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GesellschaftAsien

Ohne Feier ins Jahr des Ochsen

Fabian Kretschmer
11. Februar 2021

Dieses Neujahrsfest müssen viele Chinesen auf die traditionellen Familienbesuche verzichten: Besonders für Millionen Arbeitsmigranten ein großes Opfer. Fabian Kretschmer aus Peking.

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China Das anstehende Neujahresfest in Peking 2021
Bild: Fabian Kretschmer/DW

Normalerweise drängen sich Abertausende Menschen auf dem asphaltierten Vorplatz des Pekinger Zentralbahnhofs. (Artikelfoto) Doch an diesem Februarmorgen sitzen nur ein paar Dutzend Arbeitsmigranten auf ihren Reisekoffern, um in der Wintersonne die Wartezeit auf ihre Züge mit Handy-Spielen und Filterzigaretten herumzubringen.

Es ist das zweite Neujahrsfest nach dem traditionellen Mondkalender in Folge, das für viele Chinesen ausfallen muss. Medien bezeichnen die Feiertage meist als "größte Völkerwanderung der Welt", denn normalerweise wären derzeit über 500 Millionen Menschen im Land unterwegs, um ihre Familien in den Provinzen zu besuchen. Diese Saison jedoch, so schätzen die staatlichen Behörden, ist die Anzahl an verkauften Zug- und Flugtickets um über 60 Prozent eingebrochen. "Die Regierung hat Arbeitsmigranten dazu angehalten, während der Feiertage nicht nach Hause zu fahren, aus Angst, dass sich das Virus weiterverbreiten könnte", sagt Christine Peng, die für die Schweizer Bank UBS in China den Bereich "Consumer Research" leitet.

Am Eingangstor der ummauerten Arbeitersiedlung Picun in Peking
Corona-Kontrolle am Eingangstor der ummauerten Arbeitersiedlung Picun in PekingBild: Fabian Kretschmer/DW

Null-Covid-Strategie

Denn rund 2000 registrierte Covid-Fälle haben die Behörden seit Anfang Januar im Norden des Landes registriert. Im internationalen Vergleich sind dies geradezu verschwindend geringe Zahlen, doch für die "Null Covid"-Strategie der Volksrepublik sind sie dennoch bedrohlich. Zudem steigt durch die neuen Mutationen zusätzlich die Gefahr, dass es in China zu einer neuen Infektionswelle kommen könnte.

Ein offizielles Reiseverbot gibt es nicht, jedoch etliche Hindernisse für Reisewillige. So muss laut der nationalen Gesundheitskommission jeder Chinese, der in ländliche Gegenden fährt, nicht nur einen aktuellen Covid-Test vorzeigen, sondern auch eine 14-tägige "Gesundheitsbeobachtung" absolvieren, bei der die eigene Körpertemperatur mehrmals täglich durchgegeben wird. Manche Dörfer haben sich zudem für die Zeit des Neujahrsfestes komplett abgeschottet. Von den Maßnahmen, so kritisieren viele Nutzer in sozialen Medien, sind weniger die urbanen Eliten des Landes betroffen, sondern vor allem jene 300 Millionen Arbeitsmigranten, die aus den unterentwickelten Inlandsprovinzen zum Geldverdienen in die Küstenmetropolen gezogen sind. Viele von ihnen sehen ihre Kinder und Eltern oft nur einmal im Jahr.

Arbeitersiedlung Picun am Stadtrand von Peking
In der Siedlung Picun leben Zehntausende Arbeitsmigranten, die zum Geldverdienen in die Hauptstadt gezogen sindBild: Fabian Kretschmer/DW

Strenge Auflagen für viele nicht zu erfüllen

Menschen wie etwa Frau Huang. Wenn die 50-Jährige vom bevorstehenden Neujahrsfest erzählt, kann sie ihre aufgestauten Emotionen auch hinter der hellblauen Gesichtsmaske kaum verbergen. Sie hat in der Arbeitersiedlung Picun am Stadtrand Pekings einen Marktstand aufgebaut, wo sie am Wegesrand in der klirrenden Januarkälte Sonnenblumenkerne, getrocknete Früchte und Äpfel verkauft. "Normalerweise arbeite ich bis kurz vorm Neujahrsfest durch, denn dann kaufen die Leute nochmal ordentlich ein", sagt sie. Danach fahre sie stets zu ihrem heranwachsenden Sohn, der 700 Kilometer südlich in der Provinz Shandong bei seiner Großmutter lebt. Im Jahr des Ochsen muss jedoch die Familienvereinigung ausbleiben, zu streng sind die Reisebeschränkungen und Quarantäne-Auflagen.

In der Siedlung Picun an der östlichen Peripherie Pekings, vorbei an Heizkraftwerken und Hochspannungsmasten, leben vorwiegend Arbeitsmigranten, die als Lieferkuriere oder in der Gastronomie zum funktionierenden Alltag der Hauptstadt beitragen. In den engen Gassen reihen sich Friseurläden und Handygeschäfte, kleine Ecklokale und Gemüsemärkte.

Eine kleingewachsene Müllsammlerin mit gebückten Rücken schlurft mit einem grauen Sack im Schlepptau durch die Marktstraße. Sie sei aus der bergigen Provinz Sichuan nach Peking gezogen, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Sohn wohnt sie hier, doch ihre drei Enkel leben nach wie vor in der weit entfernten Heimat. "Dieses Jahr können wir sie nicht sehen", sagt die 70-Jährige: "Mein Sohn hat eine Vollzeitarbeit. Er kann es sich nicht leisten, bei der Rückkehr 14 Tage in Quarantäne zu müssen".

"Jahr des Ochsen" im Pekinger Kunstmuseum
"Jahr des Ochsen" im Pekinger Kunstmuseum Bild: Fabian Kretschmer/DW

Kleine Kompensationen

Doch neben den abschreckenden Auflagen haben Pekings Regierungsbeamte auch etliche positive Anreize gesetzt, um die Bevölkerung zu einem "friedlichen und gesunden" Neujahrsfest zu motivieren. Demnach wurden Unternehmen dazu aufgefordert, den daheim gebliebenen Arbeitsmigranten Verdienstmöglichkeiten zuzusichern. Streamingdienste bieten kostenlose Filme an, touristische Sehenswürdigkeiten Preisnachlässe und die großen Telekommunikationsanbieter 20 Gigabyte Datenvolumen. Die Flugbehörden haben zudem zugesichert, sämtliche Kosten für Buchungen im Vorfeld des Neujahrsfestes vollständig zurückzuerstatten.

Viele Chinesen werden froh sein, wenn mit dem 12. Februar das "Jahr der Ratte" - seit 2020 unweigerlich mit dem Corona-Ausbruch verbunden - endlich vorüber sein wird. Laut dem chinesischen Tierkreiszeichen folgt nun das Jahr des Ochsen, welches im Nationalen Kunstmuseum Pekings bereits mit Papierschnitten, Skulpturen und Zeichnungen künstlerisch willkommen geheißen wird. Eingeleitet wird die Ausstellung auf riesigen Informationstafeln mit den Worten des Staatschefs Xi Jinping: Es sei wichtig, dem Volk mit gesenktem Kopf zu dienen wie der willigen Ochse, Innovationen voranzutreiben wie der richtungsweisende Ochse und die Tradition des einfachen Lebens zu pflegen wie der fleißige Ochse.

China Peking | Sinopharm Impfstoff
Die zweite Impfung kommt baldBild: Zhang Yuwei/AP/picture alliance

Wer kann, nimmt's locker

Ob das gehörnte Nutztier auch ein gutes Omen für ein Wiedersehen mit der Familie ist? Darüber macht sich der Taxifahrer Li Kai trotz der nervösen Lokalbehörden gar keine Sorgen. Er stammt aus einer Satellitenstadt Pekings, wo seine Frau und die vier Kinder nach wie vor leben. Das Virus ist in Lis Leben längst kein Thema mehr, viel Zeit zum Grübeln bleibt in seinem Alltag ohnehin nicht. "Ich arbeite hart, um meine Familie durchzubringen", sagt der Mittvierziger mit der Kurzhaarfrisur. Um sechs Uhr fängt seine Schicht an, erst um elf Uhr abends macht er Feierabend. Wer sein weißes Taxi betritt, muss eine Maske tragen und sich per QR-Code mit seinem Smartphone registrieren.

Seine Familie plant er trotz der Reisebeschränkungen zu besuchen. "Zwar muss ich in meiner Heimatstadt offiziell eine 14-tägige Selbstisolierung machen, aber streng überprüfen tut das niemand", sagt Li Kai. Und ohnehin sei er bereits geimpft worden, sagt er. Die zweite Dosis folge noch im Februar.