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Politik

"Deutschland muss sich klarer positionieren"

Tian Miao
2. Dezember 2019

Am Wochenende kam es in Hongkong erneut zu Protesten und Zusammenstößen. Politologin Katrin Kinzelbach fordert Exportbeschränkungen von Polizeiausrüstung und einen einheitlichen EU-Kurs gegenüber China.

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Hongkong Proteste
Erneute Ausschreitungen in Hongkong am Sonntag (1.12.19)Bild: Reuters/L. Millis

Deutsche Welle: US-Präsident Donald Trump hatte vergangene Woche die fast einstimmig vom Kongress beschlossenen Gesetze zur Unterstützung der Demokratiebewegung in Hongkong unterzeichnet. Die Gesetze drohen Wirtschaftssanktionen an, mit denen Hongkong die bisher gewährte Vorzugsbehandlung in der Wirtschafts- und Handelspolitik der USA gegenüber China entzogen werden könnte. Ein kalkulierter Schritt?

Professor Dr. Katrin Kinzelbach
Katrin Kinzelbach: "Wir müssen mit weiteren Menschenrechtsverletzungen rechnen"Bild: FAU/Georg Pöhlein

Katrin Kinzelbach: Hongkong genoss seit 1992 unter dem "US Hong Kong Policy Act" einen Sonderstatus. Die chinesische Sonderverwaltungszone wurde in Handelsfragen bisher anders behandelt als das Festland. Diese besondere Regelung beruhte auf der Annahme, dass sich das politische und rechtliche System Hong Kongs von dem des chinesischen Festlands unterscheidet. Es gilt in Hongkong nämlich der Grundsatz "Ein Land, zwei Systeme".

Die jüngsten Botschaften aus Peking, zum Beispiel zur Unabhängigkeit der Hongkonger Justiz und dem Interpretationsrecht des Hongkonger Basic Law durch den Nationalen Volkskongress in Peking, stellen dieses Konzept allerdings zunehmend in Frage. Die Ausgangslage hat sich stark geändert. Insofern ist die neue amerikanische Gesetzgebung nur folgerichtig. Sollte die Autonomie Hongkongs schwinden, ist es mit dem Sonderstatus vorbei.

Natürlich ist damit im Kontext der aktuellen Hongkonger Protestbewegung auch ein politisches Signal an Peking verbunden, nämlich: Es wird ökonomische Konsequenzen haben, wenn der Sonderstatus Hongkongs nicht erhalten bleibt. Diese Botschaft soll abschreckend und damit deeskalierend wirken. Aber die Entwicklungen der letzten Monate zeigen leider, dass Peking nicht zum Einlenken bereit ist und sich auch nicht an den 1997 zwischen China und Großbritannien verhandelten Vertrag zum Status von Hongkong gebunden fühlt.

Die US-Gesetze untersagen weiterhin den Export von Tränengas, Gummigeschossen, Wasserwerfern und Handschellen an Hongkongs Polizei. Ist das eine Chance für die Verbesserung der Menschenrechtssituation in Hongkong?

Krank durch Tränengas

Ich begrüße es, dass die neuen amerikanischen Gesetze eine regelmäßige Überprüfung der Menschenrechtslage in Hongkong vorsehen. Natürlich ist es angesichts der exzessiven Gewaltanwendung seitens der Hongkonger Polizei auch richtig, für bestimmte Güter wie Tränengas und Munitionen Exportsperren zu verhängen. Diese Maßnahmen allein werden die Krise in Hongkong aber nicht lösen. Wir müssen mit weiteren Menschenrechtsverletzungen rechnen.

Warum hält sich die deutsche Bundesregierung bislang offenbar mit der öffentlichen Kritik an China zurück?

Es ist höchste Zeit, dass sich die Bundesregierung klarer positioniert. Allgemeine Appelle gegen Gewalt helfen in dieser Lage kaum. Die Hongkonger Demonstranten hoffen auf Unterstützung aus dem Ausland, denn sie wissen, dass sie wegen des enormen Machtgefälles zwischen der Volksrepublik einerseits und dem kleinen Hongkong andererseits ohne Unterstützung aus dem demokratischen Ausland nicht gewinnen können. 

Wir hier in Deutschland haben zulange weg- und erst nach der Eskalation wieder hingeschaut. In ihrer Verzweiflung griffen manche Demonstranten jüngst zu Gewalt. Das ist sehr besorgniserregend und kann nicht akzeptiert werden. Aus meiner Sicht war dies auch ein großer taktischer Fehler der Demonstranten, weil sie damit im Ausland Sympathien verspielt haben. Aber die Gewalt seitens der Demonstranten war nicht zentral gesteuert, und sie war eine Reaktion auf exzessive Gewalt der Polizei.

Man muss betonen, dass ein Großteil der Menschen in Hongkong weiterhin friedliche Mittel wählt, um ihren Forderungen nach Autonomie und Demokratie Ausdruck zu verleihen. Das haben zuletzt auch die Bezirksratswahlen gezeigt. Die Menschen Hongkongs wollen nicht indirekt von Peking, sondern von eigenen gewählten Vertretern regiert werden.

Diese Nachricht kann und sollte auch die deutsche Bundesregierung in öffentlichen Stellungnahmen aufgreifen und damit den friedlichen Demonstranten den Rücken stärken. Aber wir dürfen den deutschen Einfluss auf Peking nicht überschätzen. Wenn Chinas Präsident Xi Jinping entscheidet, dass er Hongkong unter seine Kontrolle bringen will, weil sein eigener Machterhalt womöglich an einer derartigen Lösung dieser Krise hängt, wird er nicht von seinem Ziel ablassen, nur weil Angela Merkel ihn anruft.

Der Hongkonger Aktivist Joshua Wong fordert Deutschland auf, auch Sanktionen gegen China einzuführen. Die Bundesregierung hat dies in letzten Zeit nicht als Option angesehen. Sind Sanktionen der richtige Weg für die Lösung der Konflikte?

Es gibt ganz unterschiedliche Sanktionen: Waffenembargos, Wirtschaftssanktionen, auf Einzelpersonen zugeschnittene Einreisebeschränkungen, Einfrieren von Konten und so weiter.

Grundsätzlich werden Sanktionen wegen der gemeinsamen Wirtschaftspolitik nur innerhalb der Europäischen Union vereinbart. Und Europa spricht gegenüber China leider nicht immer mit einer Stimme. Deutschland könnte innerhalb der EU ein treibender Faktor für die Erwägung solcher Schritte sein, das ist bisher nicht geschehen.

Aber es ist auch nicht ausgemacht, dass sich Berlin mit einer solchen Linie in der EU überhaupt durchsetzen kann. Sicherlich wäre es angesichts der Eskalation in Hongkong richtig und auch vergleichsweise einfach, geltende Exportvorschriften zu überprüfen. Europa sollte in dieser Situation kein Tränengas und keine Munition nach Hongkong exportieren.

Aus menschenrechtlicher Perspektive halte ich vor allem solche Sanktionen für vielversprechend, die Entscheidungsträger auf unterschiedlichen Ebenen individuell ins Visier nehmen. Zum Beispiel ein Polizeipräfekt, der auf Anordnung exzessive Gewalt anwendet, sollte sich vor Konsequenzen fürchten müssen. Die Hoffnung ist, dass mit sehr gezielten Sanktionen nicht nur die Strafverfolgung von Menschenrechtsverstößen, sondern auch der individuelle Widerstand gegen staatliche Repression gestärkt werden kann. Bisher tut sich Europa mit individualisierten Sanktionen allerdings sehr schwer. Das müssen wir ändern. Über allem schwebt die schwerwiegende politische Frage: Sind wir bereit, mit China einen Konflikt auszutragen?

Joshua Wong und Heiko Maas
Bundesaußenminister Maas mit Aktivist Wong am 09.09.19 in BerlinBild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Anfang September traf Außenminister Heiko Maas den Hongkonger Aktivist Joshua Wong in Berlin. China kritisierte dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten. Der Siemens-Chef Joe Kaeser appellierte zeitgleich, dass Deutschland als Exportnation "seine moralischen Werte und Interessenlagen" ganz besonders abwägen müsse. In wieweit wird die deutsche China-Politik von der Wirtschaft beeinflusst?

Die diametrale Gegenüberstellung von Handel und Menschenrechtspolitik ist ein altes Denkmuster. Ich halte das für nicht besonders hilfreich. Die Bundesregierung muss in ihrer China-Politik selbstverständlich unterschiedliche Interessen unter einen Hut bringen, auch wirtschaftliche Interessen. Stellen Sie sich vor, wir würden den Handel mit China maßgeblich begrenzen, vielleicht auch nur in einem Sektor. Eine solche Entscheidung hätte über kurz oder lang große Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft und damit auch auf Arbeitsplätze in Deutschland. Bei aller Liebe für die Menschenrechte - ich denke nicht, dass die deutschen Wähler das lange mitmachen würden.

Wir haben mittlerweile leider die sehr vertrackte Situation, dass wir in einem durchaus wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnis mit China verbunden sind. Für eine Demokratie wie Deutschland ist es nicht nur moralisch problematisch, sondern regelrecht gefährlich, sich so eng mit einer Diktatur zu verbandeln. Wir müssen uns mittlerweile über den Einfluss des chinesischen Parteistaats hierzulande Sorgen machen und daher überlegen, wie wir unsere Demokratie schützen können. Dabei sollten wir einen kühlen Kopf behalten und unbedingt abwägend vorgehen.

Aber wir gewinnen nichts, wenn wir aus Angst vor Peking kuschen. Wenn sich der deutsche Außenminister mit einer politisch bedeutenden Person aus Hongkong trifft, ist das ein völlig normaler Vorgang und keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Chinas. Peking versucht mit solchen Aussagen, in diplomatischen Kreisen Angst vor unangenehmen Konsequenzen zu schüren. Wer auf solche Botschaften eingeht, hat auf dem diplomatischen Parkett schon verloren. 

US-Kriegsschiff USS Chancellorsville  im Hafen von Hongkong
China verbietet ab Montag (2.12.19) Besuche von US-Kriegsschiffen in HongkongBild: Getty Images/AFP/A. Wallace

Wie kann es Deutschland oder der EU gelingen, positiv auf die Lage in Hongkong einwirken?

Neben den bereits erwähnten öffentlichen Stellungnahmen und Exportbeschränkungen müssen wir unsere Politik gegenüber China ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellen. Zusätzlich zur Krise in Hongkong und den bereits länger bekannten Menschenrechtsverletzungen im Festland, wie zum Beispiel der Inhaftierung von Menschenrechtsanwälten, sind kürzlich ganz ungeheuerliche Informationen über die Internierungslager in Xinjiang ans Licht gekommen. Das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen hat unter Xi Jinping stark zugenommen.

Es ist unangemessen, in dieser Situation den chinesischen Parteistaat zu hofieren. Aus strategischer Sicht macht es jedenfalls gar keinen Sinn, wenn sich Deutschland in Richtung Äquidistanz zwischen USA und China bewegt oder die strategische Partnerschaft mit China womöglich noch weiter ausbaut. Das ist eine Entwicklung, die Peking seit vielen Jahren versucht, in die Wege zu leiten. Und für uns wäre es ein großer Fehler, weiter in diese Richtung zu gehen. Xi Jinping muss wissen, dass er im demokratischen Ausland keine echten Partner hat und kein Vertrauen genießt. Da wir dem Parteistaat nicht trauen können, müssen wir im Falle Hongkongs mit dem Schlimmsten rechnen.

Das Interview führte Miao Tian.

Katrin Kinzelbach ist Professorin für Internationale Politik der Menschenrechte an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). Vor ihrem Wechsel an die FAU war sie stellvertretende Direktorin vom Global Public Policy Institute in Berlin. Von 2001-2007 war sie als Referentin für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen in unterschiedlichen Ländern tätig.