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Politik

Pastoren-Familien in der Türkei unter Druck

Deger Akal
27. Juni 2020

Evangelische Geistliche und ihre Familien haben in der Türkei offenbar zunehmend Probleme mit Behörden: Stammt ein Familienmitglied aus dem Ausland, droht die Abschiebung. Vertreter der Christen haben einen Verdacht.

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Türkei Lütfü Subaşıgüller
Bild: Privat

Die US-Amerikanerin Joy Anna Crow Subasigüller lebte zehn Jahre lang ein unbeschwertes Leben in der Türkei. Sie heiratete einen türkischen Mann und gründete eine Familie - heute ist sie Mutter von drei Kleinkindern. Doch plötzlich steht sie vor einem existenziellen Problem: Ihr Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde von der Migrationsbehörde überraschend abgelehnt. "Sonstige Gründe", lautet die ebenso schlichte wie kryptische Erklärung der türkischen Behörden.

"Die Entscheidung macht mich sehr traurig. Ich liebe die Türkei und die Türken. Zehn Jahre habe ich in diesem Land gelebt; es waren die besten meines Lebens", sagt Joy Anna Crow Subasigüller. "Ich bin keine Person, von der eine Gefahr ausgeht. Ich bin nur zuhause und kümmere mich um meine Kinder."

Sie geht davon aus, dass ihre bevorstehende Abschiebung mit ihrem Ehemann zusammenhängt - dieser ist in der türkischen Hauptstadt Ankara als evangelischer Pastor tätig. Gegen die Entscheidung will das Ehepaar Berufung einlegen. Unter anderem erhoffen sie sich von dem Berufungsprozess, die Gründe der Ablehnung zu erfahren.

Plötzlich eine Gefahr für die nationale Sicherheit

"Wir haben ein Baby, das noch gestillt wird. Die Kinder können ohne ihre Mutter nicht leben. Verlangt man von uns wirklich, dass wir unser Zuhause, unsere Verwandtschaft und unser Land verlassen? Ich bin türkischer Staatsbürger; gleiches gilt für meine drei Kinder", sagt Pastor Lütfü Subasigüller.

Es gebe Hinweise, berichtet er der DW, dass die Ablehnung damit zu erklären sei, dass seine Frau angeblich die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung gefährde. Ähnliches sei anderen Vertretern der protestantischen Gemeinde oder ihren Ehepartnern widerfahren. "Wir sind Menschen, die für unser Land beten und nicht die nationalen Interessen gefährden. Wir würden niemals die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit infrage stellen", beteuert der Pastor.

Der Fall Brunson wirkt nach

Seit dem Jahr 2019 ist in der Türkei der Trend zu beobachten, dass protestantische Geistliche aus dem Ausland und ausländische Ehepartner türkischer Geistlicher um ihre Aufenthaltsgenehmigungen bangen müssen. Vertreter der protestantischen Gemeinde glauben, dass der Eklat um den US-amerikanischen Pastor Andrew Brunson dazu beigetragen habe, dass die Geistlichen als Sicherheitsrisiko gesehen würden. Brunson wurde von türkischen Behörden verhaftet, weil ihm eine Beteiligung am Putschversuch im Juli 2016 vorgeworfen wurde. Die Trump-Regierung machte Druck; sie erhob Strafzölle auf Stahl und Aluminium, nachdem ein türkisches Gericht die Freilassung Brunsons zunächst abgelehnt hatte. Die US-Sanktionen haben die Wirtschaftskrise in der Türkei stark verschärft. Im Oktober 2018 konnte Brunson schließlich ausreisen.

Erst nach massivem US-Druck kam der rund zwei Jahre in der Türkei festgehaltene Pastor Andrew Brunson frei
Erst nach massivem US-Druck kam der rund zwei Jahre in der Türkei festgehaltene Pastor Andrew Brunson freiBild: picture-alliance/dpa/E. Tazegul

Der Präsident der Protestantischen Kirchenstiftung von Istanbul (IPKV), Timur Topuz, hat eine zunehmende Anfeindung von evangelischen Pastoren beobachtet: "Nach der Causa Brunson werden nun alle Pastore unter Generalverdacht gestellt." Dass protestantischen Pastoren und ihren Familien die Aufenthaltserlaubnis entzogen oder nicht verlängert werde, sei immer mehr ein systematisches Problem, klagt Topuz. "Bei 35 Geistlichen aus der türkisch-protestantischen Gemeinde gibt es solche Probleme." Mit den Familienangehörigen betreffe dies insgesamt hundert Christen.

Auch Topuz kann nicht nachvollziehen, warum die protestantische Gemeinde eine Bedrohung für die öffentliche Sicherheit darstellen soll. "Unser geistliches Oberhaupt in der Türkei - Pastor Carlos Madrigal aus Spanien - erfüllt seit 19 Jahren seinen Dienst und erhielt jedes Mal aufs Neue eine Arbeitserlaubnis vom Arbeitsministerium, und zwar nach Rücksprache mit dem türkischen Geheimdienst MIT. Jetzt aber nicht mehr. Warum soll plötzlich von dieser Person eine Bedrohung ausgehen?"

Der Präsident der Protestantischen Kirchenstiftung von Istanbul, Timur Topuz
Der Präsident der Protestantischen Kirchenstiftung von Istanbul, Timur TopuzBild: Privat

Er sei enttäuscht darüber, dass die Türkei in Fragen der Religionsfreiheit Rückschritte mache. "Noch im Jahr 2006 erhielt unsere Kirche den Status eines Gotteshauses. Es war ein wichtiges Zeichen für Religionsfreiheit und hat uns damals Hoffnung gemacht", sagt Topuz.

Politiker werden auf das Problem aufmerksam

Auch Oppositionspolitiker haben bereits auf die Angelegenheit reagiert. Tuma Celik - Abgeordneter von der linksgerichteten HDP - setzte das Thema im türkischen Parlament auf die Tagesordnung. Der Politiker erklärte, dass Abschiebungsbeschlüsse gegen die Religionsfreiheit verstießen und zudem die Integrität von Familien gefährdeten. Er forderte Auskunft darüber, wie viele christliche Geistliche bereits mit welcher Begründung abgeschoben worden seien. Auch Celik geht davon aus, dass die Pastore und ihre Angehörigen als Bedrohung der nationalen Sicherheit klassifiziert werden.

Aramäer – bedrängte Minderheit in der Türkei

Der HDP-Abgeordnete sieht sowohl ein politisches als auch ein strukturelles Problem. In der Türkei gebe es Schwierigkeiten, Religionen neben dem Islam als gleichwertig zu betrachten - man erkenne ihnen die grundlegendste Rechte ab, so Celik. "Bevor man ein Problem lösen kann, muss man es sich zunächst einmal eingestehen". Zwar sei Religionsfreiheit rechtlich verankert, doch de facto komme sie nicht zur Anwendung.

Doch die türkische Regierung hält sich zu dem Thema bisher äußerst bedeckt. Bereits im März setzte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan die Abschiebungen von Protestanten auf die Tagesordnung des türkischen Parlaments. Bis heute wartet der Abgeordnete vergeblich auf eine Reaktion des Innenministeriums. Die genauen Umstände der bevorstehenden Ausweisungen bleiben somit ein Rätsel - sowohl für die Opposition als auch für die Pastorenfamilie Subasigüller.