Schüler fordern den Klimanotstand
1. Mai 2019Was mit einem Schülerstreik im Dezember begann, hat die Lokalpolitik der Stadt Basel verändert. Ende letzten Jahres schwänzten der 19-jährige Philippe Kramer und seine Mitschüler als Teil der Bewegung "Fridays for Future" die Schule, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Schnell schlossen sich immer mehr Schüler und Erwachsene in Basel und anderen Schweizer Städten an. "Die Schweiz ist wirklich nicht gerade ein Land, in dem die Menschen auf die Straße gehen, aber die Resonanz war sehr groß und das hat viel bewegt", sagte Kramer der DW.
Kramer wollte es nicht nur beim Demonstrieren belassen, sondern die Politik zu konkreten Klimaschutzmaßnahmen bewegen. Also entschieden er und seine Mitschüler sich, dem Beispiel von Aktivisten in Australien, Kanada, Großbritannien und den USA zu folgen. Dort haben inzwischen dutzende Städte und Gemeinden wie Vancouver, Oakland und London den Klimanotstand ausgerufen.
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Die Schüler veröffentlichten einen Brief in Basler Zeitungen, in dem sie das Konzept des Klimanotstands erklärten und Politiker einluden, die Idee im Kantonsparlament vorzutragen. Der Schweizer Lokalpolitiker Aenas Wanner von den Basler Grünliberalen folgte dem Aufruf – und erreichte eine zwei Drittel Mehrheit für den Schritt. Basel war damit die erste Stadt im deutschsprachigen Raum, die den Klimanotstand ausrief.
Signalwirkung
Aber was bedeutet es eigentlich, wenn ein Klimanotstand ausgerufen wird? Die Idee hinter der Bewegung ist, Veränderungen erst auf lokaler Ebene anzustreben und sie dann auf das ganze Land zu übertragen. Das Konzept unterscheidet sich von Stadt zu Stadt und reicht vom generellen Versprechen, Klimapolitik zur Priorität zu machen bis zu konkreten Zielen wie dem Erreichen niedrigerer CO2-Emissionen als von der Regierung vorgesehen.
In Basel hat der Schritt keine rechtliche Bindung, soll aber eine Signalwirkung haben. Das Parlament ist aufgefordert, alle neuen Projekte auf die Folgen für den Klimawandel zu bewerten und diese transparent zu machen. "Wenn wir über die Expansion von Gasversorgern diskutieren, dann müssen die Konsequenzen fürs Klima mitbedacht werden", so Wanner.
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Die Stadt Basel verspricht außerdem, zukünftige Klimaschutzmaßnahmen an den Richtlinien des Weltklimarats IPCC zu orientieren, die strenger sind als die Schweizer Klimagesetzgebung. Die Schweiz soll laut nationalem Gesetz bis 2020 ihre Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent gegenüber 1990 reduzieren, doch das Ziel wird das Land voraussichtlich verfehlen.
"Klimawandel und Klimaschutz sind eine der größten Herausforderungen der Gesellschaft", sagte Wanner. "Da haben die Jugendlichen vollkommen Recht, dass sie auf eine lebenswerte Zukunft beharren und nach Lösungen suchen. Da hat die Politik bei Weitem noch nicht genügend getan."
Klimanotstand in Deutschland
Die Idee der Basler Schüler hat auch andere Schweizer Städte inspiriert. Zürich, Bern und Luzern überlegen, ebenfalls den Klimanotstand auszurufen. Auch in Deutschland ist die Bewegung angekommen, wo Schüler und Studenten für den Schritt bei ihren Lokalpolitikern werben. Die 19-jährige Louisa Schocke, die in Deutschland die "Fridays for Future" Proteste mitorganisiert, hat in Erlangen einen Antrag auf die Erklärung eines Klimanotstands eingereicht. Ende März stimmte einee Bürgerversammlung mit einer Mehrheit von 99 Prozent dafür. Nun muss der Stadtrat entscheiden.
So wie die Schweiz wird auch Deutschland sein eigenes Klimaziel – eine Reduzierung der CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990 – verfehlen. Das macht Louisa Schocke Sorgen. "Ich engagiere mich, weil ich Angst habe, dass wenn ich 35 bin, nichts mehr von dem existiert, von dem ich jetzt weiß, dass es noch da ist auf der Welt", sagt die Schülerin und nennt die Artenvielfalt als Beispiel.
Sie und ihr Team haben sich Maßnahmen für mehr Klimaschutz in Erlangen einfallen lassen, in den Bereichen Energie, Mobilität, Bau, Stadtgrün, Ernährung, Abfallressourcen und Investition. "Wir wollten nicht den Vorwurf bekommen, dass unsere Forderungen nicht konkret genug sind. Wir haben uns deswegen für jeden Bereich Ideen überlegt, die wir für unsere Stadt cool fänden, wie zum Beispiel mehr Stadtbegrünung, dass klimaneutral gebaut wird oder dass mehr Fahrradstraßen geöffnet werden", so Schocke.
Schüler und Studenten haben ähnliche Klimanotstandsanträge in anderen deutschen Städten eingereicht, unter anderem in Berlin, Leipzig, Kiel, Dortmund, Düsseldorf und Köln.
Von lokaler auf nationaler Ebene
Kritiker argumentieren, dass ein symbolischer Klimanotstand ohne rechtliche Bindung die Politik nicht wirklich beeinflussen könne. Doch Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, sieht das anders. "Im Bundestag passiert leider sehr wenig, bis heute gibt es keine konkreten Klimamaßnahmen", sagte sie der DW. "Wir verfehlen die Klimaziele meilenweit. Daher finde ich es total wichtig, dass auf kommunaler Ebene Druck aufgebaut wird."
Laut Badum können Städte und Gemeinden im Klimaschutz einiges bewegen, ohne auf Ansagen der Bundesregierung warten zu müssen. Sie könnten zum Beispiel Gelder in öffentliche Verkehrsmittel stecken statt in kostenloses Parken, oder sicherere Fahrradwege bauen. Und indem sie Klimaschutzpolitik zu einer Priorität machen, können sie Druck auf die Bundesregierung ausüben. "Jeder Abgeordnete hat einen Wahlkreis, viele sind direkt gewählt und wenn dieser Wahlkreis vor Ort Druck macht, dann hat es eine ganz andere Qualität", so Badum.
Nationaler Klimanotstand
Laut der australischen Klimanotstandskampagne "Climate Emergency Declaration" sollte der Notfallmodus so lange gelten, bis der Notfall vorüber ist. Allerdings ist unklar, ob neue Lokalregierungen den Status aufrechterhalten, Gelder zu Verfügung stellen oder sich an selbst auferlegte Maßnahmen halten.
Für den Schweizer Schüler Philippe Kramer ist klar, dass die Bewegung die Klimapolitik in Basel tatsächlich verändert. "Die Dringlichkeit ist seitdem deutlich gestiegen, man spürt, dass alle Parteien versuchen, ihre Lösungsvorschläge jetzt einzubringen und darum konkurrieren, welche Vorschläge übernommen werden. Das treibt die Sache deutlich voran."
Was auf lokaler Ebene begann, könnte schon bald zu einem nationalen Thema werden. Denn Samira Marti, das jüngste Mitglied des Schweizer Nationalrats, fordert jetzt den Klimanotstand auf Bundesebene.