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Kehlmanns "Ruhm"

15. Januar 2009

Ein atemberaubender Mega-Bestseller war Daniel Kehlmann mit seiner "Vermessung der Welt" gelungen. In 40 Sprachen übersetzt, wurde das Buch auch international ein Erfolg. Jetzt legt er nach...

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Porträt Daniel Kehlmann
Erfolgsautor aus Deutschland: Daniel KehlmannBild: picture-alliance/ ZB

Das nennt man wohl Chuzpe. Bei dem so selbstbewussten wie ironischen Titel "Ruhm" denkt natürlich jeder an den Autor selbst. Kelhmanns Roman "Die Vermessung der Welt" über den Naturforscher Alexander von Humboldt und den Mathematiker und Astronomen Carl Friedrich Gauß hat ihn berühmt gemacht - und wohlhabend. Das Buch wurde allein im deutschsprachigen Raum fast anderthalb Millionen mal verkauft. Ähnliche Auflagenhöhen erreichen sonst nur Leichtgewichte wie Ken Follet, Paulo Coelho oder Charlotte Roche mit ihrem Skandalbuch "Feuchtgebiete".

Phantastische Welten im digitalen Zeitalter

schwarz-grünes Buchcover Daniel Kehlmann, Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten

"Ruhm. Ein Roman in neuen Geschichten"nennt der gefeierte Schriftsteller nun seinen ungeduldig erwarteten neuen Roman. Ein witziges, kluges und verrücktes Buch mit überraschenden Pointen ist es geworden, leicht geschrieben, aber keine leichte Kost. Die Geschichten spielen in unserem digitalen Zeitalter und sind auf kunstvolle Weise miteinander verwoben. Das Netz der inneren Bezüge wird von Geschichte zu Geschichte enger. Nach einem fast harmlosen Beginn führt Daniel Kehlmann seine Leser in immer abgedrehtere, phantastische Welten. Aber er erzählt so suggestiv und baut so viel Spannung auf, dass man das Buch gar nicht aus der Hand legen mag.

Die erste Geschichte handelt von einem Computerspezialisten, der auf seinem neuen Handy ständig Anrufe für einen gewissen Ralf bekommt. Nach einiger Zeit beginnt er darauf zu reagieren. Er spielt Ralf, ohne zu wissen, wer dieser überhaupt ist. Mit Konsequenzen für den richtigen Ralf. Aber das erfahren die Leser erst in der vierten Geschichte, dem Herzstücks des Romans:

"Im Frühsommer seines neununddreißigsten Jahres wurde der Schauspieler Ralf Tanner sich selbst unwirklich. Von einem Tag zum nächsten kamen keine Anrufe mehr. Langjährige Freunde verschwanden aus seinem Leben, berufliche Pläne zerschlugen sich grundlos, eine Frau, die er nach seinen Möglichkeiten geliebt hatte, behauptete, dass er sie am Telefon übel verspottet habe, und eine andere, Carla, war in der Lobby eines Hotels aufgetaucht, um ihm die schlimmste Szene seines Lebens zu machen: Dreimal, hatte sie geschrien, habe er sie einfach so versetzt!"

Virtuelle Identitäten

Dieser Ralf Tanner ahnt nicht, dass sich jemand seiner Identität bedient und ihm den Schlamassel eingebrockt hat. Möglich geworden ist das durch die moderne Technologie und die auf Stichworte reduzierte Kommunikation per SMS oder Kurztelefonat. Diese Botschaften suggerieren Nähe und Vertrautheit auch da, wo sie nicht existieren. Wer sagt denn, dass jener, der über sein Mobiltelefon einzelne Worte ausstößt, auch jener ist, der er vorgibt zu sein? Darum geht es in Daniel Kehlmanns neuem Roman. Um die Frage der Identität und Authentizität in einer Welt, in der das virtuelle das reale Leben immer stärker überlagert und bestimmt. Kehlmann inszeniert ein virtuoses Spiel, indem er in jeder der neun Geschichten die Grenze neu verschiebt. Auch die Grenze zwischen Literatur und Fiktion.

Porträt Daniel Kehlmann mit Notebook im Hintergrund
Star-Autor der Generation Notebook: Daniel KehlmannBild: DW-TV
Denn im Mittelpunkt der neun Geschichten steht der Schriftsteller Leo Richter, wohl auch ein ironisches Selbstporträt Daniel Kehlmanns: "Der Autor vertrackter Kurzgeschichten voller Spiegelungen und unerwartbarer Volten von einer leicht sterilen Brillanz", heißt es im Buch.


Er arbeitet an einem Roman ohne Hauptfigur, vermutlich also an dem Buch, das der Leser liest. Auf der Suche nach brauchbaren Fundstücken, seien es nun Menschen oder Ereignisse, durchforstet er die Realität. Andererseits sieht er sich damit konfrontiert, dass einige seiner Figuren ein Eigenleben zu führen beginnen. So wie die alte, krebskranke Rosalie, die sich auf dem Weg in ein Schweizer Sterbehilfezentrum beim Autor über ihr Schicksal beklagt. Oder Elisabeth, die Freundin Leo Richters, die auf keinen Fall zu einer Figur werden will, aber am Ende nicht weiß, ob das, was sie erlebt, nicht doch alles nur Fiktion ist.

Daniel Kehlmanns inszeniert ein grandioses Verwirrspiel, indem er zwischen realer, fiktiver und virtueller Welt hin und her switcht, so dass schließlich alle die Orientierung verlieren. Auch die Leser. Denn darin besteht ja gerade das Geheimnis der Literatur. Sie lässt uns Figuren so wahrhaftig erleben, als würden sie tatsächlich existieren. "Ruhm" ist ein kluges und aufregendes Buch, das lange nachklingt und viele Diskussionen auslösen wird.

Daniel Kehlmann: Ruhm. Ein Roman in neun Geschichten. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg. 203 Seiten. 18.90 Euro

Heide Soltau / Ba