Streit um neue Pässe in Polen
17. August 2017"Entwirf den Reisepass 2018 mit uns", heißt es in einem Aufruf zu einer Internet-Abstimmung, die das polnische Innenministerium ins Netz gestellt hat. Seit Ende Juli können Besucher der Seite maximal sechs Motive auswählen, die sie auf den Seiten des neuen polnischen Passes sehen wollen. Zur Auswahl stehen sieben Persönlichkeiten, drei Ehrenmedaillen und drei Baudenkmäler.
Grenzenlose Auswahl
Wie das Innenministerium erklärt, stehen alle Motive im Zusammenhang mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens nach dem Ersten Weltkrieg. Polen war Ende des 18. Jahrhunderts unter seinen Nachbarn Preußen, Russland und Österreich aufgeteilt worden und für 123 Jahre von der europäischen Landkarte verschwunden. Erst nach dem Ersten Weltkrieg wurde es wieder ein eigenständiger und unabhängiger Staat. Im nächsten Jahr feiert Polen das 100. Jubiläum der Unabhängigkeit.
Die sechs Motive mit den meisten Stimmen sollen sich zusammen mit 13 bereits von einer Expertengruppe ausgwählten Motiven im neuen Reisepass wiederfinden. Nun sorgen zwei der drei vorgeschlagenen Baudenkmäler für diplomatische Spannungen mit den östlichen Nachbarländern Ukraine und Litauen. Zur Auswahl stehen nämlich ein Stadttor der litauischen Hauptstadt Vilnius und ein Teil des Friedhofs von Lwiw, auf dem so genannte "Junge Adler" beigesetzt sind.
Im Stadttor hängt eine von den Polen verehrte Madonnenikone aus jener Zeit, als Vilnius, damals Wilna, Teil der gemeinsamem Adelsrepublik Polen-Litauen war.
Der Friedhof in der heute westukrainischen Stadt Lwiw, das bis 1918 Lemberg hieß, ist für Hunderte von polnischen Kindersoldaten die letzte Ruhestätte. Sie kämpften 1918/19 dafür, dass Lemberg Teil Polens werden sollte. Die ukrainische Nationalbewegung reklamierte die Stadt damals für sich.
Historische Reizmotive
Beide Baudenkmäler lagen vor dem Zweiten Weltkrieg in Polen, gingen aber nach dem Krieg an die Sowjetunion. Seit 1991 liegen sie in der Ukraine und in Litauen. Es gehe nicht an, dass sich unter den Motiven des neuen polnischen Passes Orte befänden, die heute im Ausland lägen, protestierten zuerst Kiew und später auch Vilnius.
Mittlerweile sieht es danach aus, als hätte keines der beiden ausländischen Motive eine Chance, sich im neuen polnischen Reisepass wieder zu finden. Das Stadttor mit der Marienikone befindet sich auf dem achten, der Friedhof in Lwiw abgeschlagen auf dem zwölften Platz, obwohl beide Baudenkmäler von nostalgischen polnischen Touristen in den beiden Nachbarländern gerne besucht werden. Vor allem das Stadttor hat für sie kulturellen und religiösen Wert. Revisionistische Regungen sind damit bisher nicht verbunden. Allerdings fürchten sowohl Vilnius wie auch Kiew, dass die nationalpatriotische Geschichtspolitik der Kaczynski-Regierung längerfristig dazu führen könnte.
Moskau mischt sich ein
Diese Sorgen macht sich nun der Kreml zunutze. Nicht Moskau, sondern ausgerechnet Warschau würden den beiden westwärts gewandten Ländern Gebiete streitig machen, berichtete das Staatsfernsehen "Rossija 24" genüsslich. "Die Polen wollen die Ukraine zerteilen, sie wollen gar Lwiw angreifen", hiess es in einer Polit-Talkshow des russischen Fernsehens.
Der Hintergrund in Polen ist indes innenpolitisch: Regierungspolitiker wie Innenminister Mariusz Błaszczak wetteifern darin, Parteichef Jaroslaw Kaczyński zu gefallen. Dazu gehört offensichtlich auch die patriotische Ranking-Webseite des Innenministeriums. Sie zeigt neben den wenig attraktiven, briefmarkengroßen schwarz-weißen Passmotiven vor allem ein großes farbiges Porträt von Błaszczak selbst.
Das Innenministerium hat inzwischen klar gestellt, dass die Abstimmung "nur konsultativen Charakter" habe. Entschieden über die neuen Passmotive werde erst im September.