1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Pressestimmen von Freitag, 19. April 2002

(Roswitha Schober) 19. April 2002

Scheitern der Powell-Mission / Tarifabschluss Chemie 2002

https://p.dw.com/p/26Lv

Die Kommentatoren der Tageszeitungen befassen sich an diesem Freitag mit dem Ergebnis der Reise des US-Außenministers Colin Powell im Nahen Osten und mit dem Tarifabschluss in der Chemie-Branche.

Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG schreibt zur Powell-Mission:

"US-Präsident Bush hatte seinen Außenminister in den Nahen Osten geschickt und den Konflikt damit quasi zur Chefsache gemacht. Ein großes Risiko. Arafat und Scharon haben die Powell-Mission scheitern lassen und Bush so vor aller Welt blamiert. Scharon spekuliert bei seiner kühnen Politik gegenüber dem 'großen Bruder' wohl auch auf die amerikanische Innenpolitik. Breite Kreise der politischen Klasse in den USA, aber auch viele Bürger sind pro-israelisch. Arafat gilt, anders als in Europa, den Amerikanern vor allem als Terrorist. Eine öffentlich vorgetragene harte Haltung gegenüber Israel wird Bush sich wohl auf Dauer nicht leisten. Man kann nur hoffen, dass die USA nun zumindest hinter den Kulissen weiter Druck auf Scharon ausüben.Israelis und Palästinenser dürfen in ihrem Hass aufeinander nicht sich selbst überlassen bleiben. Keine Seite wird nachgeben. Dem Nahen Osten droht die Apokalypse."

Auch die BERLINER MORGENPOST sieht Endzeitstimmung in Nahost:

"Wenn ein US-Außenminister nicht einmal das Minimalziel einer gewissen Waffenruhe erreicht, stehen die Zeichen weiter auf Sturm. Colin Powell hatte von Beginn an hohe Erwartungen nicht geweckt. Leise Hoffnung weckt allein, dass Powell die US-Vermittler Zinni und Tenet wieder losschicken will - die waren zuvor allerdings ebenso erfolglos. Powell ist an der Hartnäckigkeit der Kontrahenten Scharon und Arafat gescheitert. Der israelische Premier führt seinen eigenen Anti-Terror-Kampf unbeirrt fort. In dieser Position der Schwäche ist es um so erstaunlicher, dass Arafat nicht einlenkt und die geforderte Distanzierung von Terror jeglicher Art erbringt. Der alte Kämpe hat etliche Chancen bereits verpasst. Jetzt abermals: Erst forderte er das Engagement der Amerikaner, nun lässt er den armen Powell geschlagen von dannen ziehen."

Der Kommentar der WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN lenkt den Blick auf mögliche Konsequenzen der erfolglosen Powell-Reise:

"Ohne irgendeine Aussicht auf Waffenruhe zwischen Israelis und Palästinensern wird Bush keine Allianz gegen Saddam Hussein und die Bedrohung durch Massenvernichtungswaffen formieren können. Araber und Europäer stehen auf dem Absprung. Die Supermacht USA will offenbar warten, bis Scharon seine Arbeit erledigt hat. Dann wird auch Powell zurückkehren. Mit diesem Verständnis seiner Maklerrolle in Nahost wird Amerika aber nicht den Boden für Ruhe und Frieden bereiten."

Zum Abschluss der Chemie-Tarifverhandlungen schreibt die FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND:

"Ein Ergebnis, das ökonomisch durchaus vernünftig ist: Weder die Anwälte eines dauerhaften Lohnverzichts noch die Vertreter der Kaufkrafttheorie haben sich durchgesetzt. Am Ende ist herausgekommen, was auch gesamtwirtschaftlich sinnvoll ist: Produktivitätszuwachs plus der angepeilten Inflationsrate der Zentralbank. Abschlüsse deutlich unter diesem Wert würden kaum Arbeitsplätze schaffen, denn in einer großen Volkswirtschaft wie Deutschland bestimmen die Löhne eine der wichtigsten Nachfragekomponenten, den Konsum, mit. Ohne eine stabile Nachfrage aber werden die Unternehmen kaum neue Arbeitskräfte einstellen. Dennoch war das Argument der Gewerkschaften, nur ein 'kräftiger Schluck aus der Pulle' könne die Wirtschaft ankurbeln, falsch. Denn wenn die Lohnstückkosten für alle Firmen steigen, erhöhen diese die Preise. Die Folge: Inflationsdruck und das Risiko, dass die Europäische Zentralbank die geldpolitischen Zügel anzieht und den schwachen Aufschwung abwürgt. Jetzt ist entscheidend, dassdie anderen Branchen dem Chemie-Abschluss folgen."

Der Kommentor der STUTTGARTER ZEITUNG hält das Lob des Bundeskanzlers für den Tarifabschluss für verdient:

"Hubertus Schmoldt, der pragmatische und deshalb nicht von allen Kollegen im DGB geschätzte Gewerkschaftsführer, hat mit diesem Abschluss einen Prestigeerfolg errungen. Das hat er heimlich, still und leise erreicht - ganz ohne Drohgebärden, Demonstrationen und Warnstreiks. Dass ihn der Kanzler dafür umgehend lobt, ist nur allzu verständlich. Denn der Wahlkämpfer Schröder hat bisher mit Besorgnis verfolgt, wie sich die Metalltarifparteien hochschaukelten. Nichts käme ihm weniger gelegen als ein großer Streik, und nichts müsste er mehr fürchten als Tarifabschlüsse, die die Konjunktur abwürgen könnten."

Die WESTDEUTSCHE ZEITUNG sieht im Tarifabschluss einen Vorgriff auf bessere Zeiten und schreibt:

"Aber der Abschluss ist ja in die Zukunft gerichtet, und da wird im zweiten Halbjahr der Aufschwung erwartet. Und da das Konjunkturpflänzchen von der Lohnseite her nicht mehr zertrampelt wird, sind ein bis zwei Prozent Plus drin. Schlimm wäre es, wenn trotz des übertragbaren Pilotabschlusses die IG Metall noch alle Register über Urabstimmung bis zu Streik ziehen würde. Damit würde sie auch sich selbst einen Bärendienst erweisen. In den wichtigsten Nachbarländern wurden die Tarife 2002 nur um zwei bis drei Prozent erhöht. Die Wettbewerbsfähigkeit würde in Euro-Zeiten leiden."