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Schadensbegrenzung in Ankara

Thomas Seibert, Istanbul17. Dezember 2013

Ankara verstärkt das Engagement in der Region, Premier Recep Tayyip Erdogan wird zum ersten Mal seit Jahren an einem EU-Gipfel teilnehmen - die Türkei versucht, ihre außenpolitische Isolation zu durchbrechen.

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Der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan bei einer Rede vor zwei türkischen Fahnen (Foto: Reuters)
Bild: Reuters

Der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu ist in jüngster Zeit viel in der Nachbarschaft seines Landes unterwegs, um Zeichen zu setzen. Im schiitisch regierten Irak, mit dem die überwiegend sunnitische Regionalmacht Türkei in den vergangenen Jahren keine guten Beziehungen hatte, lud er Premier Nuri al-Maliki nach Ankara ein. Auch der Präsident der schiitischen Regionalmacht Iran, Hassan Rohani, wird bald in der türkischen Hauptstadt erwartet.

Während eines Besuchs beim östlichen Nachbarn Armenien Anfang Dezember betonte Davutoglu zum ersten Mal, die Vertreibung der Armenier durch die Türken im Ersten Weltkrieg sei "unmenschlich" gewesen. Auch in den Zypern-Konflikt könnte wieder Bewegung kommen: Davutoglu besuchte in den vergangenen Tagen den westlichen Nachbarn Griechenland, um über Lösungen für die geteilte Mittelmeerinsel zu sprechen.

Gleichzeitig verstärkt die Türkei ihr europapolitisches Engagement. Türkei und EU unterzeichneten am Montag (16.12.2013) zweiAbkommen für die Flüchtlings- und Visumspolitik. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird im Januar zum ersten Mal seit drei Jahren wieder bei einem EU-Gipfel erwartet.

Der türkische Außenminister Davutoglu (links) in Aserbaidschan, mit seinem Amtskollegen Edward Nalbandian (Foto: AFP/Getty Images)
Der türkische Außenminister Davutoglu (links) in Aserbaidschan, mit seinem Amtskollegen Edward NalbandianBild: Getty Images

Dramatische Umbrüche in der Region

In der offiziellen Sprachregelung der türkischen Regierung sind all diese Kontakte lediglich die konsequente Fortsetzung der "Null-Probleme"-Politik, mit der Davutoglu bei seinem Amtsantritt im Jahr 2009 die Außenbeziehungen der Türkei auf eine neue Grundlage stellen wollte. Harmonie mit allen Nachbarn sollte dem Land zu einer starken regionalpolitischen Stellung und zu neuen Exportmärkten verhelfen.

Doch die Entwicklungen in der Region sind turbulent: Der frühere Verbündete Syrien wandelte sich zum Gegner; in Ägypten wurde Präsident Mohammed Mursi - der der türkischen Regierung nahe stand - von der Armee entmachtet. Die irakische Regierung warf Ankara sogar eine Destabilisierung des Landes durch die an Bagdad vorbei abgeschlossenen Ölgeschäfte zwischen der Türkei und den Kurden Nordiraks vor. Die ohnehin schwierigen Beziehungen zu Israel erreichten nach dem Tod von neun türkischen Aktivisten beim israelischen Angriff auf eine Hilfsflotte für Gaza im Jahr 2010 einen Tiefpunkt.

"Ehrenhafte Isolation" der Türkei

Hinzu trat ein schroffer Tonfall türkischer Regierungspolitiker, der in verschiedenen Situationen die türkische Haltung als moralisch überlegen darstellte und damit die Nachbarn in der Region gegen Ankara aufbrachte. Beispielsweiseverdammte Erdogan alle Mächte, die - anders als die Türkei - nach Mursis Sturz mit den neuen Machthabern in Ägypten zusammenarbeiteten.Sein Berater Ibrahim Kalin sprach in diesem Zusammenhang von einer "ehrenhaften Isolation" seines Landes in der Region.

Porträt des gestürzten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi (Foto: Reuters)
Gute Beziehungen zur Türkei: Der gestürzte ägyptische Präsident MursiBild: Reuters

Die Folge war ein dramatischer Ansehensverlust der Türkei im Nahen Osten. Das Istanbuler Politik-Institut Tesev, das seit fünf Jahren regelmäßig die Stimmungslage in der Region untersucht, meldete kürzlich, die Sympathiewerte der Türkei in 16 Nahost-Staaten seien innerhalb nur eines Jahres von 78 auf 59 Prozent gefallen. Nach diesen Umfragen ist selbst das ferne China in der Region beliebter als die Türkei.

"Neo-osmanische Haltung"

Dimitrios Triantaphyllou, ein in Istanbul lehrender Politikwissenschaftler aus Griechenland, erkennt bei der Erdogan-Regierung eine "neo-osmanische Haltung". Erdogans Türkei, Nachfolgerin des Osmanischen Reiches, erhebe einen auf das gemeinsame kulturelle Erbe gestützten Führungsanspruch, sagte Triantaphyllou im DW-Interview. Gerade stolze Nationen wie Ägypten würden das nicht gerne sehen.

Insofern könnten Davutoglus jüngste Besuchsreisen durch die türkische Nachbarschaft als Versuch der Schadensbegrenzung und als Signal eines Neubeginns in der Außenpolitik gesehen werden.

Die Türkei werde ihre Isolation nicht über Nacht überwinden, doch die Erfolgschancen seien zumindest im Nahen Osten nicht schlecht, meint Sabiha Senyücel Gündogar vom Istanbuler Politik-Institut Tesev im DW-Gespräch. Schließlich bleibe die Türkei trotz aller Fehler der vergangenen Jahre ein wichtiger Akteur: "Ob sie das Land nun mögen oder nicht: Die Menschen im Nahen Osten verfolgen die Türkei aufmerksam", so Gündogar.