1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikAsien

Proteste im Iran nach Hochhauseinsturz

Shabnam von Hein
1. Juni 2022

Der Einsturz eines Hochhauses könnte die Protestwelle im Iran wieder anfachen. Die Führung will das mit Härte, aber auch mit Selbstkritik verhindern.

https://p.dw.com/p/4C95E
Iran  | Proteste in Abadan
Proteste in der iranischen Großstadt AbadanBild: EnsafNews

In Irans südwestlicher Provinz Chusestan zeigen Sicherheitskräfte verstärkte Präsenz. Zehn Tage nach dem Einsturz eines Hochhauses in der Hafenstadt Abadan kommt es immer wieder zu Protesten. Am 23. Mai war ein zehnstöckiges Gebäude plötzlich eingestürzt, Trümmerteile fielen auf eine belebte Straße. Laut Angaben der örtlichen Behörden wurden rund 70 Menschen unter den Trümmern begraben, bislang wurden 36 Leichen geborgen.

"Statt Hilfe für die Rettung der Opfer zu senden, wurde direkt nach dem Einsturz des Gebäudes eine große Anzahl Sicherheitskräfte in die Stadt geschickt", berichten Augenzeugen. Noch am Abend des Unglücks tauchten im Internet Videos auf, die einen Konvoi gepanzerter Fahrzeuge im Zentrum der Stadt zeigen. Zu sehen ist auch, wie Sicherheitskräfte mit Tränengas und Warnschüssen verhindern, dass es zu größeren Menschenansammlungen kommt.

Iran Gebäudeeinsturz in Abadan
Laut Angaben der örtlichen Behörden wurden rund 70 Menschen unter den Trümmern begrabenBild: Iranian Red Crescent/ZUMA Press Wire/picture alliance

Das staatliche Fernsehen brachte nur eine kurze Nachricht über das Unglück. Eine ausführlichere Berichterstattung sei nicht gewünscht gewesen, gab der Chef des staatlichen Fernseh- und Radiosenders IRIB, Peyman Dschebeli, am nächsten Tag zu. Als Antwort auf kritische Fragen am Rande eines Treffens mit Studenten in Teheran erklärte Dschebeli: "Uns wurde gesagt: Bringt das Thema nicht groß heraus." IRIB steht unter der direkten Kontrolle des geistlichen Führers Ali Chamenei.

Löchrige Nachrichtensperre

Doch ließen sich Nachrichten über das Unglück nicht unterdrücken. Unabhängige Journalisten hatten vor Ort recherchiert und ihre Berichte über soziale Medien verbreitet. In der Folge wurde der Datenfluss im Internet gedrosselt, um die Verbreitung von Videos zu erschweren. "Der Datenfluss wird stärker gedrosselt, sobald es Abend wird. Damit will man die Kommunikation der Menschen untereinander erschweren und anwachsende Protestversammlungen verhindern", sagt Amir Rashidi, der bei dem US-Unternehmen Miaan Group für digitale Rechte und Sicherheit zuständig ist.

Die Miaan Group setzt sich für freien Zugang zu Informationen im Iran und in der Region ein. "Dieses Vorgehen des Staates beobachte ich jedes Mal, wenn sich im Iran eine Protestbewegung bildet", sagte Rashidi der DW. "Nicht nur die Kommunikation innerhalb des Landes wird erschwert, sondern der auch Zugang zu Webseiten im Ausland wird weitestgehend gekappt. Die meisten Nutzer können dann nur noch iranische Webseiten öffnen."

Diese digitale Isolation erschwert auch Journalisten innerhalb und außerhalb des Landes, ein klares Bild von den Ereignissen vor Ort zu bekommen und Informationen zu verifizieren. Was in Abadan geschieht, beschäftigt dennoch zur Zeit das ganze Land. Wann immer Menschen in größerer Zahl zusammenkommen, zum Beispiel nach einem Fußballspiel im Asadi-Stadion in der Hauptstadt Teheran, zeigen sie ihre Solidarität mit Abadan und spielen zum Beispiel traditionelle Trauermusik aus dem Süd-Iran ab. Auch in andere Großstädten wie Isfahan und Yazd gab es Solidaritätskundgebungen.

Mit einer Woche Verspätung rief die Regierung schließlich am vergangenen Sonntag einen nationalen Trauertag für die Opfer aus. Erst vor knapp einem Monat hatten landesweite Proteste die Führung des Landes herausgefordert. Die galoppierende Inflation, insbesondere die starke Verteuerung von Brot, hatte die Leute auf die Straßen getrieben. Die Proteste waren von der südwestlichen Provinz Chusestan ausgegangen und hatten sich schnell im ganzen Land verbreitet. Die Regierung versprach Direkthilfe und konnte die wütenden Iraner zumindest kurzfristig beruhigen.

Brodelnde Unzufriedenheit

Die allgemeine Unzufriedenheit ist Irans Machthabern bewusst. Bei einem "streng geheimen Treffen" im Herbst 2021 sollen Experten der Revolutionsgarden Informationen über die stark gestiegene Unzufriedenheit im Land ausgetauscht haben. Das Protokoll der Sitzung wurde Anfang Februar von der im Iran bekannten Hackergruppe "Edalat-e Ali" in sozialen Netzwerken veröffentlicht.

Laut diesem Protokoll ist die Zahl von Protestaktionen zwischen Herbst 2020 und Herbst 2021 gegenüber dem Vorjahr um fast die Hälfte gestiegen. Die durchschnittliche Zahl der Protestierenden bei den Versammlungen habe sich verdoppelt. Als Gründe für die Wut der Menschen werden die verschlechterte Wirtschaftslage, Verzögerungen bei der Bezahlung der Gehälter und verschärfte soziale Ungleichheit genannt.

Hinzu kommen Korruption und Missmanagement, die offenbar auch bei dem Einsturz in Abadan eine Rolle gespielt haben. Vize-Präsident Mohammed Mochber gab in einem Interview mit dem Staatsfernsehen zu, dass bei dem Bau und der Genehmigung des Gebäudes viele Fehler gemacht worden seien. Alle mutmaßlichen Verantwortlichen für das Unglücks würden zur Rechenschaft gezogen, versprach der Generalstaatsanwalt. 13 Personen, darunter der Bürgermeister von Abadan und zwei seiner Vorgänger, wurden bereits festgenommen. 

Mit populistischen Aktionen vor laufenden Kameras versucht die Führung in Teheran die Stimmung im Land zu besänftigen. Der Sekretär des Obersten Nationalen Sicherheitsrats, Ali Shamkhani, der aus der Chusestan stammt, nahm am Dienstag an einer Trauerfeier mit traditioneller Musik aus dem Süden teil- in Teheran. "Warum so weit weg? Hast du Angst, dich in Abadan zu zeigen?" fragen ihn viele Iraner im Netz.