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Die PKK in Deutschland

Naomi Conrad 3. April 2013

In Deutschland leben fast eine Million Kurden - nicht wenige unterstützen die PKK. In Europa gibt sich die Guerilla-Organisation betont gewaltfrei. Ob sie es bleibt, hängt eng mit dem Kurdenkonflikt zusammen.

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Kurdische Demonstranten mit Öcalan-Fahne in Hannover, 2009. (Foto: dpa)
Abdullah Öcalan Kurden Führer Hannover Demonstration PKKBild: picture-alliance/dpa

Zur PKK fand Ismael in Berlin. Organisation, so nennt er die Arbeiterpartei Kurdistan, die vom Verfassungsschutz als terroristische Vereinigung eingestuft - und von vielen Kurden verehrt wird, weil sie für ihre Rechte kämpft. Wird er direkt nach der PKK gefragt, dann lehnt sich Ismael über den Tisch in einem türkischen Dönerladen im Stadtteil Kreuzberg und senkt die Stimme. Seinen vollständigen Namen und ein Foto von sich möchte er nicht veröffentlichen.

800.000 Kurden leben nach Angaben des Verfassungsschutzes in Deutschland, das macht sie zur größten Diaspora in Europa. In Deutschland verfügt die PKK über "eine nicht zu unterschätzende gesellschaftliche Basis", so Gülistan Gürbey, Politikwissenschaftlerin an der Freien Universität Berlin. Der Verfassungsschutz schätzt die Anzahl der PKK-Anhänger auf etwa 13.000, Tendenz steigend. Die Kurden sind aus dem Iran, Irak und Syrien nach Deutschland gezogen, der Großteil aber stammt aus der Türkei. Dort wurden sie jahrzehntelang einer Politik der gezwungenen Assimilation ausgesetzt. Wer kurdisch sprach oder seinem Kind einen kurdischen Vornamen gab, konnte verhaftet werden - und wer sich für kurdische Rechte stark machte, sowieso.

In der kleinen Dorfschule, eine Stunde Fußmarsch von Ismaels Elternhaus entfernt, mussten die Schüler morgens schwören, dass sie Türken seien. "Wenn wir kurdisch sprachen, wurden wir geschlagen." Er zuckt die Schultern unter seinem braunen Cordjackett. "Wenn es damals die PKK gegeben hätte, wäre ich auch in die Berge gegangen."

Millionenspenden aus Deutschland

Ismael hätte sich wohl der kurdischen Guerilla angeschlossen, die Anfang 1984 einen bewaffneten Krieg gegen den türkischen Staat lancierte. Er studierte aber in Berlin, als die PKK von den Bergen in der Südtürkei aus für die Errichtung eines unabhängigen sozialistischen Kurdenstaats kämpfte und das türkische Militär brutal zurückschlug. Also wurde er nicht Guerillakämpfer, sondern "Sympathisant", wie er es nennt. Noch heute engagiert er sich im kurdischen Verein und nimmt an Demonstrationen gegen das türkische Militär teil. "Nichts weiter", sagt er. Denn offiziell mehr zu sein würde bedeuten, sich in die Illegalität zu begeben.

Junge mit Öcalan-Fahnen in der Südtürkei (Foto: Reuters)
In den Kurdengebieten in der Türkei wurde der Waffenstillstand Ende März mit Jubel begrüßtBild: Reuters

In den 1990er-Jahren erreichte der Bürgerkrieg in der Türkei einen Höhepunkt. Mit einer Anschlagswelle auf türkische Institutionen, Reisebüros und andere Geschäfte in deutschen Großstädten schwappte der Kurdenkonflikt nach Deutschland über. Es folgten ein Verbotsverfahren und die Einstufung als terroristische Vereinigung, später auch durch die EU. Zur PKK und ihrem Propaganda-Apparat gehören in Europa operierende Fernsehsender, Zeitungen und Kulturvereine. Sie finanzieren sich durch Spenden der kurdischen Gemeinden. In Deutschland, so heißt es aus Berliner Sicherheitskreisen, erzielt die PKK jährlich Spendeneinnahmen in einstelliger Millionenhöhe.

PKK 2.0?

Ismael schüttelt die Vorwürfe ab. Natürlich würden junge Menschen aus Deutschland auch in die Berge gehen. "Das ist normal, das kann man nicht verhindern." Aber aktiv werde niemand rekrutiert. Und die Spenden? Eine kurze Pause. Alles freiwillig, niemand werde gezwungen. Vielleicht, fügt er noch hinzu, käme es mal zu Erpressungsversuchen. "Aber das sind Banditen, die sich als PKK ausgeben", sagt er bestimmt.

Auch die Berliner Polizei spricht von Einzelfällen. In den letzten Jahren habe es zwar Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit möglichen Erpressungsversuchen durch die PKK gegeben. Allerdings nur "sehr vereinzelt", sagte ein Polizeisprecher der DW. Das letzte Verfahren liege fünf Jahre zurück.

PKK-Kämpferinnen reinigen ihre Waffen (Foto: Anastasia Taylor-Lind/eyevine/ZPress)
In der PKK kämpfen auch viele FrauenBild: picture-alliance/dpa

Neue Strategie

Der Journalist Nick Brauns schiebt ein dickes Buch über den Tisch in der sonnigen Küche seiner Berliner Wohnung. "Kennen Sie das? Das ist das Standardwerk zur PKK." Er hat es vor drei Jahren verfasst. Vor kurzem sei es von der Polizei während einer Razzia in einem kurdischen Verein beschlagnahmt worden. Er zuckt die Schultern: "Gute PR." Vor 20 Jahren ist der Journalist, der heute für die Linkspartei arbeitet, auf einer Demonstration gegen den ersten Golfkrieg auf die PKK gestoßen. Seitdem engagiert er sich für die kurdische Sache, schreibt mal Flyer und hat mehrmals PKK-Camps in den türkischen Bergen besucht. Brauns ist sich sicher, dass ihn der Verfassungsschutz beobachtet. Brauns hält das Verbot für falsch: In den letzten Jahren habe die PKK versucht, ihr Image in Europa zu verbessern - und gebe sich betont gemäßigt.

Ein Gründungsmitglied der PKK, Muzaffa Ayata, betont, dass die PKK Kader strikte Anweisungen gegeben habe, sich legal und gewaltfrei zu verhalten. Ayata, der heute in Stuttgart lebt, gibt aber zu, dass nicht auszuschließen sei, dass sich einzelne Kurden provozieren lassen könnten. Er erzählt vom Wandel, den die PKK seit den späten 1990er-Jahren auf Anweisung ihres Anführers, Abdullah Öcalan, der seit 1999 im türkischen Gefängnis sitzt, vollzogen habe: Aus dem Kampf für einen eigenen kurdischen Nationalstaat wurde die Forderung nach mehr Rechten für Kurden innerhalb der Türkei. Denn in den letzten Jahren sind viele Kurden auf der Suche nach Arbeit nach Istanbul und andere türkische Großstädte gezogen. Das erschwert den Aufbau eines Nationalstaates. Hinzu kommen Zugeständnisse der türkischen Regierung, etwa kurdische Fernsehsendungen und Sprachschulen zuzulassen.

Zeit für eine Neuwertung der PKK?

Die PKK habe eingesehen, dass der Kampf militärisch letztlich nicht zu gewinnen sei, sagt Reimar Heider von der Initiative "Freiheit für Abdullah Öcalan". Deshalb habe sich auch die militärische Strategie der PKK gewandelt: weg vom bewaffneten Kampf und der "Befreiung" von kurdischen Gebieten in der Südtürkei, hin zur Absicherung des politischen Prozesses.

Türkischer Soldat bei der Patrouille (Foto: Xinhua /Landov/dpa)
Ob türkische Soldaten auch in Zukunft in den Kurdengebieten patrollieren, bleibt abzuwartenBild: picture-alliance/dpa

"Bis jetzt war dieser bewaffnete Kampf okay", sagt Ismael. "Aber jetzt ist es an der Zeit, den Kampf vor allem politisch weiter zu führen." Er meint damit die Gespräche, die seit ein paar Monaten zwischen der PKK und der türkischen Regierung geführt werden. Die Regierung verspricht mehr Rechte für Kurden - die PKK ihrerseits stellt einen möglichen Rückzug in die nordirakischen Berge in Aussicht, bis hin zur vollständigen Entwaffnung. Ende März verkündete die PKK nun einen Waffenstillstand.

Hält der Frieden, dann müsste Deutschland das PKK-Verbot überdenken, glaubt die Politikwissenschaftlerin Gürbey. "Dann müsste eine neue Wertung vorgenommen werden." Aus Sicherheitskreisen heißt es allerdings, dass dieser Schritt noch nicht in Erwägung gezogen werde. Denn schon früher wurden Gespräche geführt und Waffenruhen gebrochen. Die völlige Entwaffnung ist wohl noch weit entfernt.

"Wenn die Waffen kommen, dann sollte man auch zu den Waffen greifen können", sagt Ismael: Selbstverteidigung also. Er traut der türkischen Regierung nicht - und verweist auf Syrien, wo ein Ableger der PKK im kurdischen Grenzgebiet zum Irak gegen das Assad-Regime kämpft. Nein, noch sei es nicht an der Zeit, die Waffen abzugeben, die Zukunft sei zu ungewiss. Erst dann, wenn Kurden und Türken tatsächlich gleichberechtigt seien, sagt Ismael, könne der Kampf beendet werden.