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Politik

Onlinebörsen für Ungeimpfte

16. Januar 2022

Weil die Diskussion um eine Impfpflicht in vielen Ländern immer mehr Fahrt aufnimmt, entstehen im Internet immer mehr Jobbörsen explizit für Ungeimpfte. Auch beim Online-Dating bleiben Impfgegner lieber unter sich.

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Symbolbild Homeoffice
Bild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

"Goldschmied (m/w/d) zur Verstärkung unseres Teams gesucht! Kreativ, engagiert, motiviert und mit viel Fingerspitzengefühl." So steht es in der Stellenanzeige eines Würzburger Juweliers. Auf den ersten Blick liest sie sich wie jede andere. "Du solltest folgende Eigenschaften mitbringen: eigenverantwortliches Arbeiten, Genauigkeit, Ausdauer und Teamfähigkeit." Nicht mitzubringen ist dagegen eine COVID-19-Impfung. Denn diese Stellenanzeige findet sich auf dem Schweizer Job-Portal "impffrei.work".

Seit Juli 2021 vermittelt diese "alternative Jobbörse" Arbeitskräfte im gesamten deutschsprachigen Raum - von Handwerkern über Sales-Manager bis hin zu Softwareentwicklern - und hat es sich dabei nach eigenen Angaben zur Aufgabe gemacht, "der Ausgrenzung und Diffamierung von Arbeitnehmern entgegenzuwirken" und "Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer vor dem wirtschaftlichen Totalschaden zu bewahren", der durch die "sogenannte Pandemie" drohe. 

Zunehmender Druck auf Ungeimpfte

Schon das Logo der Seite - eine Faust, die eine Spritze zerschlägt - wirkt wie eine Kampfansage. "Viele intelligente und freiheitsliebende Menschen", heißt es auf der Seite, hätten die "gesundheitlichen Gefahren" von Impfstoffen erkannt und ließen sich daher nicht impfen. Damit, so weiter, riskierten sie nun aber ihren Job.

Tatsächlich wird weltweit der Druck auf Ungeimpfte auf dem Arbeitsmarkt immer größer, sagt Tobias Werner, Berliner Anwalt für Arbeitsrecht. Mehrere internationale Unternehmen, darunter IKEA oder die Citigroup, haben bereits beschlossen, Leistungen für Ungeimpfte wie etwa das Krankengeld zu kürzen oder Ungeimpfte künftig gar nicht mehr einzustellen.

"Grundsätzlich ist solch ein Vorgehen bei Neueinstellungen auch zulässig", so Werner. "Bereits bestehende Arbeitsverträge mit Ungeimpften können zwar nicht einfach gekündigt werden. Aber diese Mitarbeiter könnten gegebenenfalls auf eine andere Stelle versetzt werden." Noch schärfere Regelungen gibt es in den Ländern, in denen bereits Impfpflichten für bestimmte Berufe gelten. Auch in Deutschland greift eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitssektor ab dem 15. März.  

Auch Gesundheitseinrichtungen suchen

Ausgerechnet in diesem Bereich finden sich jedoch bei der Jobbörse auffällig viele Stellenangebote - auch aus Deutschland. Apotheker, Zahnarzthelfer, Hebammen, sogar Pflegekräfte werden hier gesucht - teils mit dem expliziten Zusatz "Ungeimpfte sind speziell willkommen". Spätestens Mitte März jedoch könnten die hier inserierenden Arbeitgeber ein Problem bekommen.

"Ab dann besteht in Deutschland eine Impfpflicht für das gesamte Personal, das in Kliniken, Pflegeeinrichtungen oder Arztpraxen arbeitet - und damit dürfen Mitarbeiter, die keinen Nachweis über eine Impfung oder Genesung erbringen, nicht mehr eingesetzt werden", so Werner. Im Falle eines Verstoßes drohen Bußgelder sowohl für den Arbeitgeber als auch für den Arbeitnehmer. Unter Umständen könnten dort beschäftigte Ungeimpfte dann sogar ihren Job verlieren.

Coronavirus Pulsnitz | Patienten auf der Intensivstation
Künftig nur noch mit Schutzimpfung: Ab dem 15.3. gilt in ganz Deutschland die einrichtungsbezogene Impfpflicht in GesundheitsberufenBild: Robert Michael/dpa/picture alliance

Die inserierenden Arbeitgeber lassen sich davon jedoch nicht abhalten. Mit derzeit rund 550 Stellenangeboten ist das Schweizer Portal zwar eher klein. Doch in den vergangenen Monaten sind vergleichbare Jobbörsen in mehreren Ländern der Welt entstanden. So gibt es in Kanada etwa "Jabless Jobs" (zu deutsch in etwa: "Stellen ohne Spritze"), in den USA "Redballoon.work", eine sich selbst so bezeichnende "Stellenbörse für die freiheitsliebende Community".

Die Rolle dieser Jobbörsen geht dabei teils deutlich über eine reine Stellenvermittlung hinaus. Ihnen gemeinsam ist eine eindeutig ablehnende Haltung gegenüber der aktuellen Corona-Politik. Teilweise verbreiten sie auch selbst Falschmeldungen oder irreführende Behauptungen über die Corona-Pandemie und die Schutzimpfung. Die Schweizer Plattform "impffrei.work" bietet hierfür sogar einen eigenen Blog-Bereich, in dem über angebliche Risiken bei der Impfung und eine "Unwirksamkeit" von Corona-Impfstoffen berichtet wird - ausführliche Faktenchecks unter anderem der DW haben derartige Behauptungen bereits mehrfach widerlegt.

Screenshot Online-Jobportal „Impffrei.work“
Das Schweizer Stellenportal "impffrei.work" richtet sich explizit an Gegner einer Corona-SchutzimpfungBild: impffrei.work

Ungeimpfte Parallelwelten

Aber nicht nur die Schweizer Jobbörse belegt, wie sehr sich in den vergangenen Monaten Parallelstrukturen unter Ungeimpften im Netz herausgebildet haben. Auch beim Online-Dating können Impfgegner mittlerweile ganz unter sich bleiben: Das ebenfalls aus der Schweiz stammende Datingportal "Impffrei.love" verspricht eine Partnersuche "ohne Grundsatzdiskussionen" und trifft damit auf jeden Fall einen Nerv.

Guido Gebauer ist Psychologe und betreibt selbst eine Online-Partnervermittlung. In einer Studie hat er herausgefunden, dass die Einstellung zur Pandemie auch beim Onlinedating eine große Rolle spielt. "Rund 90 Prozent der Geimpften wollen, dass die Partnerin oder der Partner die Pandemie auch ernst nimmt, während mehr als 2/3 der Impfverweigerer das genau nicht wollen", so Gebauer.

Symbolbild Online-Dating | App Tinder
"Wie hältst du es mit der COVID-Pandemie?" - Für viele Menschen auf Partnersuche sei das zu einer absoluten Gretchenfrage geworden, sagt Psychologe GebauerBild: Robin Utrecht/dpa/picture alliance

Das Auftauchen von Job- und Datingportalen speziell für Ungeimpfte sieht er skeptisch und als weiteres Zeichen für eine fortschreitende Spaltung der Gesellschaft. "Individuell ist es völlig nachvollziehbar, dass Nichtgeimpfte sich nichtgeimpfte Partner suchen oder auch in nichtgeimpften Arbeitsumfeldern arbeiten wollen", so Gebauer.

Denn tatsächlich fühlten sich diese Menschen von der impfwilligen Mehrheit unter Druck gesetzt. Gesellschaftlich aber hält Gebauer die derzeitige Entwicklung dieser Parallelstrukturen für gefährlich.

"Nicht nur in der Partnerschaft, sondern gerade auch am Arbeitsplatz verbringen wir sehr viel Zeit - und dort wird über sehr viele Themen außerhalb der Arbeit gesprochen - auch über Gesundheitsthemen", so Gebauer. "Wenn jetzt tatsächlich Ungeimpfte nur noch ungeimpfte Partner kennenlernen, ungeimpfte Freunde haben und mit Ungeimpften zusammenarbeiten, dann verfestigt sich die Entfremdung von der Mehrheitsgesellschaft, und dann besteht die Gefahr, dass sich diese Menschen noch weiter abkapseln als bislang."

Thomas Latschan Bonn 9558
Thomas Latschan Langjähriger Autor und Redakteur für Themen internationaler Politik