Polen: Protest gegen "Repolonisierung"
10. August 2021Der neueste Gesetzentwurf der nationalkonservativen polnischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (PiS) zum Thema Medien richtet sich gegen TVN - den einzigen der drei größten Fernsehsender im Land, der offen proeuropäisch und regierungskritisch ist. Ein ganz besonderer Dorn im Auge von PiS ist der Nachrichtenkanal TVN24, das Flaggschiff von TVN.
Die Vorlage, die PiS Anfang Juli als Abgeordnetenprojekt, also ohne vorherige öffentliche Konsultationen, ins polnische Abgeordnetenhaus, den Sejm, eingebracht hatte, soll dort diese Woche diskutiert werden. Dann muss der Gesetzentwurf möglicherweise zur weiteren Analyse in den Senat, der zweiten Parlamentskammer. Und anschließend muss der Sejm ihn endgültig absegnen. Das wird zu einer Zitterpartie, denn das Gesetz soll nach Willen von PiS noch im September beschlossen. Dann nämlich könnte die Lizenz von TVN, die am 26.09.21 endet, nicht verlängert werden.
Derweil formiert sich im Land Widerstand gegen die Pläne der Regierungspartei. Für den Abend des 10.08.2021 sind in rund 40 Städten Proteste angekündigt, an denen fast alle Parteien der sonst zersplitterten polnischen Opposition teilnehmen. Sie befürchten, dass es bei dem PiS-Vorstoß nicht nur um den TVN geht.
Das sei nur der "Anfang", meint Jakub Karys, Chef des Komitees zur Verteidigung der Demokratie (KOD). Wenn die Regierung erst einmal mit dem größten unabhängigen Fernsehsender fertig ist, wird es leichter sein, alle anderen, kleineren unabhängigen Medien niederzumähen", sagt er in der Tageszeitung "Gazeta Wyborcza".
Kontrolle über 80 Prozent der Lokalpresse
Die "Repolonisierung" der Medien ist einer der wichtigsten Punkte auf der politischen Agenda der PiS. Die Medien in dem EU-Land sollen polnische Eigentümer haben und aus polnischer Perspektive berichten. Gleich nach ihrem Amtsantritt 2015 besetzte die PiS-Regierung das öffentlich-rechtliche Fernsehen TVP mit parteitreuen Redakteuren. Ein anderer großer Schritt in Richtung Repolonisierung folgte im Dezember 2020, als der staatliche Ölkonzern Orlen alle Medien der deutschen Verlagsgruppe Passau kaufte, was dem polnischen Staat seitdem die Kontrolle über 80 Prozent der Lokalpresse im Lande sichert.
Das geltende Rundfunkgesetz von 1992 sieht vor, dass Unternehmen, die ihren Sitz nicht im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) haben, nicht mehr als 49 Prozent der Anteile an polnischen Medien kontrollieren dürfen. TVN gehört dem US-Unternehmen Discovery, was nur deshalb möglich ist, weil die amerikanische Firma den polnischen Sender über die im EWR-Land Niederlande ansässige "Polish Television Holding BV" verwaltet. Der neueste PiS-Vorschlag will aber den mehrheitlichen Medienbesitz auch Firmen verbieten, die zwar in einem EWR-Land ihren Sitz haben, aber von Firmen außerhalb des EWR "kontrolliert" werden, wie es in der Begründung heißt.
Wer bedroht Polen?
Weiter heißt es, dass die neue Regelung dem polnischen Rundfunkrat KRRiT die Kontrolle über die Medieneigentümer erleichtern soll, auch über solche "aus Ländern, die eine wesentliche Gefahr für die Sicherheit des Staates darstellen".
Wer die Sicherheit Polens bedrohen könnte, deutete der Regierungschef Mateusz Morawiecki (PiS) kürzlich in einer Pressekonferenz an: "Stellen wir uns vor, ein Medium in Polen - ein sehr großes Portal oder Fernsehen, ein Radiosender oder eine Zeitung - würde von einem russischen, chinesischen oder arabischen Unternehmen gekauft werden. Möchten wir dann als Bürger das Recht haben, 'Nein' zu sagen?", fragte er. "Wir müssen Instrumente haben, die letztlich helfen können zu entscheiden, ob eine bestimmte Übernahme auf polnischem Boden, auf dem Territorium der Republik Polen, angemessen ist oder nicht."
"Die Regierungspartei will die Freiheit der Medien einschränken"
Doch obwohl der Premierminister von China, Russland und arabischen Staaten sprach, ist das neue Gesetz so zugeschnitten, dass es sich klar gegen TVN richtet. In der Öffentlichkeit wird es gar als "Lex TVN" bezeichnet. "Das Inkrafttreten dieses Gesetzes würde bedeuten, dass das amerikanische Unternehmen Discovery, der Eigentümer von TVN, innerhalb von sechs Monaten den Großteil seiner Anteile loswerden müsste", erklärt Ex-Chef des öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP, Juliusz Braun, der seit 2015 im Rat der Nationalen Medien Polens (RMN) die Opposition vertritt.
"Die Regierungspartei will die Freiheit der Medien einschränken, weil diese sich einmischen. Und das ist wieder ein solcher Versuch. Er entspricht der Denkweise eines großen Teils der PiS-Politiker, aber auch eines Teils der PiS-Wähler", sagt Braun der DW.
TVN will nicht nachgeben
Nach Ansicht des Managements von TVN ist der Gesetzentwurf ein Versuch, "unter dem Deckmantel des Kampfes gegen ausländische Propaganda" die Medienfreiheit einzuschränken. "Wir werden keinem Druck nachgeben und bleiben unabhängig und handeln im Sinne unserer Zuschauer", erklärte der Vorstand von TVN am 8.07.2021.
Auch die EU-Kommission sieht die Pressefreiheit in Polen durch die geplante Änderung des Rundfunkgesetzes gefährdet. Die Gesetzesnovelle sei "ein weiteres beunruhigendes Signal für die Freiheit der Medien und die Meinungsvielfalt im Land", schrieb die Kommissionsvizepräsidentin Vera Jourova am 12.07.2021 auf Twitter. Man werde die Entwicklung um TVN24 genau beobachten.
"Einem ganz bestimmten Fernsehsender den Mund stopfen"
"Diese Änderungen wurden vorgeschlagen, um einem ganz bestimmten Fernsehsender den Mund zu stopfen", sagte Cezary Tomczyk, Vorsitzender der parlamentarischen Gruppe des größten Oppositionsbündnisses "Bürgerkoalition", in einer Pressekonferenz. Heute sei es TVN, "morgen kann es jedes andere freie Medium in Polen sein". Die Machthaber hätten "panische Angst vor der Wahrheit", die von dem kritischen Sender gezeigt werde, so der Politiker.
Alarm schlägt auch Polens ehemaliger Ombudsmann für Bürger- und Menschenrechte Adam Bodnar. Die Verfasser der Gesetzesnovelle würden zwar mit der "Sicherheit" argumentieren, doch mit ihrem Entwurf würden sie selbst "eine echte Bedrohung für die wirtschaftliche Sicherheit des Staates schaffen", weil das Gesetz "den Vertrag über die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Polen und den USA verletzen würde". Das hätte, so der Ex-Ombudsmann, finanzielle Konsequenzen für den Staatshaushalt.
Propaganda statt Journalismus
Welche Folgen die Repolonisierung von Medien haben kann, konnte man zuletzt bei der Übernahme der Lokalpresse durch den staatlichen Ölkonzern Orlen sehen. "Die Art und Weise, wie diese Operation durchgeführt wurde, zeigt, dass all die Geschichten über die Wahrung der journalistischen Unabhängigkeit Märchen sind. Nach der Übernahme hat die PiS die Medien mit ihren eigenen Leuten besetzt, und zwar mit solchen, die politisch sehr stark definiert sind. Journalisten wurden einfach durch politische Propagandisten ersetzt", sagt der Medienexperte Juliusz Braun.
Falls das geplante Gesetz in Kraft tritt, würde der TVN-Eigentümer Discovery wohl nicht nur eine bestimmte Anzahl seiner Anteile verkaufen, sondern ganz aussteigen. "Wenn die Amerikaner den Sender behalten möchten, aber keine Mehrheitsanteile hätten, sondern auf die Entscheidungen anderer angewiesen wären, dann glaube ich nicht, dass sie das akzeptieren würden", so Braun.
Die Unterstützung des Parlaments für die neue Regelung ist derweil alles andere als sicher. Die Partei "Verständigung", PiS-Koalitionspartner mit 11 Sitzen im Parlament, hat bereits gegen das Abgeordnetenprojekt protestiert. Wenn ihre Fraktion das Projekt ablehnt, wäre die Regierung, die nur über eine knappe Mehrheit von 231 der 460 Sitze verfügt, auf die Unterstützung der oppositionellen rechtsnationalen Partei "Konfederacja" angewiesen, die sich für die Reduzierung des ausländischen Kapitals in Polen stark macht.