihr helfe. Eben-Worlée guckt zustimmend, als BDI-Präsident Kempf sagt, die Industriestrategie ziele zu sehr auf große Unternehmen ab und werde den Perspektiven kleinerer und mittlerer, aber auch forschender Unternehmen nicht gerecht.

Der Staat ist kein Trainer

Kempf pocht auf eine "regelbasierte Marktwirtschaft" und bringt damit zum Ausdruck, dass der Staat sich aus der Wirtschaft rauszuhalten habe. Die Politik sei dafür da, Regeln zu setzen und zu kontrollieren, meint auch der Präsident des Verbandes der Automobilindustrie, Bernhard Mattes. Der Staat habe lediglich die Aufgabe eines Sportverbands und Schiedsrichters, bemüht sich Mattes um einen bildlichen Vergleich. "Schon die Rolle des Trainers, der eine Taktik vorgibt und seine Mannschaft zu bestimmten Spielzügen bewegt, wäre wirtschaftspolitisch problematisch." Der Staat sei kein Mitspieler.

Doch genau dahin - auf das aktive Mitspielen - zielt Altmaiers Industriestrategie. Auch in einer sozialen Marktwirtschaft sei mehr Staat gerechtfertigt oder gar notwendig, "um schwere Nachteile für die eigene Volkswirtschaft und das gesamtstaatliche Wohl zu vermeiden", heißt es in der Industriestrategie. Deutschland und Europa drohten bei wichtigen Zukunftstechnologien wie der Künstlichen Intelligenz, dem autonomen Fahren oder der Batteriezellenfertigung für E-Autos abgehängt zu werden - auch weil die weltweite Konkurrenz aus den USA und Asien zunimmt. "Bloßes Abwarten und Nichtstun reichen nicht aus", warnt der Minister.

Airbus als Vorbild

Er will einzelne Unternehmen und Branchen, aber auch Fusionen staatlich stärker fördern und so nationale und europäische Champions schaffen. Als leuchtendes Vorbild dient Altmaier der europäische Flugzeugbauer Airbus. Um Deutschlands technologische Souveränität zu schützen, sollen zudem ausländische Investitionen stärker kontrolliert, unliebsame verhindert werden. Der Industrieverband lehnt das rundweg ab. "Unsere Antwort kann nicht sein, dass wir fehlgeleitete Renationalisierungspolitik anderer Länder auch nur in Ansätzen kopieren", so BDI-Präsident Kempf.

So ablehnend die Wirtschaft der Industriestrategie entgegensteht, so positiv wird sie von den Gewerkschaften aufgenommen. Jörg Hofmann, Vorsitzender der IG Metall, spricht von einem wichtigen Impuls, den das Papier liefere. "Moderne Wirtschaftspolitik für das 21. Jahrhundert kann und sollte klug intervenieren, wenn es um den Aufbau von Schlüsselkompetenzen für die Wertschöpfung der nächsten Jahrzehnte geht." Altmaiers Förderung einer Batteriezellenfertigung in Deutschland sei absolut richtig, die gesamte Wertschöpfungskette der Autoindustrie müsse in Europa gehalten werden. "Gerade für kleine Unternehmen ist eine klug koordinierte Industriepolitik als Planungsumfeld wichtig."

Der Chef ist zufrieden

Die Konferenz sei "ganz besonders erfolgreich und fruchtbar", gab sich Peter Altmaier in der Mittagspause vor Journalisten zuversichtlich. Die durften dem Schlagabtausch nur während der ersten zwanzig Minuten zuhören und mussten den Saal dann verlassen. Schließlich hatte sich Altmaier eine "Diskussion ohne Tabus" gewünscht. Es habe sich gezeigt, "dass die Initiative bei aller Kritik, die sie bekommen hat, auch sehr viel Zustimmung ausgelöst hat und dass zu den einzelnen Vorschlägen das Bild sehr viel differenzierter ist, als es bisweilen in der Öffentlichkeit den Anschein hatte", so der Minister. "Ich fühle mich darin bestätigt, dass ich einen wichtigen Anstoß gegeben habe."

In den kommenden Monaten werde nun weiter über die Industriestrategie debattiert. Die von den Verbänden und Unternehmen vorgelegten Vorschläge würden aufgenommen und "in die Überarbeitung des Dokuments mit einfließen". Änderungen in den Kernpunkten von Altmaiers Strategiepapier soll es allerdings nicht geben. Die stünden fest, so verlautet es aus dem Wirtschaftsministerium.