Richard Wagner und Bad Lauchstädt
24. Januar 2013Richard Wagner wollte gleich wieder weg. Nicht, weil er hier schon zwei Tage später Mozarts "Don Giovanni" dirigieren sollte - ohne Probe, sondern wegen des Direktors der Magdeburger Theatergesellschaft. Der hieß Heinrich Bethmann, war 61 Jahre alt und, wie Wagner später schrieb, "auf das tiefste heruntergekommen“. Stoppelbärtig soll Bethmann gewesen sein, dem Alkohol zugeneigt und ohne rechten Sinn für die üblichen Umgangsformen.
Ende Juli 1834 gastierte dieser Mann mit seinem Ensemble in Bad Lauchstädt, einem Städtchen südlich von Halle, und suchte dringend einen Musikdirektor. Angeboten wurde die Stelle auch dem erst 21-jährigen Richard Wagner. Der hatte schließlich schon mit Aufführungen eigener Kompositionen auf sich aufmerksam gemacht. Und Wagner, gerade ohne feste Verpflichtung, hatte sogleich zugegriffen. Er war in die nächste Postkutsche gesprungen, aber nun von seinem möglichen Vorgesetzten tief enttäuscht. Eine Nacht wollte er bleiben und dann wieder abreisen.
Liebe auf den ersten Blick
Daraus wurde freilich nichts. Denn vor der Tür des Hauses, in dem Wagner für diese eine Nacht Quartier zu beziehen gedachte, trat ihm "die Verheißung" in Gestalt der anmutigen jungen Schauspielerin Minna Planer entgegen. Um Wagner war's geschehen. Er blieb, dirigierte den "Don Giovanni", führte Regie bei Johann Nepomuks Posse "Lumpazivagabundus" mit der herausragenden Minna als Fee Amorosa und ehelichte die junge Dame anderthalb Jahre später, am 24. November 1836.
Heute erinnert eine Tafel an der Fassade des Häuschens in der Goethestraße an die verliebten Sommergäste aus dem Jahre 1834. Man kann sich unschwer vorstellen, wie Minna damals in ihren Schnürstiefelchen zum Theater geeilt ist. Denn in Bad Lauchstädt hat sich seitdem nur wenig verändert. Eine typische Ackerbürgerstadt des ausgehenden 18. Jahrhunderts kann man hier besichtigen, mit kopfsteingepflasterten Gehwegen und Straßen, geduckten Wohnhäusern, mit einem Marktplatz, der alten Stadtpfarrkirche und - besonders schön - dem Schloss, weitläufigen Kuranlagen sowie dem von Johann Wolfgang von Goethe errichteten und nach ihm benannten Sommertheater.
Was für ein Theater!
Dieser prunklose Bau hat Richard Wagner, der das überladene höfische Theater seiner Zeit verachtete, begeistert. Er habe, sagt René Schmidt, der Geschäftsführer der "Historischen Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt GmbH", ganz sicher den Hauch einer Erinnerung an dieses Gebäude gehabt, als Jahrzehnte später das Bayreuther Festspielhaus geplant wurde. Dafür spreche die Wiederholung der eingezogenen Decke aus Zeltleinwand, aber auch die halbkreisförmige Rückfront mit den Logen erinnere "doch sehr stark an dieses Urbild des bürgerlichen Theaters in Deutschland, das wir hier in Lauchstädt haben". In einer heute etwas verschlafenen Provinzstadt, die es vor mehr als 200 Jahren zu einiger Berühmtheit gebracht hatte.
Die historischen Kuranlagen in Bad Lauchstädt gehören zu den ältesten Kultureinrichtungen Deutschlands, erzählt René Schmidt. Bereits im Mittelalter hätten die Bischöfe aus dem nahe gelegenen Merseburg hier den Sommer verbracht. Und später schätzte auch der Adel den Charme des Örtchens. Dessen steiler Aufstieg begann dann zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Damals wurde zufällig eine Heilquelle entdeckt. Ein geschäftstüchtiger Herzog ließ Badeanlagen mit Festsaal, Kurhaus und Lusthäuschen errichten und Gärten und Alleen anlegen. Alsbald gab sich die feine Gesellschaft in Bad Lauchstädt ein munteres Stelldichein.
Stadt mit Geschichte
Für das Vergnügen der Kurgäste sorgten Theateraufführungen - zunächst wurde recht provisorisch in den im Sommer leer stehenden Scheunen der Bauern gespielt, dann in einem "breternen Komödienhaus“. Im Juni des Jahres 1791 debütierte das Weimarer Hoftheater in Bad Lauchstädt. Dessen Direktor war kein Geringerer als Goethe. Man zeigte Lessings "Minna von Barnhelm", Schillers "Räuber" und Mozarts "Zauberflöte" und sorgte für einen nie dagewesenen Zustrom des Publikums. Die Studenten aus dem einige Kilometer entfernten Halle sollen selbst den langen Fußmarsch nicht gescheut haben. 40 Lauchstädter Sommeraufführungen brachten den Theaterleuten schließlich ebenso viel Geld in die Kasse wie 100 Vorstellungen in Weimar. Worauf der Geheimrat Goethe sich für den Bau eines "schicklicheren Schauspielhauses" stark machte, das nach kurzer Bauzeit im Juni 1802 mit der Aufführung einer Mozart-Oper glanzvoll eröffnet wurde.
Als Richard Wagner 1834 nach Bad Lauchstädt kam, hatte der Ort seine beste Zeit bereits hinter sich. Das Kurbad hatte an Anziehungskraft verloren. Und im Theater erinnerte man sich mit einer gewissen Wehmut an die Geschichte gewordenen Gastspiele der Weimarer Schauspieltruppe und ihres Chefs Johann Wolfgang von Goethe, der stets in Loge fünf gesessen hatte - mit bestem Blick auf Bühne und Zuschauerraum. Wagners Gastspiel in dem kleinen Ort endete ganz regulär und recht unspektakulär nach wenigen Wochen - am 12. August 1834. Aber er hat allerlei mitgenommen: neue Erfahrungen, seine Liebe Minna Planer und die Idee, wie das ideale Theater aussehen könnte!
Gelebte Tradition
Das Lauchstädter Goethe-Theater hat die wechselvolle Geschichte der letzten beiden Jahrhunderte erstaunlich unbeschadet überstanden. Nach wie vor bewegen mächtige Walzen und Seile in der Unterbühne Kulisse und Vorhang, immer noch sitzt man auf gepolsterten Bänken (heute freilich mit Rückenlehne). Und nach wie vor werden geladene Gastspiele nur am Wochenende und nur am Nachmittag aufgeführt. So kann das Publikum auch aus Leipzig und Halle anreisen und sich wie einst die Herrschaften Goethe, Schiller und Wagner anschließend in den spätbarocken Räumlichkeiten der "Lauchstädter Gaststuben" stärken. Oder durch den Kurpark spazieren, zum Schloss und den verwunschenen Wohnhäusern von Goethe, Minna Planer und Richard Wagner.