1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Norwegen trauert um die Toten der Anschläge

24. Juli 2011

Die Norweger gedenken der fast 100 Opfer des Doppelanschlags. Der festgenommene mutmaßliche Täter hat nach Angaben der Polizei beide Taten gestanden. Er sagt, er habe allein gehandelt. Nun wird die Polizei kritisiert.

https://p.dw.com/p/122VB
Kerzen in Gedenken an die Toten der Doppelanschläge in Norwegen (Foto: dapd)
Trauer um die Toten des DoppelanschlagsBild: dapd
Die Polizisten Sveinung Sponheim und Johan Fredriksen (Foto: picture-alliance/dpa)
Polizei ermittelt und muss den eigenen Einsatz überprüfenBild: picture alliance/dpa

Je weiter die Ermittlungen in Norwegen voranschreiten, desto mehr Kritik wird nun auch am Vorgehen der Polizei geäußert. Wie konnte der Täter 90 Minuten lang auf die Teilnehmer des Jugendlagers schießen, bevor er gestellt wurde? Hat die Polizei zu zögerlich gehandelt? Die Polizei wies die Kritik am Sonntag (24.07.2011) zurück: Man habe noch keine Informationen darüber, sagte ein Polizeisprecher. Eine Untersuchung des Polizeieinsatzes habe noch nicht stattgefunden. "Ich bin sicher, die Aktion wird noch analysiert werden", sagte der Sprecher.

Eine Anwohnerin der Insel Utoya, auf der am Freitag ein 32 Jahre alter Norweger mindestens 86 Menschen getötet hatte, wirft der Polizei zu zögerliches Eingreifen vor. Sie habe selbst mehrere Jugendliche aus dem See gerettet. Sie sei dabei mit ihrem Boot wesentlich näher an die Insel herangefahren als die Rettungsdienste und Polizisten. Diese haben sie zudem aufgefordert, sich nicht der Insel zu nähern. Auch in den norwegischen Medien sind am Wochenende Vorwürfe gegen die Polizei laut geworden.

Gedenkfeiern für die Opfer

Während die Ermittlungen weiter auf Hochtouren laufen, haben sich am Sonntag im Osloer Dom neben Überlebenden und Angehörigen von Opfern auch Angehörige der Königsfamilie und Ministerpräsident Jens Stoltenberg mit der gesamten Regierung zu einem Trauergottesdienst versammelt. In dessen Verlauf sagte Stoltenberg: "Jeder einzelne Tote ist ein unersetzlicher Verlust. Zusammen bedeuten sie eine nationale Tragödie."

Opfergottesdienst für die Toten des Doppelanschlags in Norwegen (Foto: dapd)
Opfergottesdienst für die fast 100 OpferBild: dapd

Mit den Tränen kämpfend nannte der 52-jährige Regierungschef ihm persönlich bekannte Opfer des Massakers auf der Insel Utoya. Eines von ihnen hatte 20 Jahre jedes Jahr bei dem Ferienlager mitgewirkt. Ein anderer galt als hoffnungsvoller sozialdemokratischer Nachwuchspolitiker. Stoltenberg sagte: "Getötet, fort, für immer. Es ist nicht zu begreifen." - Auch im Rest des Landes versammelten sich trauernde Menschen in Kirchen.

Zuvor hatte die Polizei eine Pressekonferenz mit Informationen über den Tatverdächtigen Anders Behring Breivik gegeben. "Er hat den Bombenanschlag und die Schüsse gestanden", sagte der amtierende Polizeichef Sveinung Sponheim. "Er habe sich aber nicht eines Verbrechens für schuldig bekannt", fügte er hinzu. Der Anwalt des Täters erklärte, das Ziel seines Mandanten sei es gewesen, die norwegische Gesellschaft "anzugreifen, um sie zu verändern".

"Grausam, aber notwendig"

Anders Behring Breivik (Foto: dpa)
Täter: Anders Behring BreivikBild: picture alliance/dpa

Anders Behring Breivik hat seine Taten als "grausam", aber "notwendig" beschrieben und die Angriffe mit mindestens 93 Todesopfern nach eigenen Angaben allein verübt. Der Festgenommene habe versichert, ein Einzeltäter zu sein. "Wir müssen aber alles überprüfen, was er gesagt hat", sagte Polizeikommissar Sponheim. Zuvor hatten Zeugenaussagen darauf schließen lassen, dass an dem Blutbad auf der Fjordinsel Utøya ein weiterer Schütze beteiligt gewesen sein könnte. Weitere Tatverdächtige gebe es aber nicht.

Am Freitag hatte zunächst eine heftige Bombenexplosion mit 500 Kilo Sprengstoff im Osloer Regierungsviertel sieben Menschen getötet. Bei dem anschließenden Angriff auf ein Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF auf Utoya starben mindestens 85 Menschen, 97 Menschen sollen verletzt worden sein. Mindestens vier weitere wurden am Sonntag noch vermisst. Bei der Suche in dem See seien auch etwa 50 spezielle Spürhunde, ein Mini-U-Boot und Taucher im Einsatz. Noch am Samstag hatten Rettungskräfte Jugendliche lebend aus dem Wasser geborgen.

Das Sommercamp wird jedes Jahr auch von vielen politisch aktiven Zuwanderern besucht. Die AUF bezeichnet das alljährliche Lager selbst als multikulturell.

Manifest des Hasses

Rauchwolken über dem Regierungsviertel in Oslo (Foto: dapd)
Rauchwolken über dem Regierungsviertel in OsloBild: dapd

Noch kurz vor den Bluttaten hat der festgenommene Norweger laut Medienberichten ein Manifest über "Rassenkrieg" und Zuwanderung ins Internet gestellt. In dem in englischer Sprache verfassten 1500-seitigen Pamphlet begründet der Norweger ausführlich seinen Hass gegen den Islam und alle "multikulturellen" Kräfte in Europa, die diesen nicht stoppen wollten. Am Ende sei vermerkt: "Ich glaube, dies ist der letzte Eintrag, den ich schreibe. Es ist jetzt Freitag, der 22. Juli, 12.51." Gut zweieinhalb Stunden später detonierte die Bombe im Osloer Regierungsviertel.

Der 32-Jährige, der laut Polizei "christlich-fundamentalistisch" orientiert ist und Kontakte zu rechtsextremen Kreisen hat, will nach Angaben seines Verteidigers bei einem Haftprüfungstermin am Montag weitere Einzelheiten zu den Anschlägen nennen. Dabei soll er offenbar auch auf psychische Störungen untersucht werden. Sein Anwalt Geir Lippestad sagte der Nachrichtenagentur NTB am Sonntag in Oslo, Behring Breivik habe sein Einverständnis zu einer ersten Untersuchung durch den zuständigen Polizeiarzt gegeben.

Geert Wilders distanziert sich von dem "Psychopathen"

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders verurteilte die Anschläge am Samstag und nannte den Täter einen "gewalttätigen und kranken Psychopathen". Seine Freiheitspartei PVV verabscheue alles, was er darstelle und getan habe. Niederländischen Medien zufolge soll Behring Breivik besondere Sympathien für die Ideale der PVV gezeigt haben.

Autorin: Julia Elvers-Guyot (rtr, dapd, afp, dpa)
Redaktion: Stephan Stickelmann/ Nicole Scherschun