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Politik

Freiheit für eine Milliarde Dollar

30. November 2017

In Saudi-Arabien dürfen sich Prinzen und Geschäftsleute, die der Korruption beschuldigt werden, faktisch aus der Haft freikaufen. Zugleich treibt Kronprinz Mohammed bin Salman die Reformen im Königreich weiter voran.

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Saudi-Arabien König Salman und Kronprinz Mohammed bin Salman
Unterwegs im Kampf gegen die Korruption: König Salman und sein Sohn, Kronprinz Mohammed bin SalmanBild: Reuters/F. Al Nasser

Prinz Miteb bin Abdullah ist wieder auf freiem Fuß. Die letzten knapp vier Wochen hatte der ehemalige Minister und Befehlshaber der elitären Nationalgarde im Hotel Ritz-Carlton in Riad verbracht, zusammen mit 208 weiteren Mitgliedern der bisherigen politischen und wirtschaftlichen Elite des Königreichs. Alle waren Anfang November unter dem Verdacht der Korruption in Untersuchungshaft genommen worden - wobei Kritiker von Beginn an mutmaßten, Kronprinz Mohammed bin Salman wolle mit der spektakulären Verhaftung vor allem potentielle Kontrahenten und Kritiker kaltstellen.

Ihre Haft mussten die Festgenommenen allerdings nicht in einem Gefängnis verbringen, sondern - wie gesagt - im Luxus-Hotel Ritz-Carlton. Schon bevor sie zum Fünf-Sterne-Gefängnis avancierte, bewarb sich die Luxus-Herberge selbst als "Rückzugsort für jene, die einfach nur eine königliche Behandlung wünschen".

Nun ist der erste der neuen "Gäste" aus der "königlichen Behandlung"  entlassen. Prinz Miteb konnte sich mit einer Milliarde Dollar aus der Gefangenschaft freikaufen. Mitte der Woche konnte er das Hotel verlassen. Das Geld fließt in die Staatskasse.

Neben ihm haben sich drei weitere - namentlich nicht genannte - Zwangsinsassen auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft eingelassen. Haben sie ihre Zahlungen geleistet, dürfen auch sie damit rechnen, absehbar wieder in Freiheit zu kommen.

Auch die meisten anderen Verhafteten - rund 95 Prozent - streben Medienberichten zufolge eine solche Einigung an. Nur ein kleiner Teil der Beschuldigten hingegen will es auf einen Gerichtsprozess ankommen lassen und diesen nutzen, um die eigene Unschuld zu beweisen. Bei einem noch kleineren Teil, rund einem Prozent der Verhafteten, sollen sich die Korruptionsvorwürfe als haltlos erwiesen haben.

Saudi-Arabien Prinz Miteb
Eine Milliarde für die Freiheit: der der Korruption beschuldigte Ex-Minister Prinz Miteb bin Abdul AzizBild: picture-alliance/AP Photo/H. Ammar

Ein Schaden von 800 Milliarden Dollar

Den Anstoß zu der Verhaftungswelle soll der saudische König Salman persönlich gegeben haben. "Mein Vater hat erkannt, dass wir bei dem derzeitigen Korruptionsniveau weder Mitglied der G-20 bleiben noch wirtschaftlich wachsen können", erklärte Kronprinz Mohammed bin Salman in der vergangenen Woche der "New York Times". Rund 800 Milliarden Dollar seien dem Königreich in den vergangenen Jahrzehnten mutmaßlich verloren gegangen, berichtete der britische "Guardian" kürzlich unter Berufung auf namentlich nicht genannte Regierungskreise in Saudi-Arabien. Zwar könne man diese Summe nicht mehr in die Staatskasse zurückholen. Aber wenigstens einen Teil wolle man retten. Der Kronprinz selbst erklärte, er hoffe, durch Vereinbarungen mit den Beschuldigten rund 100 Milliarden US-Dollar einzunehmen.

Doch sind Verhaftungen, gefolgt von millionenschweren "Freikäufen", ein angemessener Weg, die Korruption zu bekämpfen? Ali Adubisi, saudischer Regimekritiker im Berliner Exil und Chef der "Europäisch-saudischen Organisation für Menschenrechte", bezweifelt dies. Das Thema Korruptionsbekämpfung werde von den Herrschenden ebenso geschickt politisch vermarktet wie der Kampf gegen den Terrorismus, erklärte er gegenüber der DW. Das saudische Vorgehen sei "sehr weit weg von juristisch einwandfreien und ernsthaften Methoden der Korruptionsbekämpfung". Adubisi: "Der saudische Staat möchte in diesem Bereich kein eindeutiges Gesetz erlassen, denn vor diesem wären ja alle Bürger gleich. Es würde dann für den König ebenso gelten wie für den Kronprinzen." So, wie die Dinge derzeit liefen, würde das Königreich sich jedoch nicht von der grassierenden Korruption befreien können, prophezeit er.

Ritz-Carlton in Saudi Arabien
Derzeit ein Fünf-Sterne-Gefängnis: das Ritz-Carlton im saudischen Riad Bild: Getty Images/AFP/G. Cacace

"Machtmissbrauch und Vetternwirtschaft"

Auf dem Korruptionswahrnehmungsindex 2016 von Transparency International steht Saudi-Arabien auf Rang 62 von 176 Plätzen insgesamt. Kein vorzeigbarer Wert. "Unternehmen, die in Saudi-Arabien aktiv sind oder dort zu investieren beabsichtigen, müssen mit einem hohen Korruptionsrisiko rechnen", heißt es denn auch auf der Website des "Business Anti Corruption Portal", einer privat betriebenen Seite, die von der Europäischen Kommission und mehreren europäischen Regierungen unterstützt wird. "Besonders Machtmissbrauch, Vetternwirtschaft und der Einsatz von Mittelsmännern zur Geschäftsanbahnung sind an der Tagesordnung. Privatwirtschaft und Politik überschneiden sich, die Politik ihrerseits beruht auf einem Patronage-System."

Solche Verhältnisse schrecken westliche Unternehmen in der Regel ab. Darum, so Jamal Khashoggi, ein im Lande sehr bekannter, seit kurzem in Washington lebender saudischer Journalist, begrüßten viele Bürger die nun eingeleiteten Schritte. "Unsere Ambitionen sind zwar bescheiden, aber wir sind mit den Ergebnissen doch zufrieden." Er meint, Kronprinz Mohamed bin Salman strebe durchaus juristisch verbriefte Transparenz, neutrale Gesetze und faire Gerichtsverfahren im Rahmen eines Rechtsstaats an: "Es ist die Revolution eines einzelnen Mannes. Er schafft zwar nicht alles, aber doch einiges von dem, was wir uns wünschen."

Kampf gegen Korruption in Saudi-Arabien

Ein saudischer Frühling?

Auch der bekannte amerikanische Journalist Thomas Friedman, der den saudischen Kronprinzen für die "New York Times" interviewt hatte, war von dem Gespräch angetan: Das Königreich durchlebe derzeit seine eigene Variante des Arabischen Frühlings, schrieb Friedman - mit dem Unterschied, dass die Veränderungen diesmal nicht von unten nach oben, sondern umgekehrt von oben nach unten in Gang gesetzt würden. Gelänge dieses Unterfangen, würde dies nicht nur Saudi-Arabien verändern, sondern Charakter und Anmutung der islamischen Welt insgesamt, so der US-Journalist. Immerhin betrachtet sich das sunnitische Saudi-Arabien als Führungsmacht der islamischen Welt.

Auch Jamal Khashoggi räumt den Reformplänen gute Erfolgschancen ein. "Der Kronprinz hat eine Tür geöffnet, die sich nicht mehr schließen wird. Es ist eine Tür für revolutionäre Veränderungen in Saudi Arabien." Der Bevölkerung aber dürften die derzeitigen Maßnahmen kaum reichen, warnt er. "Die Bevölkerung will in jederlei Hinsicht ein besseres Leben. Die derzeitige Anti-Korruptionskampagne wird irgendwann enden. Dann werden die saudischen Bürger weitere Forderungen stellen."

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika