Regierungspartei in Georgien vor Wahlsieg
1. November 2020Die zentrale Wahlkommission in Tiflis teilte nach Auszählung fast aller Stimmen mit, die Regierungspartei "Georgischer Traum" komme auf rund 48 Prozent der Wählerstimmen. Die größte Oppositionspartei, die "Vereinte Nationale Bewegung", erreichte demnach knapp 27 Prozent. Die Wahlbeteiligung lag der Wahlkommission zufolge bei gut 56 Prozent.
Opposition geht von Wahlfälschung aus
Die "Vereinte Nationale Bewegung" erklärte umgehend, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen und forderte Neuwahlen. Sie spricht von "massiv gefälschten" Zahlen und ruft die Georgier für Sonntagnachmittag zu Protesten auf. Nika Melia von der "Vereinten Nationalen Bewegung" findet drastische Worte: "Es war keine Wahl, es war ein Krieg, und wir haben den Krieg nicht verloren." Die Oppositionspolitikerin Chatia Dekanoidse erklärte: "Wir werden diese Wahl nicht als legitim ansehen, bis Neuwahlen angesetzt werden." Misstrauisch machte die Opposition, dass in der Nacht von der Wahlkommission keine ersten Auszählungsergebnisse bekannt gegeben wurden.
Schon kurz nach Schließung der Wahllokale am Samstagabend reklamierten beide politischen Lager den Wahlsieg für sich. Der Chef der Regierungspartei, der Multimilliardär Bidsina Iwanischwili, sagte georgischen Medien zufolge, seine Partei habe "die Wahlen zum dritten Mal in Folge gewonnen". Der "Georgische Traum" war bereits aus den Abstimmungen in den Jahren 2012 und 2016 als Sieger hervorgegangen.
Dagegen sprach der in seiner Heimat per Haftbefehl gesuchte Ex-Präsident Michail Saakaschwili von einem Triumph der Opposition. Die Oppositionsparteien müssten "nun eine Regierung der nationalen Einheit bilden". Sonst "verlieren wir das Land", warnte er aus dem Exil. Eigene politische Ambitionen habe er nicht: "Mich interessiert kein einziges Amt, das Amt des Ministerpräsidenten Georgiens eingeschlossen."
Iwanischwili und Saakaschwili dominieren seit Jahrzehnten die Politik des in die Europäische Union und die NATO strebenden Landes. Der in der Ukraine lebende Saakaschwili war von 2004 bis 2013 Präsident Georgiens gewesen. Nach seiner Abwahl wurde er zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Amtsmissbrauchs verurteilt - in Abwesenheit, weil er aus der Ex-Sowjetrepublik geflohen war. Iwanischwili steht in der Kritik, Korruption zu begünstigen. Seine Partei will Georgien weiter an die EU annähern. Das Verhältnis zu Russland gilt als zerrüttet. Beide Länder pflegen keine diplomatischen Beziehungen.
Mehr als 3,5 Millionen Menschen waren zu der Abstimmung aufgerufen. 48 Parteien und zwei Wahlblöcke waren angetreten. Den vorläufigen Ergebnissen zufolge gelang es neben den beiden großen Parteien mehreren kleineren Oppositionsgruppierungen, die Ein-Prozent-Hürde zu überwinden und Sitze im Parlament zu gewinnen. Die meisten von ihnen kamen aber nicht über drei Prozent der Wählerstimmen hinaus.
OSZE: keine groben Verstöße
Abgestimmt wurde nach einem neuen Wahlsystem. 120 Abgeordnete wurden demnach per Verhältniswahlrecht gewählt. Die anderen wurden in den jeweiligen Wahlkreisen nach dem Prinzip der Mehrheitswahl bestimmt. Sollte die erforderliche Mehrheit hierbei nicht erreicht werden, gibt es eine zweite Runde. Das alte Wahlsystem galt als kompliziert.
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bewertete die Wahl grundsätzlich als frei. Allerdings habe es auch Unregelmäßigkeiten und Druck auf die Wähler gegeben.
qu/se (dpa, rtr, afp)