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WM-Affäre 2006 verjährt

27. April 2020

Der "Sommermärchen"-Prozess endet ohne Urteil. Franz Beckenbauer kann aufatmen. Für die Ex-Fußballfunktionäre Theo Zwanziger, Wolfgang Niersbach, Horst R. Schmidt und Urs Linsi könnte es dagegen noch weitergehen.

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Fußball-WM 2006 - Organisationskomitee
Horst R. Schmidt, Theo Zwanziger, Franz Beckenbauer und Wolfgang Niersbach (v.l.n.r.)Bild: picture-alliance/dpa/DB Kunz

An diesem Montag verjähren in der Schweiz die Betrugsvorwürfe gegen den früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger, seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach, den früheren DFB-Generalsekretär und -Schatzmeister Horst R. Schmidt sowie den Ex-FIFA-Generalsekretär Urs Linsi. Damit endet der Prozess in Bellinzona ohne Schuld- oder Freispruch. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was wurde den angeklagten Funktionären vorgeworfen?

Die Schweizer Bundesanwaltschaft beschuldigte Theo Zwanziger, Horst R. Schmidt und Urs Linsi zunächst des Betrugs, Wolfgang Niersbach der Beihilfe zum Betrug. Den Angeklagten drohten Haftstrafen von bis zu zehn Jahren. Am Ende lautete der Vorwurf nur noch auf "ungetreue Geschäftsführung", was mit bis zu drei Jahren Gefängnis hätte bestraft werden können. Die Angeklagten, so die Schweizer Bundesanwälte, hätten "arglistig getäuscht".

Fußball FIFA Mohamed Bin Hammam
Geldempfänger: Mohamed bin HammamBild: Saeed Khan/AFP/Getty Images

Es ging um eine dubiose Zahlung von zehn Millionen Schweizer Franken (6,7 Millionen Euro) vom 27. April 2005. Das Organisationskomitee der Fußball-WM 2006 überwies diese Summe an den Weltfußballverband FIFA mit Sitz in der Schweiz und deklarierte sie als Beitrag für eine WM-Gala. Die angebliche Kulturveranstaltung fand jedoch nie statt. Das Geld landete stattdessen noch am selben Tag auf dem Schweizer Konto des französischen Unternehmers Robert Louis-Dreyfus - als Rückzahlung eines Kredits.

2002 hatte der damalige WM-Organisationschef Franz Beckenbauer ein Darlehen des damaligen Adidas-Chefs Louis-Dreyfus in gleicher Höhe erhalten. Das Geld verschwand letztendlich auf Konten des FIFA-Finanzchefs Mohamed bin Hammam. Die FIFA sperrte den Geschäftsmann aus Katar 2011 wegen Korruption lebenslang.

Wofür bin Hammam das Geld aus Deutschland erhielt, ist immer noch unklar. Die Schweizer Ankläger gingen davon aus, dass es sich um eine Gefälligkeit Beckenbauers an den Katarer handelte, damit dieser im Gegenzug einen FIFA-Zuschuss über 250 Millionen Franken an das WM-OK freigab. Andere mutmaßten, es sei nachträgliches Schmiergeld für Stimmen bei der Wahl des WM-Ausrichters 2006 gewesen. Deutschland hatte die Wahl im Jahr 2000 im entscheidenden dritten Durchgang mit 12:11 Stimmen gegen Südafrika gewonnen. Wieder andere vermuteten, das Geld sei als verdeckte Vergütung für Beckenbauers WM-Engagement verwendet worden.

Warum konnten die Vorwürfe verjähren?

Nach Schweizer Recht verjährt der Betrugsvorwurf 15 Jahre nach der Straftat, wenn bis dahin kein Urteil in erster Instanz ergangen ist - im konkreten Fall also am 27. April 2020, 15 Jahre nach der dubiosen Überweisung.

Die Affäre um die WM 2006 wurde bereits im Oktober 2015 aufgedeckt. Dennoch verliefen die Ermittlungen der Schweizer Justiz schleppend. Erst im August 2019 klagte die Bundesanwaltschaft die Fußball-Funktionäre an, ein weiteres halbes Jahr dauerte es, bis der Prozess in Bellinzona am 9. März 2020 begann - eineinhalb Monate vor der Verjährungsfrist. Am 17. März wurde die Verhandlung wegen der Corona-Pandemie ausgesetzt und nicht mehr aufgenommen.

Symbolbild Sommermärchen
Ganz Deutschland feierte bei der WM 2006 eine Fußballparty - das "Sommermärchen"Bild: picture-alliance/dpa

Man mache es sich zu leicht, wenn man der Corona-Krise die Schuld für die Verjährung gebe, sagte die Schweizer Justizministerin Karin Keller-Sutter bereits Anfang April: "In der Regel ist davor im Verfahren etwas schiefgelaufen." Andere Experten wurden deutlicher, sprachen von "Schlamperei" oder wiesen auf eine bedenkliche Nähe von Michael Lauber, dem Chef der Schweizer Bundesanwaltschaft, zu FIFA-Präsident Gianni Infantino hin.

Ist die strafrechtliche Aufarbeitung der WM-Affäre 2006 nun abgeschlossen?

Das gilt nur für die Schweiz. Auch in Deutschland müssen sich Zwanziger, Niersbach, Schmidt und Linsi voraussichtlich noch vor Gericht verantworten. Allerdings nicht wegen Betrugs - der verjährt in Deutschland bereits nach zehn Jahren - sondern wegen Steuerhinterziehung.

Auch hier geht es um die ominöse Überweisung vom 27. April 2005. Die Summe war in der Steuererklärung unter dem Titel "Kostenbeteiligung FIFA-Gala 2006" als Betriebsausgabe deklariert und damit steuermindernd verrechnet worden. Die Staatsanwaltschaft wirft den vier Fußballfunktionären deshalb Steuerhinterziehung in Höhe von rund 13,7 Millionen Euro vor. Das mögliche Strafmaß: bis zu fünf Jahre Haft.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main ließ die Anklage gegen die Funktionäre im August 2019 zu. Damit ist das Hauptverfahren eröffnet, gleichzeitig ruht damit weiter die Verjährungsfrist für schwere Steuervergehen von eigentlich zehn Jahren. Diese wurde bereits mit dem Beginn der Ermittlungen unterbrochen. Ein Ende wie jenes beim Prozess in Bellinzona wird es also voraussichtlich nicht geben.

Und was ist mit Franz Beckenbauer?

Deutschland Beckenbauer und Linsi vor WM 2006 Plakat
Franz Beckenbauer und Urs Linsi im Januar 2005Bild: picture-alliance/Pressefoto ULMER/B. Hake

Er ist der einzige der Beteiligten an der ominösen Millionenzahlung im Jahr 2005, der nun keine juristischen Konsequenzen mehr zu fürchten hat. Die Schweizer Ankläger hielten Beckenbauer, den Präsidenten des WM-Organisationskomitees 2006, eigentlich für den Hauptschuldigen.

Wegen des angegriffenen Gesundheitszustands Beckenbauers - der einstige deutsche Fußballstar wurde bereits mehrfach am Herzen operiert - wurde das Verfahren gegen ihn jedoch im Juli 2019 von jenem gegen die anderen vier Beschuldigten abgetrennt. Am Montag sind auch die Vorwürfe gegen ihn verjährt.

Und im Steuerhinterziehungsprozess in Deutschland gehört Beckenbauer nicht zu den Beschuldigten. Man gehe "nach Aktenlage" nicht davon aus, dass Geld an den "Fußballer F.B." für seine Verdienste um die WM-Vergabe und -Organisation geflossen seien, erklärte das Oberlandesgericht Frankfurt.

DW Kommentarbild Stefan Nestler
Stefan Nestler Redakteur und Reporter