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Saatgut-Bibliotheken für lokale Pflanzenvielfalt

Enrique Gili USA
21. August 2019

Einige hundert Saatgut-Bibliotheken sind bereits in den USA entstanden. Menschen leihen Bücher aus und bekommen Saatgut geschenkt, um zu Hause Obst und Gemüse anzubauen - auch in der Ocean Beach Library in San Diego.

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Eine lächelnde Frau sitzt am Tisch und schaut in die Kamera
Destiny Rivera hat das Saatgut-Projekt in San Diego ins Leben gerufenBild: Enrique Gili

Auf den ersten Blick unterscheidet sich die Ocean Beach Library in San Diego kaum von anderen öffentlichen Bibliotheken: Die Besucher durchkämmen die Regale, sitzen an Tischen und lesen Zeitungen oder nutzen kostenlos den Computer. Doch am Tresen, wo man Bücher ausleiht, gibt es auch Päckchen mit Saatgut.

Es sind dutzende Sorten, die in einem Zettelkatalog alphabetisch nach Namen und Herkunft aufgelistet sind. Seit Frühling 2019 können die Besucher der Bibliothek den Samen mit nach Hause nehmen und aussäen.

Die Hoffnung ist, dass zumindest einige der 150 Mitglieder der Saatgut-Bibliothek im Herbst mit ihrer Ernte und interessanten Geschichten wiederkommen. Wie bei den öffentlichen Bibliotheken geht es darum, etwas zusammen zu nutzen und zu teilen.

500 Saatgut-Bibliotheken weltweit

Für Destiny Rivera war es ganz normal, Bücher und Saatgut anzubieten. Die zurückhaltende Bibliotheksmitarbeiterin und Hobbygärtnerin hat das Projekt ins Leben gerufen. Sie ist auf Hawaii aufgewachsen und hat den grünen Daumen von ihrem Vater geerbt.

Nahaufnahme von Gläsern gefüllt mit Saatgut
Die Saatgut-Bibliothek will ihre Benutzer über die typischen Pflanzen ihrer Region informierenBild: Enrique Gili

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Die Ocean Beach Library ist eine der neuesten Saatgut-Bibliotheken, die seit 2011 eröffnet wurden. Mehr als 500 von ihnen gibt es inzwischen in den Vereinigten Staaten, Europa und anderswo. Die Idee geht zurück auf das sogenannte Seed Library Network, gegründet von einer Gruppe kalifornischer Aktivisten, die für soziale Gerechtigkeit und nachhaltige Ernährung eintreten. Damals veröffentlichten freiwillige Helfer Online-Richtlinien und Informationen, um anderen beim Aufbau einer eigenen Saatgut-Bibliothek zu helfen.

"Die Leute kommen und erzählen, dass sie seit Jahren Samen in ihrer Garage aufbewahren", sagt Rivera und macht deutlich, welche Rolle die Bibliotheksnutzer beim Aufbau des Saatgutbestandes spielen. Die Ocean Beach Library bekam auch Spenden von der Gemeinde, damit sie mit dem Projekt beginnen konnte.

Mehr Kenntnis über die regionale Pflanzenwelt

Das Seed Library Network will die Menschen über die einzigartigen Pflanzenarten und Bodentypen in den Regionen informieren - sei es in den Bergen, an der Küste, in der Wüste, auf dem Land oder in der Stadt. Um den Bedürfnissen der einzelnen Gemeinden gerecht zu werden, ist jede Bibliothek ein bisschen anders.

In Ocean Beach sah Rivera darin eine Möglichkeit, der immer stärker wachsenden Food-Szene in der Küstenstadt etwas neues hinzuzufügen. Einen Bauernmarkt, Gemeinschaftsgärten und eine Lebensmittelkooperative gibt es bereits.

Foto aus den Räumen der Ocean Beach Bibliothek. Ein Katalog steht auf einem Bord
Gemeindemitglieder spenden Saatgut an die BibliothekBild: Enrique Gili

Die Bibliothek arbeitet auch mit erfahrenen Landschaftsgärtnern im Distrikt San Diego zusammen. Gemeinsam haben sie eine Reihe von Workshops entwickelt, in denen Menschen, ganz unabhängig von ihrem Kenntnisstand, lernen, wie sie Saatgut bewahren können und welche Garten-Techniken gut sind.

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Leigh Watson Adams, Landschaftsplanerin und bereits erfahrenes Mitglied der Saatgut-Bibliothek, hat daran teilgenommen, um auch andere Gartenliebhaber kennenzulernen. "Wenn du etwas aus dem Samen wachsen lässt und die Pflanze die ganze Zeit gut pflegst, ist das, als würdest du die Pflanze beim Wachsen anfeuern", sagt Adams.

Nur vier Konzerne beherrschen den Saatgut-Markt

Saatgut zu retten, ist auch ein Mittel, um die Vielfalt von Pflanzen und Lebensmitteln zu erhalten, gerade in Zeiten, wo die vier großen Konzerne Corteva, ChemChina, Bayer und BASF rund 60 Prozent des weltweiten Saatgut-Marktes kontrollieren, sagt der Lebensmittel-Aktivist Nathan Lou, Mitbegründer der gemeinnützigen Organisation Mongol Tribe.

"Eine Möglichkeit, sich von dieser industriellen Agrarproduktion unabhängig zu machen, ist es, eigene Lebensmittel und medizinische Pflanzen anzubauen", sagt Lou.

In Workshops zeigt seine Organisation den Einwohnern von San Diego, wie man gärtnert und Pflanzen züchtet. Mit dabei sind auch Mitglieder der Bibliothek in Ocean Beach. Er hebt hervor, was von Lebensmittel-Aktivisten angenommen und durch Studien der FAO bestätigt wird: Die Kontrolle und Patentierung von Saatgut durch Unternehmen könnte dazu führen, dass die Pflanzenvielfalt immer mehr verloren geht, denn die Konzerne konzentrieren sich auf nur wenige Kulturen wie Weizen und Soja.

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"Saatgut ist eine natürliche Ressource, die allen gehört. Sie sollte nicht von einer Handvoll Unternehmen kontrolliert und manipuliert werden", sagt Lou.

Damit ungewöhnliche Obst- und Gemüsesorten nicht ganz vom Esstisch verschwinden, sollten sie vor allem lokal gepflanzt und geerntet werden. Lou hat ein großes Gartengrundstück im Distrikt San Diego, wo er viele alte Pflanzensorten für seine Familie und Freunde anbaut. Dafür das nötige Saatgut zu haben, ist seiner Meinung nach ein wesentlicher Bestandteil des ganzen Prozesses.

Bibliotheksmitarbeiterin Destiny Rivera steht neben einem Schild des örtlichen Gemeinschaftsgartens
San Diego hat auch einen Bauernmarkt, Gemeinschaftsgärten und eine Food-KooperativeBild: Enrique Gili

Antrieb für die Saatgut-Retter

Im Jahr 2016 haben Nathan Lou oder die Ocean Beach Library Auftrieb bekommen, als der damalige Gouverneur Jerry Brown den sogenannten Seed Democracy and Exchange Act unterzeichnete. Das Gesetz befreit den nichtkommerziellen Saatguthandel von einer Kennzeichnungspflicht und von Prüfauflagen und schließt sich damit Nebraska, Illinois und Minnesota an. Diese Bundesstaaten haben bereits ähnliche Gesetze erlassen.

"Es ist ein wichtiges Gesetz, das den Menschen die Möglichkeit gibt, mit Saatgut zu handeln, ohne dass sie dafür gleich haftbar gemacht werden können oder in einen Rechtsstreit geraten", sagt Lou.

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Rivera fügt hinzu, dass die Saatgut-Bibliothek immer noch im Aufbau ist. Ob das Projekt weitergeht, hängt stark von der Nachbarschaft ab. So braucht es etwa Freiwillige, die dabei helfen, die Saatgut-Päckchen zu sortieren und zu archivieren. Einige hundert wurden bereits als Spende abgegeben.

Auf der Facebook-Seite teilten Nutzer ihre Fotos von alten Tomaten- und Bohnensorten, die sie aus dem Samen gezogen hätten, erzählt die Bibliotheksmitarbeiterin. In Beiträgen und Kommentaren würden Tipps ausgetauscht, wie man neu geernteten Samen am besten lagert - um sie dann in die Bibliothek bringen zu können. "Was mir Hoffnung macht, ist, dass es ein Gemeinschaftsprojekt ist",  sagt Rivera. "Und die Leute wollen mitmachen."