SAF - der Traum vom CO2-neutralen Fliegen
Um die CO2-Emissionen des Fliegens ab sofort zu reduzieren, gibt es im Grunde nur eine Lösung: nachhaltiges Flugbenzin, oder Sustainable Aviation Fuel, kurz SAF. Am häufigsten wird es bisher aus Biomasse oder altem Speiseöl gewonnen oder aus den Bestandteilen Kohlen- und Wasserstoff synthetisiert, also zusammengesetzt. Damit es wirklich emissionsneutral ist, müssen Rohstoffe und Energie aus erneuerbaren Quellen stammen.
Europa, speziell Deutschland, könnte in der Branche eine wichtige Rolle übernehmen. Der Weltmarktführer kommt aus Finnland, im Emsland hat 2021 die weltweit erste industrielle Anlage für synthetisches Flugbenzin den Betrieb aufgenommen. In Jülich bei Köln entsteht gerade die erste Anlage in industriellem Maßstab zur Erzeugung von Kerosin aus Sonnenenergie.
Nachhaltiges Kerosin ist nahezu alternativlos
Auch wenn Flugzeughersteller an alternativen Antrieben forschen, wird es auf Mittel- und Langstrecken auch langfristig nicht ohne "grünes Kerosin" gehen: "Fast alle Analysten kommen zu dem Schluss, dass SAF eine Schlüsselrolle in jedem künftigen Netto-Null-Szenario spielt", schreibt Dan Rutherford, Direktor des Luftfahrt-Programms des International Council on Clean Transportation ICCT, in einem Blog-Beitrag.
Der Grund: Kein anderer Energiespeicher hat eine so günstige Kombination von Eigenschaften fürs Fliegen. Von besonderer Bedeutung ist dabei die Energiedichte - bezogen auf Gewicht und auf Volumen: Ein Lithium-Ionen-Akku, der so viel Energie speichern kann wie der Kerosintank eines Passagierflugzeugs, ist um ein Vielfaches größer und schwerer als das Flugzeug selbst. Wasserstoff enthält bei gleichem Gewicht zwar etwa dreimal so viel Energie wie Kerosin, er nimmt aber - selbst verflüssigt - dreimal mehr Raum ein.
Emissionen könnten ad hoc reduziert werden
Hinzu kommt, dass alternative Antriebe erst noch entwickelt werden müssten, während SAF konventionellem Kerosin problemlos beigemischt werden kann - theoretisch in unbegrenzter Menge, sprich: 100 Prozent SAF sind möglich. Dass dafür noch ein paar technische Feinjustierungen und Zulassungen nötig sind, gilt eher als Formsache.
Ohnehin ist die weltweit produzierte Menge SAF so gering, dass es zurzeit tatsächlich ein rein theoretisches Szenario ist: 125 Millionen Liter waren es 2021 - das reicht unter günstigen Bedingungen, um ein Jahr lang täglich einen Jumbo-Jet von Frankfurt oder New York nach Sydney und zurück zu fliegen. Oder anders ausgedrückt: In einem normalen (Nicht-Corona-)Jahr kann man mit dieser Menge die globale Luftfahrt für etwa drei Stunden am Himmel halten.
Markhochlauf nur mit politischer Unterstützung?
Dass der Flugverkehr früher oder später weit über das Vor-Corona-Niveau von 2020 hinauswachsen wird, bezweifeln die wenigsten. Dennoch soll die Luftfahrt bis 2050 CO2-neutral werden, 65 Prozent der Einsparungen sollen nach Angaben der Internationalen Organisation für Zivilluftfahrt (IATA) durch nachhaltigen Treibstoff erzielt werden. Der Haken an der Sache: Bisher ist SAF zwei- bis fünfmal so teuer wie fossiles Kerosin - je nach Produktionsmethode und aktuellem Öl-Preis.
Freiwillig werden die Airlines ihre Kosten freilich nicht weiter in die Höhe treiben, meint Experte Rutherford: "Das Kleingeld, das die Fluggesellschaften derzeit für SAF ausgeben, ist nicht genug, um das Angebot wirklich auszuweiten und echte Märkte aufzubauen. Es geht darum, das Image der Airlines aufzupolieren."
SAF-Produktionskapazität muss sich vervielfachen
Deshalb fordert die IATA Regierungen auf, Anreize zu bieten, um den SAF-Anteil bis 2025 auf zwei Prozent zu bringen. Genau dazu will die EU zivile Fluggesellschaften verpflichten. Die USA plant Steuerabschläge für die Beimischung.
Laut IATA bräuchte es dafür im Jahr 2025 eine Produktionskapazität für fünf Milliarden Liter jährlich. Die Chancen dafür stehen recht gut. Der Marktführer Neste aus Finnland könnte nach Unternehmensangaben die laut IATA 2021 verbrauchte Menge allein liefern. Bis 2023 will Neste 1,9 Milliarden, ab 2026 dann 2,75 Milliarden Liter SAF produzieren können. Der US-Markführer World Energy will seine SAF-Kapazität bis 2024 auf 1,15 Milliarden Liter ausbauen und bis 2026 noch einmal verdoppeln.
Dominierende Technologien recyceln Abfälle
Es gibt eine ganze Reihe zertifizierter Methoden zur Herstellung von SAF. Marktdominierend ist das sogenannte HEFA-Verfahren. Dem US-Produzenten SkyNRG zufolge werden 95 Prozent der Weltproduktion auf diese Weise hergestellt. Anders als etwa bei Bio-Ethanol, zu dessen Herstellung Zucker oder Mais benötigt werden, werden laut Produzenten keine essbaren Ressourcen verwendet. Als Rohstoffe werden demnach Abfälle recycelt: in erster Linie ist das gebrauchtes Frittieröl. Aber auch andere Abfallöle und -fette aus Landwirtschaft, Lebensmittelindustrie und anderen Branchen. Eine Konkurrenz zum Anbau von Lebensmitteln bestünde demnach nicht.
Über den gesamten Lebenszyklus - vom Transport der Ausgangsstoffe bis zu ihrer Verbrennung in den Triebwerken - entstehen nach übereinstimmenden Angaben der Hersteller bis zu 80 Prozent weniger Emissionen als bei fossilem Kerosin. Das Endprodukt ist derzeit für eine Beimischung von bis zu 50 Prozent auf kommerziellen Flügen zugelassen.
Synthese-Treibstoff vor dem Durchbruch?
Für wieviel SAF die weltweit verfügbaren Abfälle reichen, sei schwer zu sagen, heißt es bei Neste. Es sei aber genug verfügbar, um die SAF-Produktion in den kommenden Jahren signifikant zu steigern. Mittelfristig aber, das scheint klar, werden auch andere Ressourcen und damit andere Produktionsmethoden gebraucht, um den weltweiten Bedarf zu decken. Zwei davon sind gerade dabei, den Kinderschuhen zu entwachsen: Synthese- und Solar-Kerosin.
Nachdem im Emsland seit 2021 die weltweit erste industrielle Anlage für Synthese-Kerosin läuft, will der Erbauer Ineratec nun den nächsten Schritt gehen und eine fast 40-mal so potente Anlage bauen: Im Frankfurter Industriepark Höchst will Ineratec ab 2026 rund 4,6 Millionen Liter SAF herstellen - rund vier Prozent des deutschen Kerosin-Bedarfs. Nachhaltiges Synthese-Kerosin wird aus CO2 - etwa aus Biogasanlagen, Abgasen oder der Umgebungsluft - und grünem Wasserstoff zusammengesetzt. Das Problem: Die Herstellung kostet Unmengen erneuerbaren Strom.
Solar-Kerosin und andere Innovationen
Dieses Problem will das Schweizer Unternehmen Synhelion umgehen, indem es SAF direkt mittels Sonnenenergie erzeugt. Dafür wird Sonnenlicht - wie bei einem Solarturmkraftwerk - über eine Vielzahl von Reflektoren gebündelt in die Spitze eines Turms reflektiert. Dort nimmt ein Wärmeträger die Hitze auf und gibt sie an einen Reaktor weiter, der damit aus CO2 und Wasserdampf das gleiche Syngas herstellt, das auch Zwischenprodukt von Synthese-SAF ist. Der übrige Prozess ist dann vergleichbar.
Im September hat Synhelion in Jülich bei Köln mit dem Bau der ersten industriellen Solar-Kerosin-Anlage begonnen. Die Technologie war unter anderem im dortigen Forschungszentrum entwickelt und in Spanien erprobt worden. Nun soll die Technologie bis zur Marktreife optimiert werden. Kommerzielle Anlagen, heißt es bei Synhelion, bräuchten allerdings sonnenreichere Standorte. 2025 will das Unternehmen 500.000 Liter Solar-Kerosin auf den Markt bringen. 2030 sollen es bereits 875 Millionen Liter sein.
Alternative Technologien benötigt
Auch bei Neste schaue man sich bereits nach alternativen Herstellungsverfahren um, teilte das Unternehmen der DW mit. So seien Algen, Siedlungsabfälle und holzige Biomasse mögliche Rohstoffe. Diese Technologien stecken noch in frühen Erforschungsphasen, gelten aber durchaus als vielversprechend. Das US-Energieministerium will errechnet haben, dass aus den Forst- und Agrarabfälle der USA allein jährlich mehr als 60 Milliarden Liter SAF produziert werden könnten.
Das wären immerhin 13 Prozent des weltweiten Bedarfs im Jahr 2050. Den schätzt die IATA nämlich auf 449 Milliarden Liter. Das ist das Hundertfache dessen, was 2025 genutzt werden soll. Man darf also davon ausgehen, dass nicht nur eine Technologie das Rennen macht.