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Rechte Desinformation gegen Transmenschen in Deutschland

Helen Whittle
11. Februar 2024

Mit Hassreden machen rechte Gruppen Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz für eine leichtere Änderung des Geschlechtseintrags. Ganz vorne dabei: die AfD.

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"Transrechte sind Menschenrechte" - Mensch hält Plakat mit dieser Botschaft hoch
"Transrechte sind Menschenrechte" - Plakat auf dem Christopher Street Day in Köln Bild: Guido Schiefer/IMAGO

"Wir wollen einfach einer kleinen Gruppe, für die es eine große Bedeutung hat, das Leben ein bisschen leichter machen", sagt FDP-Justizminister Marco Buschmann zum von der Regierung aus SPD, Grünen und FDP geplanten Selbstbestimmungsgesetz. Das Gesetz, das Transgendern, Intersexuellen und nicht-binären Menschen die rechtliche Änderung ihres Geschlechts erleichtern würde, führt in Deutschland jedoch zu hitzigen Debatten. Angeheizt durch Hassreden und Desinformation von konservativen bis hin zu rechtsextremen Gruppen, die das Thema für ihre eigene Agenda nutzen wollen.

"Unter der jetzigen Regierung gibt es kein Geld für Rentner, Schulen und die Bahn. Aber sie wollen jetzt flächendeckend Beratungsstellen für alle einführen, die nicht wissen, ob sie männlich oder weiblich sind", sagte die stellvertretende Vorsitzende der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland (AfD), Beatrix von Storch, im November letzten Jahres im Deutschen Bundestag.

Solche Angriffe seien "bewusste strategische Entscheidungen" der extremen Rechten, sagt Sascha Krahnke, Experte für Transphobie und die extreme Rechte bei der Amadeu-Antonio-Stiftung in Berlin, die sich gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus einsetzt. Rechtsextreme Akteure in Deutschland und im Ausland, insbesondere in den USA, suchten nach neuen Desinformationsnarrativen, die sie gegen Transpersonen einsetzten.

"Das ist nichts Neues. Das hatten wir schon als Reaktion auf die Schwulenrechtsbewegung", sagt Krahnke gegenüber der DW. "Das sind alles Mechanismen, die schon immer auf bestimmte Gruppen und Gemeinschaften eingewirkt haben. Man kann sehen, dass sie dazu dienen, Menschen zu mobilisieren, Angst zu erzeugen und Themen zu politisieren, ohne dass es tatsächlich um diese Gruppen geht."

Transmenschen neuestes Ziel von Fehlinformationen

"Wir haben mit der Ehe für alle und dem schwul-lesbischen Leben im Allgemeinen ein gewisses Maß an Emanzipation erreicht, diese Themen radikalisieren nicht mehr. Also wird jetzt eine noch kleinere Gemeinschaft angegriffen, deren Solidarität leichter aufgegeben werden kann", so Krahnke weiter. "Letztlich heißt es: 'Wenn ihr dieser Gruppe mehr Rechte einräumt, geht das auf Kosten derjenigen, die bereits für ihre Rechte gekämpft haben, zum Beispiel Frauen und Menschen, die von Rassismus betroffen sind'."

Nyke Slawik: "Wir können auch zu Handelnden werden"

Die Europäische Union hat am 23. Januar ihren jährlichen Desinformationsbericht veröffentlicht. Die Forscher fanden heraus, dass LGBTQ-Organisationen stark ins Visier genommen wurden. EU-Chefdiplomat Josep Borrell nannte dies eine neue Art der "Kriegsführung", bei der keine Bomben verwendet werden, sondern ein "Gift, das sich in den Köpfen festsetzen kann". Auch eine Analyse der Europäischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (EDMO) aus dem Jahr 2023 ergab, dass Fehlinformationen und Desinformationen, die auf die LGBTQ-Gemeinschaft abzielen, zu den "präsentesten und konsequentesten in der Europäischen Union" gehören.

Ein kürzlich veröffentlichtes Briefing an das Europäische Parlament warnte auch davor, dass LGBTQ-Menschen in der Europäischen Union von ausländischen Akteuren - allen voran der russischen Regierung - als Ziel von Desinformation ausgewählt werden, um Uneinigkeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten zu säen. Das Problem wird laut Krahnke auch deswegen immer schlimmer, weil Hassreden und Desinformationsberichte in den sozialen Medien auch zunehmend von den Leitmedien aufgegriffen würden, um dieses Thema zu bedienen.

Anti-Trans-Narrative als Bestandteil rechtsextremer Ideologie in Sachsen

Das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) für Demokratieforschung in Sachsen hat zusammen mit der Amadeu-Antonio-Stiftung rechte Telegram-Kanäle und -Gruppen in dem ostdeutschen Bundesland analysiert. Dabei wurde festgestellt, dass Debatten über das Selbstbestimmungsgesetz "von Queer- und Transfeindlichkeit geprägt sind" und diese in Telegram-Gruppen und -Kanälen nach der Bekanntgabe der Pläne für das Gesetz im Juni 2022 deutlich an Fahrt gewannen.

Transmenschen wurden in Chat-Gruppen als "hybride Wesen", "krank" und "degeneriert" bezeichnet, was, so die Autoren, "neonazistische und rassistische Sehnsüchte nach einem reinen, (sexuell) eindeutigen und gesunden (Menschen-)Körper" offenbart. Die Vorstellung von "Mischwesen" zieht sich auch als roter Faden durch die antisemitische Propaganda.

Die AfD in Sachsen liegt in den Umfragen bei über 30 Prozent und gilt als einer der radikalsten Landesverbände der Partei in. Der sächsische Verfassungsschutz hat ihn im Dezember 2023 als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Laut der Behörde ist die LGBTQ-Feindlichkeit ein grundlegender Bestandteil rechtsextremer Ideologie und Agitation. Moderne Geschlechterverständnisse und Familienmodelle werden abgelehnt, weil sie nicht in ein "rassistisch und nationalistisch geprägtes Weltbild" passten.

Zahl der Delikte gegenüber Transpersonen steigt

"Es wird behauptet, Transmenschen seien eine Bedrohung. Für Frauen und Kinder, aber auch für die gesamte Gesellschaft. Radikale rechte Gruppen können sich in diesem Zusammenhang als Beschützer aufspielen", sagt Gabriel Nox Koenig, Sprecher des Bundesverbandes Trans* e.V., gegenüber der DW.

Wie Berlin zur Heimat für trans*Personen wurde

Gender-Themen würden von rechten Gruppen immer wieder aufgegriffen, weil sie auch in der politischen Mitte Anklang fänden, so Koenig. "Aktuell diskutieren wir viel darüber, ob Transpersonen Menschenrechte haben, nicht, wie diese Rechte umgesetzt werden können. Diese Perspektive unterstellt, dass nicht allen Personengruppen Menschenrechte gewährt werden sollten."

Die Zahl der gemeldeten Anti-Queer- und Anti-Trans-Delikte im Bereich "geschlechtliche/sexuelle Identität" stieg nach Angaben des Bundesinnenministeriums von 340 im Jahr 2021 auf 417 im Jahr 2022. Da viele Trans- und nicht-binäre Menschen solche Vorfälle aus Angst vor Diskriminierung nicht den staatlichen Behörden melden, schätzt der Bundesverband Trans* e.V., dass die tatsächlichen Zahlen viel höher liegen könnten.

Angesichts der hohen Umfragewerte für die AfD warnt Gabriel Nox Koenig vor den Folgen nicht nur für Trans- und nicht-binäre Menschen, sondern auch für andere marginalisierte Gruppen. "Alle Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten gegen Diskriminierungsformen wie Sexismus, Homophobie, Transphobie oder Rassismus hart erkämpft wurden, würden von der AfD rückgängig gemacht, entsprechende Gesetze abgeschafft. Die Situation für alle Gruppen, die diskriminiert werden, würde sich deutlich verschlechtern."