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Otto Schilys fünfstündiger Redemarathon

Judith Hartl15. Juli 2005

Vor dem Visa-Ausschuss des Bundestages wurden 55 Zeugen vernommen - als letzter Bundesinnenminister Otto Schily. Judith Hartl war dabei und berichtet. Mit vielen Originalzitaten.

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Schily redete den Ausschuss in Grund und BodenBild: AP

Er redete und redete - und redete. Nach einer Stunde Monolog zur Visa-Affäre unterbricht der Untersuchungsausschuss-Vorsitzende Hans-Peter Uhl den Innenminister:

"Herr Schily, wir sind hier primär zusammengekommen, um Sie befragen zu können. Auf der anderen Seite haben Sie natürlich das Recht, das zu tun, was Sie jetzt über eine Stunde getan haben, nämlich im Zusammenhang vorzutragen. Und da wollte ich Sie auch nicht unterbrechen. Auf der anderen Seite verstehe ich, dass sich hier eine gewisse Ungeduld breit macht, weil wir natürlich noch zu Fragen kommen wollen."

Schily blieb ziemlich unbeeindruckt. Redete weiter, ratterte Paragraphen und Zitate herunter in Engelsgeduld. Auf die nächste Unterbrechung des Vorsitzenden, mit der Bitte, doch demnächst zum Ende zu kommen, meinte Schily nur trocken:

"Ich verstehe ja die Unruhe einiger Herren, aber Sie werden mich nicht davon abbringen, von meinem Recht gebrauch zu machen, in der Ausführlichkeit den Sachverhalt darzustellen, wie ich das für geboten halte. Ich stehe Ihnen danach für alle Fragen zur Verfügung. Ich weiß, dass Sie hier 14 Stunden tagen. Von mir aus tagen Sie 20 Stunden, wenn wir einigermaßen die Morgenstunden erreichen, wär's mir angenehm, weil ich morgen eigentlich geplant hatte, für ein paar Tage in die Ferien zu fahren, aber notfalls können wir auch das verschieben. Dann werde ich zwar Ärger mit meiner Frau bekommen, aber auch das werde ich notfalls ertragen können, Herr Vorsitzender."

Nach etwa fünf Stunden des Monologisierens war Otto Schily dann endlich fertig - und das Wichtigste war gesagt: Von dem Volmer-Erlass habe er erst aus der Presse erfahren, gibt Schily zu. Durch diesen Erlass im Jahr 2000 wurden die deutschen Botschaften zu einer liberaleren Visums-Erteilung aufgerufen - ganz unter dem Motto - im Zweifel für den Antragsteller. Vor allem in der Ukraine kam es danach zu massivem Missbrauch:

"Das Informationsverhalten des Auswärtigen Amtes gegenüber dem Bundesministerium des Inneren in Visa-Fragen war - das muss ich hier ansprechen - nicht immer optimal."

Er habe darauf einen kritischen Brief an den Außenminister geschrieben, sagt Schily. Und es sei bedauerlich gewesen, dass Joschka Fischer auf seine Warnungen nicht reagiert habe. Das habe Joschka Fischer mittlerweile auch eingesehen:

"Ich benenne das nicht, um hier eine herbe Kritik an dem Auswärtigen Amt vorzutragen, aber es gilt, diese Informationsdefizite in Zukunft zu vermeiden. Ich bin mir vollständig sicher, dass Fischer mit mir übereinstimmt."

Schily betonte aber - und das mehrfach -, dass ausschließlich das Auswärtige Amt über die Vergabe von Visa entscheidet. Eine Verantwortung für sein Haus - das Innenministerium - wies Otto Schily zurück. Die Reaktionen nach der ersten Etappe - eine Pause war nötig - waren gespalten. Eckard von Klaeden, Obmann der CDU meinte sichtlich genervt:

"Die Absicht ist erkennbar, und man ist verstimmt darüber, dass er seinen langen Vortrag so lange ausgedehnt hat, bis der Redaktionsschluss bei den überregionalen Zeitungen eingetreten ist."

Und ergänzt zu den Inhalten von Schilys Vortrag:

"Er hat die Verantwortung für die Erlasse, die nach Ansicht der Regierung für den Visa-Missbrauch verantwortlich sein sollen, eindeutig dem Auswärtigen Amt zugeschoben. Das ist ein Widerspruch zur Aussage von Außenminister Fischer, der das Innenministerium mitverantwortlich gemacht hatte."

Erfreut und zufrieden dagegen, wie erwartet - die Obmänner der SPD und der Grünen, Olaf Scholz und Jerzy Montag. Wie lange die Vernehmung Otto Schilys dauern wird, ist offen. Der Innenminister scheint sich auf einen langen Abend eingerichtet zu haben. Und fast sieht es so aus als würde es ihm regelrecht Spaß bereiten, seine Widersacher auf die Palme zu bringen.