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Politik

Polen, Deutschland und der Schatten des Krieges

Christoph Hasselbach | Rosalia Romaniec
1. September 2019

Der Zweite Weltkrieg prägt das deutsch-polnische Verhältnis bis heute. Die Forderungen nach Reparationen und Pläne eines Denkmals für polnische Opfer zeigen, dass der Überfall auf Polen noch immer seinen Schatten wirft.

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Polen, Wehrmachtssoldaten in Wieluń
Bild: Muzeum Ziemi Wieluńskiej

Polen war nicht nur das erste Opfer Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. Es hatte, gemessen an der Gesamtbevölkerung, die meisten Toten zu beklagen. Auch die Zerstörungen polnischer Städte und Kulturgüter waren verheerend.

Von dem Ausmaß der Schäden wissen allerdings auch 80 Jahre nach dem Angriff auf Polen nur wenige Deutsche. Das räumte neulich der deutsche Außenminister Heiko Maas ein, als er wegen des 75. Jahrestages des Warschauer Aufstands das Nachbarland besuchte.

Erinnerung stärken

Auch Leo Mausbach teilt diese Meinung. "Wir wissen sehr wenig darüber, was wir im Zweiten Weltkrieg den Polen angetan haben und wie viele offene Wunden es bis heute hinterlässt", sagt der junge Deutsche, der in Warschau lebt und in der Wirtschaftszusammenarbeit aktiv ist. Mausbach erklärt, warum der Dialog auch 80 Jahre danach schwer ist: "Der Überfall auf Polen im September 1939 spielt tatsächlich keine große Rolle im deutschen Gedächtnis, während der Widerstand gegen die brutale deutsche Besatzung ein Kernelement der polnischen Identität ist." Solange die Deutschen es nicht verstünden, seien die Versöhnung ebenso wie die europäische Einigung schwierig.

Polen Deutschland Geschichte Jahrestag Jahrestag Überfall auf Polen Bomber
Ungeheure Verwüstungen: deutsche Bomber 1939 über PolenBild: ullstein bild - SV-Bilderdienst

Der Deutsche engagiert sich deshalb für ein neues Denkmal in Berlin. Polen bemüht sich seit Jahren für einen Gedenkort, an dem an polnische Opfer der deutschen Besatzung erinnert werden kann. Bisher ist wenig passiert. Man dürfe nicht an Opfer in nationaler Dimension denken, es könnten nicht alle Opfergruppen gesondert ein Denkmal bekommen, so die bisherige Argumentation aus Deutschland.

Kurz vor dem 80. Jahrestag des deutschen Überfalls bewegt sich aber nun doch etwas. 240 Abgeordnete aller im Bundestag vertretenen Parteien - mit Ausnahme der rechtspopulistischen AfD - unterstützen das Vorhaben. Ein solches Denkmal könne dazu anregen, "sich stärker mit dem polnischen Leid unter deutscher Besatzung zu beschäftigen", meinte kürzlich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble. Auch Außenminister Heiko Maas äußerte sich klar zur Denkmalidee: "Das ist lange überfällig."

Schwere Hypothek

Nach 1945 unterhielten Polen und die Bundesrepublik mehrere Jahrzehnte lang keine diplomatischen Beziehungen. Erst der Besuch von Willy Brandt 1970 brach das Eis. Doch der Weg zur Normalität dauert noch an.

Warschau Kniefall Willy Brandt 1970
Willy Brandts Kniefall 1970 in Warschau war ein Meilenstein auf dem Weg zu einer Verbesserung der BeziehungenBild: Imago/Sven Simon

Bis 1990 erkannte die Bundesrepublik Deutschland offiziell nicht die Oder-Neiße-Grenze mit Polen an. Die Regierung der DDR akzeptierte sie nur auf Druck Moskaus und ohne gesellschaftliche Diskussion. Kurz vor der deutschen Wiedervereinigung und auf Druck der Alliierten erkannte Deutschland im Rahmen der Verhandlungen des Zwei-plus-Vier-Vertrages seine Ostgrenze endgültig an, was den Durchbruch für die Nachbarschaft brachte.

Die 90er Jahre gelten als die goldenen in den beiderseitigen Beziehungen. Die Kontakte auf allen Ebenen intensivierten sich. Deutschland unterstützte Polens Beitritt zu NATO und EU.

Neue Misstöne

Doch längst sind wieder Misstöne in den Beziehungen zu hören. In Polen wird zum Beispiel misstrauisch verfolgt, dass man in Deutschland die eigenen Opfer von Vertreibung neu entdeckt. Polnische Historiker und Politiker vermissen mitunter den Hinweis, dass diese Vertreibung eine Folge deutscher Aggression war.

Auch der wachsende Rechtspopulismus in Deutschland besorgt viele Polen. Der AfD-Vorsitzender Alexander Gauland hat vom Nationalsozialismus als "Vogelschiss der Geschichte" gesprochen, während der thüringische AfD-Landeschef Björn Höcke eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert hat. Das sät Misstrauen.

Alexander Gauland
Der AfD-Vorsitzende Gauland hat den Nationalsozialismus als "Vogelschiss der Geschichte" bezeichnetBild: DW/K. A. Scholz

Hinzu kommen politische Meinungsunterschiede, auch auf europäischer Ebene, etwa beim Thema der Flüchtlingspolitik oder der Rechtsstaatlichkeit in Polen. Das färbt auf andere Bereiche ab. Der Bonner Historiker Prof. Martin Aust rät, man solle sich bei den politischen Auseinandersetzungen "bewusst machen, die polnische Gesellschaft nicht mit der polnischen Regierung zu verwechseln".

Reparationsforderungen würden Rechtspopulismus stärken

Ein Thema, das das Verhältnis erneut auf eine Belastungsprobe stellt, sind Reparationsforderungen. Die PiS-Regierung spricht aus, was frühere polnische Regierungen nicht mehr thematisieren wollten: "Mehr als tausend polnische Dörfer sind von Deutschen ausgelöscht worden", sagte kürzlich in einem Interview der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki. "Die Summe, die wir fordern, werden wir seriös ermitteln", kündigte er an.

Noch hat die Regierung keine konkreten Forderungen gestellt. Doch arbeitet eine Sejm-Kommission seit zwei Jahren an der Berechnung. Im Herbst soll sie vorgestellt werden. Bisher ist von rund 800 Milliarden Euro möglicher Entschädigungssumme die Rede.

Der polnische Außenminister Jacek Czaputowicz sprach kürzlich von "mangelnder Fairness" und "Diskriminierung" seines Landes durch Deutschland. Andere Länder seien im Verhältnis zu ihren Kriegsschäden besser behandelt worden. Für die Bundesregierung ist die Frage dagegen seit langem "rechtlich und politisch abgeschlossen". Gleichzeitig betont man stets die moralische Verantwortung Deutschlands.

Polen 75. Jahrestag Warschauer Aufstand | Heiko Maas & Jacek Czaputowicz, Außenminister
Außenminister Maas (l.) und Czaputowicz: Kommen Reparationen zurück auf die Tagesordnung?Bild: Getty Images/AFP/J. Skarzynski

Der Historiker Martin Aust hielte es bei allem Verständnis für polnische Empfindlichkeiten für politisch unklug, Reparationsforderungen zu stellen. Denn das würde "Öl ins Feuer des Populismus" in Deutschland gießen und die bilateralen Beziehungen belasten.

Schwieriger Dialog steht an

In Polen sieht man das anders. "Unser Verhältnis ist so gut, dass es eine offene und ehrliche Debatte über schwierige Themen aushält", sagt Ryszard Czarnecki, ein PiS-Abgeordnete im Europäischen Parlament. Der Politiker erwartet von der deutschen Regierung, dass sie sich dem Thema nicht verweigert. "Es ist genau diese Nein-Haltung, die dazu führt, dass wir aneinander vorbeireden", meint er und fügt hinzu, es sei sich "sicher, dass es zwischen Deutschland und Polen noch Verhandlungen über Reparationen in irgendeiner Form" geben werde.

Ob solche Forderungen die richtige Form des künftigen Dialogs sind, daran zweifelt Leo Mausbach. Der junge Deutsche war überrascht, als das Thema plötzlich von der Politik thematisiert wurde. Doch "der Schock trat ein, als ich merkte, dass meine polnischen Freunde, die sonst wenig mit dieser Regierung anfangen können, in dieser Frage gleicher Meinung sind", sagt Mausbach. Es mache ihn nachdenklich, wie stark das Gefühl der Ungerechtigkeit und des Nichtverstandenwerdens in Polen sei. Dennoch glaubt er, dass eine Debatte und sogar ein Streit darüber die heutigen Beziehungen nicht entscheidend belasten werden.

Christoph Hasselbach
Christoph Hasselbach Autor, Auslandskorrespondent und Kommentator für internationale Politik
Rosalia Romaniec | DW Mitarbeiterin | Leiterin Current Politics
Rosalia Romaniec Leiterin Current Politics / Hauptstadtstudio News and Current Affairs@RosaliaRomaniec