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Pressestimmen von Donnerstag, 28. Juni 2007

Christoph Schmidt27. Juni 2007

Bilanz der deutschen EU-Ratspräsidentschaft / Brown übernimmt die Regierung

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Für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft war dieser Mittwoch der Tag der Bilanz. Und die fiel - wie sollte es anders sein - positiv aus. Viel habe man in den vergangenen sechs Monaten erreicht, erklärte die Bundeskanzlerin. Der Stillstand in der Europäischen Union sei überwunden, neues Vertrauen bei den Bürgern gewonnen worden. Ein weiteres Thema dieser Presseschau ist der Regierungswechsel in Großbritannien.

In der Tageszeitung DIE WELT heißt es zur deutschen EU-Präsidentschaft:

'Es ist nicht gelungen, antieuropäische Ressentiments aus den Köpfen der Menschen zu vertreiben. Aber war das überhaupt möglich? Jedenfalls hat es Kanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Monaten geschafft, das Ansehen Deutschlands in Europa deutlich zu stärken. Sie hat keine Besserwisserpolitik à la Schröder und Chirac betrieben, sondern die kleineren Mitgliedsstaaten voll eingebunden. Sie war unglaublich gut informiert in Sachfragen und manchmal auf spröde Weise sogar charmant.'

Auch der KÖLNER STADT-ANZEIGER lobt die deutsche Europapolitik:

'Der Karren rollt wieder, wenn auch langsam. Die moralische und politische Autorität unseres Landes ist in Europa gestärkt. In vielen bilateralen Gesprächen haben Merkel und Steinmeier ausgelotet, was ging, ohne Lösungen vorzugeben. Das hat Vertrauen geschaffen. Andererseits wurde die Bundesregierung vorab gedrängt, diese Führungs- und Mittlerrolle zu übernehmen. Deutschland wurde in der EU gebraucht, hat sich aber nicht aufgedrängt. Das hat sich schließlich ausgezahlt.'

Die OST-THÜRINGER ZEITUNG aus Gera meint:

'Die EU-Präsidentschaft bescherte der Bundeskanzlerin einen immensen Popularitätsschub. Trotz dieser Meriten lässt sich keinesfalls behaupten, das europäische Einigungswerk sei in den letzten sechs Monaten in die Erfolgsspur gebracht worden. Abgesehen vom täglichen Streit über Detailfragen hat das Einigungswerk mittlerweile einen äußerst kritischen Punkt erreicht. Während sich die Europafreunde, beflügelt von der Vision der 'Vereinigten Staaten von Europa', immer enger zusammenschließen möchten, entfalten die Skeptiker zusehends stärkere Fliehkräfte.'

Auch das MAIN-ECHO aus Aschaffenburg fragt mit Blick auf die Erweiterung der EU nach der europäischen Zukunft:

'Es sind - mit Ausnahme von Kroatien - die Beitrittswilligen, die den Preis für die wachs ende Unübersichtlichkeit in der EU bezahlen müssen. Insbesondere für die Türkei schwinden die Aussichten auf einen EU-Beitritt rapide. Zu Schröders und Chiracs Zeiten konnte sich Ankara vom deutsch-französischen Motor eine Menge Schubkraft erhoffen. Vom neuen Motor Merkel/Sarkozy lässt sich das nicht mehr behaupten. Bei allem Lob für die deutsche Ratspräsidentschaft bleibt eine ernüchternde Erkenntnis: Die EU stößt an die Grenzen des Wachstums. Und diejenigen, die bereits zum Klub gehören, leben schon in einer Zwei-Klassen-Gesellschaft.'

Themenwechsel: Großbritannien, der schwierige EU-Partner und weltpolitische Akteur, hat mit Gordon Brown einen neuen Regierungschef. Nach zehnjähriger Amtszeit hat Tony Blair, wie längst angekündigt, seinem Labour-Kollegen und bisherigen Schatzkanzler Platz gemacht. Den Journalisten in der Downing Street rief Brown zu, er stehe für eine neue Regierung mit neuen Prioritäten. Die Pressekommentare bezweifeln dagegen lebhaft, ob sich mit ihm viel ändern wird.

Die THÜRINGER ALLGEMEINE aus Erfurt schreibt:

'Blair ließ seinen Nachfolger lange zappeln, der derweil als Finanzminister sein Talent einbrachte und als eigentlicher Spiritus Rector des stabilen britischen Wirtschaftsaufschwungs gilt. Die Gleise mit ihm sind jedoch schon so tief eingefahren, dass die höchste Erwartung darin besteht, dass er den Kurs halten kann. Browns Ankündigung, die Integration von Ausländern und das Bildungswesen verbessern zu wollen, deutet in der Tat nicht darauf hin, dass hier jemand voll neuer Ideen sprüht.'

Die SÄCHSISCHE ZEITUNG aus Dresden meint:

'Mit Gordon Brown dürfte sich - außer im Stil - an der Politik Londons wenig ändern. Innenpolitisch gibt es kaum Grund zu Kurskorrekturen. Nach außen wird der EU-Skeptiker in Brüssel vielleicht gar mehr Kopfschmerzen auslösen als Blair. Und Washington hat mit dem überzeugten USA-Freund Brown keinerlei Grund, Änderungen zu fürchten. Der Wechsel in Downing Street ist ein personeller, aber kein Politikwechsel. Nur der Gedanke, dass der britische Premier nicht mehr Tony Blair heißt, muss sich erst noch festigen.'

In der STUTTGARTER ZEITUNG heißt es:

'Die auch in Deutschland zu vernehmende Hoffnung, dass sich Großbritannien etwas von Amerika ab- und wieder mehr Europa zuwenden möge, entbehrt unter Brown jeder Grundlage. Brown ist bekennender EU-Skeptiker und hat schon die von Blair avisierte Einführung des Euro erfolgreich torpediert. Die harte Haltung der britischen Delegation beim Gipfel am vergangenen Wochenende in Brüssel war bereits ein Vorgeschmack auf Brown, der aus der Ferne die Fäden zog. Einfacher wird es Europa mit dem neuen Mann in London nicht haben.'

Und die LÜBECKER NACHRICHTEN urteilen:

'Was hinterlässt Blair seinem Erben Gordon Brown? Ein 'Cool Britannia', das lieber mit Bush in einen desaströsen Krieg zog als mit (Alt-) Europa friedliche Auswege zu suchen, das sein Atomarsenal kräftig erneuert und in dem die soziale Spaltung sogar zunimmt. Wer das als moderne Labour-Politik verkaufen kann - und das konnte Blair -, der braucht keine Konservativen mehr. Seine famose Redekunst kann Blair nun als Nahostvermittler einsetzen - und hier müssen ihm auch seine Kritiker allen erdenklichen Erfolg wünschen.'