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Glaube

Ruhemodus

23. Juli 2022

Der Sommer ist da, die Urlaubszeit in vollem Gange. Doch sind Erholung und Ruhe nur für diese kurze Auszeit zwischen vollgepackten Alltagseinheiten bestimmt?

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‚Kunstfoto‘ Unsplash
Bild: Craig Ren

Es ist zwar schade, doch ich befürchte, dass ich von vielen Menschen als durchaus gestresster und umtriebiger Typ wahrgenommen werde. Ich muss auch kein großer Prophet sein, um wahrzunehmen, dass es nicht nur mir, sondern vielen so geht. Ganz offensichtlich lebe ich in einer Gesellschaft, in der viel zu tun zu haben, einen gewissen Status markiert. Beschäftigt sein zeigt den anderen, dass ich mit Plänen, Zielen und Vorhaben unterwegs bin. Ausruhen wird in solch einem Umfeld zum Synonym für Faulenzen. Ruhe wird schnell mit Passivität und Phlegma gleichgesetzt.

Ich habe es so oft beobachtet, dass sich das Muster schier aufdrängt. Jemand schreibt auf einem Social Media Kanal: „Nach einem schrecklich vollen Frühjahr geht’s auf in den Urlaub. Eine Woche Auszeit, dann bin ich wieder auf der Höhe.“ Und wir anderen posten umgehend: „Super Idee! Du hast es dir verdient!“ Damit man mit neuer Tatkraft wieder zurückgekehrt, nur um nach einer Woche festzustellen, dass ich an dem gleichen Punkt angekommen bin wie vor dem Urlaub.

In so einer Gesellschaft ist Ruhe Mangelware geworden und dabei kann das ziemlich gefährliche Konsequenzen haben. Eine zum Beispiel ist, dass es vor allen Dingen an unserer Empathie gräbt. Ich kann mich nur begrenzt emotional in verschiedenen Dingen engagieren. Irgendwann ist mein emotionales Kapital und sind meine emotionalen Fähigkeiten aufgebraucht. Wenn dann Dinge an mich herangetragen werden, kann ich nur noch mit Ablehnung und Abriegelung reagieren oder schlimmstenfalls mit Gleichgültigkeit. Vor allem schaffen wir es nicht, darüber nachzudenken, wer wir eigentlich sein wollen. Schon Bernhard von Clairvaux (1091-1153) wusste:

           Gönne dich dir selbst!
            Wenn du dein ganzes Leben und Erleben 
            völlig ins Tätigsein verlegst 
            und keinen Raum mehr für Besinnung vorsiehst, 
            soll ich dich da loben?
            Wie kannst du voll und echt Mensch sein, 
            wenn du dich selbst verloren hast?
            (...) Denk also daran: Gönne dich dir selbst.

Die Ruhe ist keine Belohnung, nichts, das man sich verdienen muss. Sie ist eine Pflicht, eine so unumgängliche, dass man klug ist, wenn man ihr einen kompletten Wochentag widmet. Dementsprechend ist sie bereits in der Schöpfung verankert: Am sechsten Tag, als alles andere geschaffen war, rief Gott den Menschen ins Leben. Er machte mit ihnen einen Rundgang durch das erbaute Paradies und nannte einige Spielregeln. Er zeigte alles, was ihnen zur Verfügung stand und woran sie in der kommenden Zeit Hand anlegen durften. Als Gott die Runde vollendet hatte, blieb das entscheidende und bis heute gültige Schlusswort: ‚Morgen ist übrigens Feiertag. Morgen ruht ihr euch aus. Morgen habt ihr gar nichts zu tun.‘ Das sagte Gott zu zwei Wesen, die bis dahin noch keinen Finger gerührt hatten. Sie waren gerade erst angekommen. Verschlafen, splitternackt und nigelnagelneu standen sie da. Und das Erste, was sie „tun“ sollten, war: ruhen.  

Die Ruhe ist der Höhepunkt der Schöpfung. Die Schöpfung war nicht vollständig, bevor da nicht die Ruhe war. Der Erste, der diesen gesegneten Zustand erreichte, war der Schöpfer selbst. Es wurde das großartige Finale der Schöpfungswoche. Die mittelalterlichen jüdischen Theologen nannten den Sabbat deshalb die Krone der Schöpfung.

Der Gedanke, dass Gott nach sechs Schöpfungstagen ruhte, hat im Lauf der Geschichte viele Fragen aufgeworfen: Brauchte er Ruhe? Kann Gott müde werden? Und nicht zuletzt: Was tat Gott, als er ruhte?

Die jüdische Antwort auf die Frage, warum Gott ruhte, heißt: Weil er den Sabbat schaffen wollte. Und was tat Gott an diesem siebten Tag? Die jüdischen Lehrer sind um keine Antwort verlegen: Er schuf menuah – die Ruhe.

Das Wort, dass das Alte Testament dafür verwendet, hat im Deutschen viele Nuancen. Es bedeutet: Klarheit, Gelassenheit, Frieden. Alles erstrebenswerte Dinge und alles notwendige Grundlagen, damit die Arbeit, die wir anpacken und die uns wichtig ist, am Ende wirklich auf Erfolg und auf ein gutes Gelingen angelegt ist.

Die Ruhe ist nicht der letzte Seufzer der Ermattung, sondern ein Offenwerden für neue Anfänge: In der Liebe, in der Arbeit, in kreativen Prozessen, im Werden des Menschen. Ruhen bedeutet, sich umgestalten zu lassen. Körperlich passiert das, indem wir schlafen und seelisch, indem wir uns zurückziehen. Es ist klug, die Ruhe an die Stelle zu setzen, die ihr zugedacht ist: an die erste Stelle. Wir entscheiden uns für das Nichtstun und lassen das, was dann geschieht, mit uns geschehen.

 

 

Pfarrer Christian Olding
Bild: Fabian Vogl

Christian Olding, Pfarrer in Geldern und Leiter des Projektes ‚Vision von Hoffnung‘.

www.VisionVonHoffnung.de