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Politik

Raab: Versöhnung durch Begegnung

Srecko Matic
6. September 2019

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit und offene Grenzen - Staatssekretärin Heike Raab spricht im DW-Interview über die Prioritäten der deutschen Europapolitik.

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Deutschland Heike Raab
Heike Raab: Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund für Europa, Medien und DigitalesBild: DW

DW: Frau Raab, für ein Jahr werden Sie nun die Europapolitik der Länder koordinieren. Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen, was für Projekte sind konkret geplant?

Heike Raab: Ich freue mich total. Das ist ein ganz spannendes Jahr für Rheinland-Pfalz. Man darf immer ein Jahr lang den Vorsitz in der Europa-Minister-Konferenz haben. Das geht dann von Juni bis Juni. Und das ist eine Zeit, in der wir uns jetzt auch darauf vorbereiten, dass Deutschland im nächsten Jahr, im zweiten Halbjahr, die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen wird. Wir haben viele Berührungspunkte mit Europa. Erstens ist da die deutsche Ratspräsidentschaft, zweitens geht es ums liebe Geld. Der mittelfristige Finanzrahmen, das ist ja der Haushalt von Europa. Und dann gibt es auch andere Themen: die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in meinem Bundesland Rheinland-Pfalz, das grenzt ja an Frankreich, an Luxemburg und Belgien. Und wir leben dieses europäische Miteinander der offenen Grenzen, Schengen, der gemeinsamen Ausbildung, bilingual, dass man mehr als eine Sprache spricht, das leben wir ja im Alltag. Und das wollen wir als ein gutes gelebtes Stück Europa auch in den Mittelpunkt stellen.

Sie wollen also die Europäer für Europa begeistern?

Ein Thema, das über allem steht, ist für mich Europa-Bildung, Europa-Öffentlichkeitsarbeit. Wir können ja nicht nur vor Europawahlen gut über Europa reden, sondern wir müssen junge Menschen heranbilden. Wir haben Europa-Schulen, aber wir wollen ein ganz großes Netzwerk der Europa-Bildung. Was ist die Zukunft Europas? Wie kann man sie mitgestalten, wie kann man sich selber einbringen? Das wollen wir in den Mittelpunkt stellen.

Das klingt gut, aber was hat das Ganze mit dem alltäglichen Leben der EU-Bürger zu tun? Die Skeptiker sagen, die EU tut doch gar nichts für mich…

Ja aber es kommt ganz viel auf Begegnung an und wir haben jetzt in Rheinland-Pfalz schon 64 Europa-Schulen, deutschlandweit sind es viel, viel mehr. Das sind Schulen, die sich ganz besonders mit dem Thema Europa beschäftigen. Was tut Europa für jeden Bürger? Oft sagen Bürgerinnen und Bürger, ach die da in Brüssel, was haben die schon mit meinem Leben zu tun? Aber die haben sehr viel mit dem Leben zu tun, nicht nur wenn man ein Erasmus-Stipendium hat, sondern wenn man tagtäglich beispielsweise nach Luxemburg zur Arbeit pendelt und man hat keine Grenzkontrolle, wie wir sie jetzt zwischen Bayern und Österreich beispielsweise haben, wenn man aus dem Sommerurlaub kommt, dann steht man auch mal zwei Stunden auf der Autobahn, weil eine Grenzkontrolle stattfindet. Das behindert uns natürlich. Offene Grenzen sind entscheidend.

"Wir müssen junge Menschen für Europa heranbilden"

Stichwort Brexit…

Wir sehen die Diskussionen um den Brexit, das wird ganz konkrete Auswirkungen auf eine exportorientierte Nation wie Deutschland, auf die Bundesländer haben. Wir in Rheinland-Pfalz haben den Wein, den exportieren wir selbstverständlich auch nach Großbritannien. Das wird jetzt deutlich schwieriger - Einfuhrbestimmungen, Zollbeschränkungen. Und wenn wir das sehen, wollen wir das auch deutlich machen. Aber entscheidend ist auch die Säule der sozialen Rechte Europas. Gerade junge Menschen fühlen sich oft abgehängt. Wir haben eine hohe Jugendarbeitslosigkeit, leider besonders hoch in den südeuropäischen Ländern. Einige machen eine Ausbildung auch in Deutschland. Da wollen wir mit dazu beitragen. Deutschland kann ja ein Erfolgsmodell für junge Leute vorweisen - nämlich die duale Ausbildung oder das duale Studium. Und wir wollen diesen Exportschlager auch gerne nach außen tragen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Wir tun das zum Beispiel, indem Frankreich und Rheinland-Pfalz sehr viele Ausbildungsgänge gemeinsam angehen. Dass ein französischer Jugendlicher aus Lothringen in Rheinland-Pfalz die Ausbildung macht, das gibt es ganz oft. Neben all dem geht es aber auch darum, dass wir Leute haben, die im Ehrenamt europapolitisch aktiv sind, nicht nur in Pulse of Europe. Wir haben Ehrenämtler von der Europa-Union. Die gehen auch in die außerschulische Jugendarbeit. Wir werden dieses Jahr in Berlin beim Tag der offenen Tür am 3. Oktober auch alle Menschen wieder mit Europa konfrontieren, mit dem Quiz, mit Angeboten... Mein Wunsch: Europa soll von montags bis sonntags in unseren Alltag gehören. Und wir sollten selber gut darüber sprechen. Es ist schlecht, dass wir Europa so als Bad Bank darstellen. Das wollen wir ändern. Was Europa an guten Errungenschaften hat, müssen wir auch artikulieren und loben.

Die Länder des westlichen Balkans drängen in die EU. Die haben allerdings ihre bilateralen Probleme zum Teil noch nicht gelöst, der Versöhnungsprozess ist brüchig. Auf der anderen Seite haben wir in der EU ein Beispiel wie es gehen kann - nehmen wir die Deutsch-Französische Freundschaft. Was war denn für diese Erfolgsgeschichte entscheidend?

Ich glaube, das war das Verdienst von einigen großen Europäern, die hier die Chance gesehen haben. Das war ja nicht nur der Zweite Weltkrieg, der kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Deutschland hervorbrachte - sondern wenn man die vielen Jahrhunderte davor sieht, ich selbst komme aus einer Region an der Mosel. Meine Großmutter musste zwangsweise mal Französisch lernen, wir waren ein Gebiet, das ging ja oftmals hin und her. Es waren große Europäer wie Aristide Briand, Gustav Stresemann, die diesen europäischen Gedanken - auch die deutsch französische Freundschaft - als ein ganz wichtiges Element anerkannt haben und es waren auch Helmut Kohl und François Mitterrand und Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, die hier etwas vorgelebt haben, dass der Frieden in Europa nur dann entstehen kann, wenn zwei verfeindete Nationen auch Freundschaft nachhaltig ausbauen. Das war der erste Freundschaftsvertrag, der Elysée-Vertrag, den wir ja jetzt erneuern durften mit dem Aachener Vertrag. Und jetzt würde ich mir für die Zukunft wünschen, dass das nicht nur die großen Staatsmänner oder Frauen sind, sondern dass wir das auch mehr miteinander leben. Rheinland-Pfalz hat eine Partnerschaft mit Burgund. Das ist wichtig. Wir haben über 270 Städtepartnerschaften, da wo Menschen sich begegnen, da werden wir nie wieder ein Gewehr in die Hand nehmen und aufeinander schießen.

Heike Raab ist seit Juli 2015 Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa, Medien und Digitales. Rheinland-Pfalz hat am 1.7.2019 den Vorsitz in der Europaministerkonferenz übernommen.

Das Interview führte Srecko Matic.