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Reporter-Tagebuch: "Wohnen in Mexiko-City? Leben im Auto"

25. Februar 2010

Unser Reporter Christoph Kober hatte bei jeder Fahrt viel Zeit zum Schreiben.

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PKW an einer Ampel (Foto: DW / Christoph Kober)
Heiße Reifen - In Mexiko City sind immer viele Autos unterwegsBild: Christoph Kober
Dichter Verkehr an einer Kreuzung (Foto: DW / Christoph Kober)
Verkehrschaos - Selbst kurze Wege werden langBild: Christoph Kober

Das ist gar kein Problem, sagt mir mein Kameramann Gaetan. Er wisse genau, wo wir da hin müssen. Ich brauche noch Bilder vom Stadtrand Mexiko-Citys, dort, wo diese Megacity anscheinend ungebremst über die Hügelketten des Umlands weiterwuchert. Von einer Brücke über die Schnellstraße wollen wir filmen. Sie ist nicht weit vom Hotel entfernt, vielleicht 15 Kilometer. Morgens um 9 Uhr fahren wir los. Die Sonne scheint, wir sind gut gelaunt.

Zwanzig Minuten später hat die Stimmung merklich gelitten...

...Wenn ich mich umdrehe, kann ich durch die Heckscheibe das Hotel sehen. Und nicht nur das. Ich muss mich nicht einmal anstrengen, um die Knöpfe an der Jacke des Pagen vor der Tür zählen zu können. Wir kommen nicht voran, der mexikanische Verkehr ist gegen uns - Stau, mal wieder.

Mittelstreifen, linbks Stau, rechts weniger Verkehr (Foto: DW / Christoph Kober)
Ruhe bewahren - Die Einwohner von Mexiko City leben mit dem VerkehrBild: Christoph Kober

An den Tagen zuvor hatte ich bereits einen Eindruck bekommen, was es heißt in Mexiko-Stadt mit dem Auto unterwegs zu sein: Die Fahrt zieht sich wie ein Kaugummi. Aber immerhin, es ging immer langsam weiter.

Heute nicht, wir stehen. Seit über einer Stunde schon. Auf der Insurgentes Sur, einer der längsten Straßen Mexiko-Citys - sie führt von Süden nach Norden durch die ganze Stadt. Wenigstens das Hotel ist mittlerweile außer Sichtweite. "Manche Leute verbringen zwei Stunden im Auto, nur um zur Arbeit zu kommen", sagt mir Gaetan, "manchmal sogar noch mehr". Solche Fakten helfen nicht, die Stimmung im Wagen zu heben.

Knapp sechs Millionen Autos soll es in Mexiko-Stadt geben. "Und die scheinen heute alle hier unterwegs zu sein", denke ich mir beim Blick aus dem Seitenfenster. Sechs Millionen Autos - das wäre ungefähr so, als ob zu Hause in Berlin jeder Einwohner der Stadt zweifach in Wagen unterwegs wäre. Beunruhigend. Vor mehr als anderthalb Stunden sind wir losgefahren. Wobei der Begriff "Fahren" das, was wir hier machen, nicht wirklich trifft.

Und unser Fahrer Maurizio, ist der noch wach?

Die Sonne brennt auf unser Auto. Ich höre leises Schnarchen und schaue rüber zu Gaetan. Er wohnt seit zehn Jahren hier und hat offenbar gelernt, die Pausen sinnvoll zu nutzen, die die Megacity ihren 25 Millionen Einwohnern mitunter aufzwingt. Auch der Ton-Ingenieur auf dem Beifahrersitz hat schon auffällig lange nichts mehr gesagt. Und unser Fahrer Maurizio, ist der noch wach? Da, der Wagen bewegt sich zehn Zentimeter. Also keine Sorge um Maurizio.

Ein weißer VW Käfer im dichten Verkehr (Foto: DW / Christoph Kober)
Lückenspringer - Wer schneller sein will, muss riskant fahrenBild: Christoph Kober

Dann, ein Hoffnungszeichen. Ein Schild fordert zum Abbiegen auf die Schnellstraße auf. Ich bin naiv und glaube, dass es dort flüssiger vorangeht. Seit zwei Stunden sind wir unterwegs. Und ja, ich bin naiv.

Eine weitere endlos scheinende halbe Stunde später erreichen wir die Brücke. Unser Drehort, endlich. Wir packen aus, stellen uns auf, nach zehn Minuten ist alles vorbei. Kamera und Stativ verschwinden wieder im Kofferraum.

Natürlich ist es aufwändig, einen Fernsehbeitrag zu produzieren, das weiß ich. Aber 150 quälende Minuten Anreise für ein paar Minuten Filmmaterial? Ich schüttele den Kopf. Neben mir rauscht der Vekehr in Richtung Stadt.

"Das schaffen wir schon."

Wir haben noch einen Termin beim Energieministerium. Und mir wurde gesagt, die Herrschaften dort seien recht penibel, was vereinbarte Uhrzeiten angeht. Noch 90 Minuten bis zur Verabredung - das wird eng. Ich frage Maurizio ob die Strecke in dieser Zeit machbar ist. Nicht, dass er irgendetwas an der Anzahl der Autos ändern könnte. Aber er kennt sich aus, versuche ich mir einzureden, er wird's schon wissen.

"Nein, nein", versucht mich Maurizio zu beruhigen, "das schaffen wir schon." Er setzt den Blinker und quetscht unseren Wagen zurück in den Verkehr, in eine Lücke, die er erahnt haben muss - gesehen hab ich sie nicht. "Das schaffen wir schon." Richtig zuversichtlich hat Maurizio bei diesen Worten nicht ausgesehen.

Autor: Christoph Kober

Redaktion: Klaus Esterluß