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Politik

EU will in Handelsstreit vermitteln

8. August 2017

Das EU-Mitglied Kroatien bringt mit Handelshemmnissen den Balkan auf die Palme. Die EU-Kommission appelliert an die Streithähne und erinnert an geschlossene Verträge. Bernd Riegert aus Brüssel.

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Paprika -Anbau in Serbien
Bild: Getty Images/AFP/S. Djordjevic

In Brüssel ist der angekündigte Beschwerdebrief vom Balkan noch nicht eingegangen. Die Balkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien haben angekündigt, sich über das EU-Mitglied Kroatien zu beschweren. Serbiens Handelsminister Rasim Ljajic und seine drei Kollegen wollen die EU-Kommission einladen, den Konflikt zwischen Kroatien und seinen Nachbarn zu beurteilen. Aber auch ohne die angekündigte schriftliche Aufforderung sei man dabei, die Lage zu begutachten, sagte der Sprecher der EU-Kommission. "Wir erfassen die Situation und fordern alle beteiligten Parteien auf, sich zurückzuhalten, Eskalation zu vermeiden und sich in guter Absicht in Verhandlungen zu einigen", so Carlos Martin Ruiz de Gordejuela.

Infografik Karte Infografik Westbalkan und die EU

Notwendig oder überzogen?

Serbien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Mazedonien, die der Europäischen Union beitreten wollen, werfen den kroatischen Behörden vor, die Einfuhr von landwirtschaftlichen Produkten massiv zu behindern. Kroatien verlangt für die Inspektion von Früchten und Gemüsen an der EU-Außengrenze seit vergangener Woche exorbitant erhöhte Gebühren; statt 12 Euro wie bislang sind nun 270 Euro pro LKW fällig. Die Abfertigung der Importe ist schleppend, an den Grenzübergängen stauen sich die Lastwagen. Organisch angebaute Früchte und Gemüse könnten bis zu 30 Tagen an der Grenze aufgehalten werden. Es gehe um protektionistische Maßnahmen, um den Markt vor preiswerteren Importen zu schützen, lautet der Vorwurf des serbischen Handelsminister Ljajic. Die kroatische Seite weist den Vorwurf zurück. Lediglich die Qualität der Waren solle im Sinne der Verbraucher sichergestellt werden. Die neuen Regeln gelten nach kroatischen Angaben für alle Nicht-EU-Staaten. Serbien und die anderen drei Balkan-Nachbarn drohen mit Gegenmaßnahmen.

Teilnehmer des Gipfels im Trieste über westlichen Balkan
Da war noch eitel Sonnenschein: West-Balkan-Gipfel mit der EU in Triest im JuliBild: DW/A. Feilcke

Auslegung der Abkommen gefragt

Die EU in Brüssel könnte als Schiedsrichter in dem Streit in Betracht kommen. Schließlich sind die EU-Staaten, also auch Kroatien, mit den Balkanstaaten über so genannte "Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen" (SAA) verbunden. Das Abkommen mit dem Beitrittskandidaten Serbien schreibt unter anderem den freien Warenverkehr zwischen der EU und Serbien vor. Zölle dürfen im Prinzip nicht mehr erhoben werden. Gebühren und andere Handelshemmnisse sind im Geiste der SAA auf ein Mindestmaß zu beschränken. Kroatien wendet dagegen auf die Nachbarstaaten nun die gleichen Regeln an wie auf beliebige Drittstaaten in aller Welt. Das widerspricht den Bestimmungen der Assoziierungsabkommen, die den Beitrittskandidaten eine bevorzugte Stellung einräumen. Aber auch Kroatien könnte sich bei seinen Maßnahmen auf das SAA berufen, denn das erlaubt unter bestimmten Bedingungen einzugreifen, wenn Märkte für bestimmte Waren massiv gestört werden oder Dumping betrieben wird.

Bosnien-Herzegowina Sarajevo Handelsstreit
Der Brief nach Brüssel ist unterwegs: Die Handelsminister von Kroatiens südlichen NachbarstaatenBild: klix.ba

EU will vermitteln

Nach den Bestimmungen des Assoziierungsabkommens könnte sich Serbien mit seiner Beschwerde an den "Ausschuss des Assoziierungsrates" wenden, in dem die EU-Kommission, der Ministerrat der EU (Mitgliedsstaaten) und Serbien selbst vertreten sind. Verbindliche Entscheidungen könnte der Assoziierungsrat treffen, der aus allen 28 Mitgliedsstaaten und Serbien besteht. Bevor es soweit kommt, will die EU-Kommission aber im Geiste des freien Handels vermitteln, versicherten EU-Diplomaten in Brüssel. Es käme auch noch ein Verfahren vor einem Schiedsgericht der Welthandelsorganisation (WTO) in Betracht, da die beteiligten Streithähne - außer Serbien und Bosnien-Herzegowina - Mitglieder in der Handelsorganisation sind. Die Prüfung der Zuständigkeiten und des Sachverhalts könnten Wochen dauern. Bis dahin ist es für die Waren, die jetzt bei großer Hitze in den LKWs auf Abfertigung warten, wahrscheinlich zu spät. "Wir überprüfen gerade, ob die kroatischen Maßnahmen zu den Verpflichtungen aus den Verträgen passen", so ein Sprecher der EU-Kommission. Wann diese Meinungsbildung abgeschlossen sein wird, konnte er nicht sagen.

Kroatien ist seit 2013 Mitglied der Europäischen Union. In den 1990er Jahren waren Kroatien und Serbien nach dem Zerfall Jugoslawiens gegnerische Bürgerkriegsparteien. Alle ehemaligen Teilstaaten Jugoslawiens sollen im Laufe der Zeit in die EU aufgenommen werden, um den Balkan zu stabilisieren.

Porträt eines Mannes mit blauem Sakko und roter Krawatte
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union