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Der Umsteiger und der Verdacht

Tom Mustroph
26. Mai 2019

Primoz Roglic war erst Skispringer und ist jetzt Favorit auf den Sieg beim Giro d’Italia. Aktuell muss er sich nicht nur seiner Rivalen erwehren, sondern auch des Verdachts, der über dem slowenischen Radsport schwebt.

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Giro d’Italia 2019 | 11. Etappe | Primoz Roglic, Slowenien, Team Jumbo
Bild: picture-alliance/dpa/Augenklick/Roth

Primoz Roglic stahl sich in Pinerolo schnell weg aus dem Zielbereich. Es war, als wollte er unter dem Radar verschwinden. Sportlich hatte er sich an diesem Donnerstag sehr unauffällig verhalten. Roglic stellte einer Gruppe von Außenseitern die Lizenz zum Ausreißen aus und vermied dadurch, noch vor den ganz großen Herausforderungen im Gebirge das Rosa Trikot tragen zu müssen. Er kann so seine Kräfte und die seines Teams sparen. Ein angenehmer Nebeneffekt für den Slowenen war, dass er sich so auch nicht den Fragen der Journalisten stellen musste. Das überließ er seinem Landsmann Jan Polanc, der als bestplatzierter Fahrer der Ausreißergruppe ins Rosa Trikot schlüpfte. Polanc musste nun antworten, was es denn mit dem Doping in Slowenien so auf sich habe.

Der Verdacht

Zwei slowenische Radprofis wurden zuletzt als Klienten des mutmaßlichen Dopingarztes Mark S. aus Erfurt identifiziert. Ein dritter Slowene, Milan Erzen, Gründer des Rennstalls Bahrain Merida, soll sich bei Schmidt angeblich nach einer Blutzentrifuge erkundigt haben. Die braucht man fürs Blutdoping.

Polanc ging auf Distanz zu den Dopingverdächtigen. "Ich kann nur sagen, dass ich mit diesen Personen nichts zu tun habe. Ich kenne zwar Erzen, habe ihn bei Rennen in Slowenien gesehen. Ich hatte aber keine Verbindung zu ihm. Mein Training organisiert mein Vater, ich brauche sonst niemanden", sagte Polanc.

Giro d’Italia 2019 | 12. Etappe | Primoz Roglic, Slowenien, Team Jumbo
Roglic gehört zu den Favoriten auf den Gesamtsieg des diesjährigen Giro d'ItaliaBild: picture-alliance/dpa/Augenklick/Roth

Roglic hat es schwerer, die Verbindungen abzustreiten. Erzen war schließlich Sportlicher Leiter beim slowenischen Team Adria Mobil, als auch der Ex-Skifahrer Roglic dort anheuerte. Erzen blieb aber nur noch ein paar Monate, bevor es ihn nach Bahrain zog. Als Entdecker Roglics kommt Erzen somit nicht infrage. Die ersten Trainingspläne für den Slowenen schrieb ausgerechnet Marko Polanc, der Vater und Trainer des aktuellen Giro-Spitzenreiters.

Der Entdecker

Entdecker des Radtalents Roglic ist jedoch ein anderer Mann: der Sportwissenschaftler Radoje Milic. Er arbeitet im Institut für Sportphysiologie in Ljubljana und beaufsichtigt gerade einen Einstufungstest von mehr als 100 jungen Skispringerinnen und Skispringern, als der DW-Reporter ihn in seinem Labor besucht.

Vor sieben Jahren analysierte Milic in diesen Räumen die Leistungsfähigkeit Roglics. Damals war er noch Radamateur. "Er war so gut, dass ich gebeten wurde, sein Potential zu testen", sagt Milic der DW. "Die Ergebnisse waren enorm. Ich sagte ihm: 'Bereite dich darauf vor, in der Spitzengruppe bei der Pro Tour mitzufahren!'" Milic ermittelte in Roglics Blut eine Sauerstoff-Aufnahmekapazität von 80 Millilitern pro Minute und Kilogramm Körpergewicht. Die Werte lagen im Bereich eines Chris Froome: Beim vierfachen Toursieger wurden 2007, als er noch beim unterklassigen Team Minolta fuhr, 80,2 ml/min/kg gemessen. 2015 soll er - wenn die damals von seinem Team Sky herausgegebenen Daten korrekt waren -  bei 88 ml/min/kg gelegen haben. Gut möglich, dass Roglic in den vergangenen sieben Jahren mit intensivem Radsporttraining in ähnliche Regionen vorgestoßen ist.

Der Erklärungsversuch

Ausdauer hatte er schon als Skispringer. Das berichtet Zvone Pograjc, Skisprungtrainer in Kisovec, dem Geburtsort des Radprofis. "Ich kenne Primoz im Grunde seit seiner Geburt. Mein Haus und das seiner Eltern sind nur 200 Meter entfernt. Als er acht, neun Jahre alt war, sah ich, dass er als Skispringer sehr talentiert war. Er hatte diese Aggressivität, war sehr mutig und gut im Stretching", erzählt Pograjc. Diese Qualitäten kämen seinem früheren Schützling auch in dessen neuem Sport zugute. "Wenn du einen flexiblen Körper hast, hilft dir das auch im Zeitfahren, wenn du extrem anstrengende Positionen einnehmen musst." Mut und Aggressivität kämen Roglic vor allem bei den Abfahrten zugute, sagt Pograjc. Das Gefühl für hohe Geschwindigkeiten auch.

Gegenüber anderen Skispringern sei Roglic durch eine größere Ausdauer vor allem im Intervalltraining aufgefallen, berichtet sein Ex-Trainer. Konsequent auf Ausdauer trainiert habe Roglic aber erst nach 2009 - seit seinem 20. Lebensjahr, als er endgültig mit dem Springen aufhörte. "Nach meinem Sturz auf der Flugschanze von Planica 2007 habe ich zwar weiter trainiert. Aber ich wurde nicht mehr besser, während viele um mich herum, denen ich vorher überlegen war, nun weiter flogen als ich", sagte Roglic dem DW-Reporter vor einigen Jahren. 

Giro d’Italia 2019 | 17. Etappe | Primoz Roglic, Slowenien, Team Jumbo
Roglic hat die Skispringer-Hocke immer noch im Blut Bild: picture-alliance/dpa/Augenklick/Roth

Dass Roglic so spät zum Ausdauersport kam, ist in den Augen Milics sogar eine glückliche Fügung. Zu extensives Ausdauertraining in jungen Jahren berge die Gefahr, dass ein guter "Motor" ausbrenne: "Wenn man sehr früh beginnt, macht man häufig zwei Fehler: Man vernachlässigt den Kraftaspekt und betreibt nur extensive Trainingsformen." Roglic hingegen habe eine vielseitiger ausgebildete Muskulatur. Das komme ihm nun auch bei den Bergauf-Sprints entgegen. Ausdauertalent plus explosive Muskulatur plus körperliche Beweglichkeit plus Unerschrockenheit auch bei höchsten Geschwindigkeiten - das ist die Erfolgsformel für den Skispringer, der jetzt ein Radsportler ist.

Bogdan Fink, der Rennstallmanager, der Roglic den ersten Vertrag als Radprofi gab, sieht es pragmatischer. "Primoz hat einfach zuerst den falschen Sport gewählt. In seinem Dorf werden die Jungs fast alle Skispringer, also hat er das auch so gemacht", sagt der Betreiber des Rennstalls Adria Mobil der DW. Fink zeigte sich auf Nachfrage überrascht über die Anschuldigungen gegen seinen einstigen Sportlichen Leiter Erzen. Dopingaktivitäten habe er bei ihm damals nicht beobachtet, und sie im Team auch nicht gefördert oder unterstützt, beteuert Fink.