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Ein zwiespältiges Verhältnis zum Terror

Kersten Knipp8. August 2016

Saudi-Arabien wird immer wieder der Unterstützung dschihadistischer Gruppen bezichtigt. Nun unterstützt das Könighaus die Berliner Sicherheitsbehörden beim Kampf gegen den Terror. Ein Widerspruch ist das nur scheinbar.

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Selbstmordanschlag in Medina im Juli 2016 (Foto: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency)
Selbstmordanschlag in MedinaBild: picture-alliance/dpa/Saudi Press Agency

Ein dschihadistisch inspirierter Amoklauf in einem Regionalzug bei Würzburg. Eine vorzeitig hochgegangene Bombe in Ansbach, eigentlich dazu bestimmt, möglichst viele Menschen zu töten: Beide Anschläge wurden mutmaßlich ferngesteuert, und zwar durch Hintermänner in Saudi-Arabien, die den Attentätern in Deutschland per Chat Anweisungen gaben, wie sie bei ihren Angriffen vorzugehen hätten.

So berichtete es das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" unter Berufung auf entsprechende Chat-Protokolle, die den Bundesbehörden vorlägen. Ebenso bezieht sich die Zeitschrift auf Auskünfte eines ranghohen Regierungsmitarbeiters aus Riad, der Hauptstadt Saudi-Arabiens. Demnach standen die jungen Männer über mehrere Telefonnummern in engem Kontakt mit der Terrormiliz "Islamischer Staat" in Saudi Arabien. Tatsächlich hatte die saudische Regierung laut einem Medienbericht eine umfassende Zusammenarbeit mit Deutschland bei den Ermittlungen nach den Anschlägen in den bayerischen Städten angekündigt.

Seit Jahren kommen unterschiedliche, auf den ersten Blick widersprüchliche Informationen aus Saudi-Arabien. Zum einen wird das Land beschuldigt, eine besonders konservative Spielart des sunnitischen Islam, den Wahhabismus, zu exportieren. Dieser ist im Königreich Staatsreligion. Bald nach Beginn des Krieges in Syrien wurden Vorwürfe laut, das Königreich finanziere dort dschihadistische Gruppen, deren vornehmstes Ziel nicht der Sturz des Assad-Regimes, sondern der Aufbau eines "Kalifats" unter Herrschaft der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) sei. Diesem fühlen sich Teile der konservativen Sunniten Saudi-Arabiens sehr verbunden. In dem zu den (schiitischen) Aleviten gehörenden syrischen Baschar al-Assad sehen sie hingegen einen ideologischen Gegner, wenn nicht sogar einen Feind.

Zum anderen aber gilt Saudi-Arabien westlichen Staaten seit Jahren als wichtiger Verbündeter im Kampf gegen den dschihadistischen Terror.

Der abgesperrte Tatort in Ansbach picture-alliance/dpa/K.J.Hildenbrand)
Idylle nach dem Terror: Der abgesperrte Tatort in AnsbachBild: picture-alliance/dpa/K.J.Hildenbrand

Ein zweifelhafter Wille

Die Nachrichten sind längst nicht so widersprüchlich, wie man auf den ersten Blick vermuten könnte, sagt Sebastian Sons, Nahost-Experte bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, im Gespräch mit der DW. So sei die saudische Regierung bereits seit den Anschlägen in den USA im September 2001 im Anti-Terrorkampf engagiert. Damit habe sie zum einen auf entsprechenden Druck aus den USA reagiert. Zum anderen aber auf den Umstand, dass auch Einrichtungen im Königreich selbst immer öfter Ziel dschihadistischer Anschläge geworden sei, zunächst von Al-Kaida, später auch von dem IS.

Zugleich gebe es in dem Land aber auch zahlreiche religiöse Stiftungen. Ein Teil von ihnen wie auch eine Reihe vermögender Privatpersonen stünden den Zielen des IS mit Sympathie gegenüber und finanzierten ihn. "Die entsprechenden Überweisungen werden mittlerweile zwar scharf kontrolliert." Eine vollständige Kontrolle gebe es aber dennoch nicht. "Denn erstens fehlen in Saudi-Arabien schlicht die Kapazitäten, das umfassend zu tun. Zum zweiten kann man den entsprechenden politischen Willen zumindest in Teilen anzweifeln."

Bündnis zwischen Religion und Politik

Doch selbst, wenn das Königshaus diesen Willen hätte, könnte es ihn kaum umsetzen. Denn die Familie Al-Saud, die die Geschicke des Staates seit der Gründung des ersten Königreichs im 18. Jahrhundert lenkt, ist von den konservativen Wahhabiten abhängig. Denn diese verleihen ihm die ideologische Legitimität, auf die es als Grundlage seiner Herrschaft angewiesen ist.

US-Präsident Obama zu Gast in Riad (Foto: Reuters/K. Lamarque)
Schwierige Partnerschaft: US-Präsident Obama zu Gast in RiadBild: Reuters/K. Lamarque

Den moralischen Grundstein für die Herrschaft der Familie Saud legte ein Religionsgelehrter aus der Umgebung der heutigen Hauptstadt Riad. Muhammad ibn Abd al-Wahhab, so der Name des Gelehrten, kam 1703 als Sohn eines Richters zur Welt. Er begründete den nach ihm benannten Wahhabismus, der umgehend zur offiziellen Religion des entstehenden Königreiches wurde.

Al-Wahhab entwickelte ein ganz neues Kriterium, um die Legitimität der regionalen Herrscher zu beurteilen. Die sei nur dann gegeben, wenn die Machthaber sich an die Vorgaben des Glaubens hielten. Die politischen Führer, so Al-Wahhab, müssen in allem, was sie tun, dem Willen Gottes entsprechen. Täten sie das nicht, verlören sie ihre Legitimität. Die Frage war nur: Wer bestimmt, was Gottes Wille ist?

Ibn Wahhab gab auf diese Frage keine explizite Antwort. Stattdessen verknüpfte er die religiöse mit der politischen Macht. Dies tat er, indem er sich den schlagkräftigsten Bündnispartner seiner Zeit suchte: Prinz Saud I. ibn Abd al-Aziz ibn Muhammad al-Saud, der Eroberer des ersten saudischen Reiches. Dieser sicherte die theologische Macht des Partners mit militärischen Mitteln. Im Gegenzug gab dieser der politischen Herrschaft seines Partners den religiösen Segen.

Das Bündnis der beiden Familien, der regierenden al-Sauds und der für religiöse Fragen verantwortlichen Nachfahren Ibn-Wahhabs, hält sich bis heute.

Islamisten demonstrieren vor der von Saudi-Arabien finanzierten König Fahd-Akadenmie in Bonn (Foto: Hermann J. Knippertz/dapd)
Islamisten demonstrieren vor der von Saudi-Arabien finanzierten König Fahd-Akademie in BonnBild: dapd

Ein ungelöstes Dilemma

Diese Allianz bestimmt auch die Reaktion des heutigen Königshauses auf den Terror. "Das Königshaus sieht den Terrorismus zwar sicherheitspolitisch als extreme Gefahr, muss sich ideologisch aber immer noch mit den wahhabitischen Gelehrten arrangieren", sagt Sebastian Sons. Dabei müsse es immer wieder auch auf deren - teils radikale - Weltanschauungen Rücksicht nehmen. Verweigern könnten sie sich ihr bestenfalls bedingt. "Denn das saudische Staatskonstrukt beruht ja auf der Allianz zwischen wahhabitischer Gelehrsamkeit und dem Königshaus. Das ist bis heute ein ungelöstes Dilemma für das Königshaus."

Für den Rest der Welt heißt das: Man muss weiter mit aus Saudi-Arabien gesteuerten Anschlägen rechnen. Solange der Extremismus nicht ideologisch überwunden ist, helfen auch alle sicherheitspolitischen Maßnahmen nur bedingt.